Olten
Der «Jackpot» von Stefan Frey: Ein Krimi ohne Leichen und Kommissar

Der Roman «Jackpot» des Oltners Stefan Frey ist erschienen. Er ist ein Nadelstich gegen die drohenden Ausgrenzungen in der Gesellschaft.

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Skeptischer Optimist: Stefan Freys Roman «Jackpot» findet sich taufrisch im Buchhandel.

Skeptischer Optimist: Stefan Freys Roman «Jackpot» findet sich taufrisch im Buchhandel.

zvg

Offen gesagt: Es gibt nicht viele Romane, die so frontal aufwarten. Jener von Stefan Frey schon. «Die Insassen des rechten Traktes wurden die ‹Linken› genannt, weil man sie mochte oder weil man sie hasste.» Exakt dieses verbale Crescendo bildet die Ouvertüre zum neusten Buch des Oltners. Die Welt und der Mensch mögen es bekanntlich gerne schwarz-weiss. Wie das halt so geht im Leben. Aber trotzdem: die «Linken»?

In «Jackpot» ist damit eine bescheiden grosse Horde geistig reger Senioren gemeint, die sich im Alterszentrum Steinpark, im Volksmund «Rampe zum Himmel» genannt, rein zufällig wiederbegegnet und deren Privilegien mit zunehmendem Alter nicht zwingend in materiellen Höhen verortet sind. Vielmehr im Umstand, «dass sie alle bei sehr guter geistiger Gesundheit und, von unbedeutenden Gebrechen und harmlosen Medikamenten in Prostata-, Blutdruck- oder Diabetes-Sachen abgesehen, auch körperlich noch ganz gut beieinander» sind.

Geistig so gut beieinander nämlich, dass sie bei der Miss- und Mister-Senior-Tattoo-Wahl im Steinpark zwar dabei, jedoch nicht mittendrin sein wollen. Denn mit Fortdauer des Wettbewerbs wirken die «Linken» mehr gelangweilt als interessiert, mehr deroutiert denn befriedigt. Dass dieses Oktett schliesslich mit Hilfe eines Super-Jackpot-Gewinns über mehr als 500 Millionen Euro die Welt der Finanzjongleure und -profiteure für eine kurze, aber erfrischende Weile in Unordnung bringt und für einen Moment die Gewinnmaximierung stoppt beziehungsweise umleitet; vielleicht ist dies sein letzter Versuch, diesem Planeten eine menschlichere Hülle zu verleihen, in einer sich kontinuierlich zuspitzenden Lage notabene.

Steuerparadiese und Fake News – Hand in Hand

Mit gefakter Kommunikation und der Nutzung von Steuerparadiesen fordern sie das System heraus. Denn der Krieg der Generationen ist kein Mythos mehr. «In den reichen Industrieländern sind weder die Politik noch die auf Konsum und ewiges Wachstum konditionierte Gesellschaft dem Phänomen gewachsen», verrät der Klappentext.

Im Gegenteil. Seit der jüngsten Pandemie – weitere wären lediglich eine Frage der Zeit und würden in immer kürzeren Abschnitten folgen – habe sich der über Jahrzehnte als «Generationenkonflikt» schön geredete Kampf zu einer neuen Apartheid verschärft.

Wie ich dieses Buch begonnen habe, war von Covid-19 noch nicht die Rede.

(Quelle: Stefan Frey, Autor)

«Menschen im Rentenalter werden als Risikogruppe ausgeschieden und in gefängnisähnlichen Zuständen gehalten, am Kontakt mit anderen Generationen gehindert. «Wie ich dieses Buch begonnen habe, war von Covid-19 noch nicht die Rede», sagt Frey. «Unglaublich, wie sich Fiktion und Realität in ungeahnt kurzer Zeit vereinen.»

Autobiografisches schwingt mit

«Das Buch ist auch ein Spiel», meint der Autor dann, der sich – logisch – in einer der acht Hauptpersonen wiederzuerkennen glaubt. Dass die Romanfigur Marx und mit bürgerlichem Namen Karl Motzig heisst, habe diese sich «durch unermüdliches Anschreiben gegen die Ungerechtigkeit der Welt, die wachsende Kleinlichkeit seines Landes und gegen das Treiben seiner Mitbürger, den Sinn des Lebens im Unsinn des Konsums zu suchen, erschrieben».

Frey war Journalist, für die Grünen im Oltner Gemeindeparlament, Mitglied der Geschäftsleitung des WWF Schweiz, Vater von Mad’Eole, dem Windstromprojekt aus Madagaskar, Mediensprecher der Schweizerischen Flüchtlingshilfe. Seine Sätze sind noch heute «al dente», noch immer mit dem gewissen Biss versehen. Mit ihnen transportiert Frey die Groteske der Gegenwart, jene der gesellschaftlichen Irritationen, des omnipräsenten Mainstreams oder schlicht die auch in «Jackpot» thematisierte gierige Einfalt.

Nur der Duktus des heute 67-Jährigen ist vermeintlich etwas sanfter geworden. Und ja, es sitzt dem Mann auch der Schalk im Nacken. Die bare Lebenslust glüht in den Augen, wenn er in seinem Neuling durch «Bocuse», den lebensfrohen sizilianischen Koch aus dem Oktett, die Schöpfkellen schwingen lässt. Eine üppige Kulinarik aus Küche und am Küchentisch feiert beinahe Urstände.

Friedrich Dürrenmatt lässt grüssen

«Könnte auch von einem Dürrenmatt inszeniert sein», schiesst es beim Lesen von «Jackpot» durch den Kopf. «Das freut mich natürlich», sagt Frey, der mit seinen Sympathien für den Autor und Dramatiker, den angeblich letzten Komödianten der Szene, nicht zurückhält. Nur Dürrenmatts Praxis, seine Geschichten regelmässig nicht positiv enden zu lassen, hat er nicht übernehmen mögen. «Ach, die Welt ist so schon traurig genug», gibt er leicht melancholisch zu verstehen und offenbart gleichzeitig, eben doch so etwas wie ein skeptischer Optimist zu sein.

Anderthalb Jahre hat er für «Jackpot» gearbeitet, einen in sich verflochtenen, dichten Roman, der dennoch unverschämt weltlich daherkommt und deshalb die Vorstellungskraft des Lesers beflügelt. So etwas wie ein Wirtschaftskrimi ohne Leichen und Kommissar. Diszipliniert geschrieben obendrein. «Drei, vier Stunden täglich», wie Frey verrät. «Ich bin immer äusserst motiviert», sagt er noch. Das Kribbeln in Geist und Fingern überfalle ihn dann jeweils.

Was er sich von «Jackpot» verspricht? «Wir wollen da mal nicht vermessen sein», räumt er ein. Die Welt warte nicht auf seine Botschaft. Die Geschichte mit einem Augenzwinkern zur Kenntnis genommen zu haben, sei als maximale Publikumsreaktion denkbar. Mehr nicht.

Hinweis

Stefan Frey, «Jackpot oder Die Würde des Menschen ist verfügbar», TWENTYSIX – der Self-Publishing-Verlag, 248 Seiten.