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Der Maler Urs Borner wundert sich über die heutige Oberflächlichkeit und sucht das ungefilterte Leben. Seit den Anfängen stellt der heute 71-jährige Oltner am Kunstmarkt aus.
Urs Borner möchte wieder fliegen. Einmal, erzählt er, schwebte er über dem Gheid im Rücksitz eines Segelfliegers, steckte Volten, Loopings und Sturzflüge lässig weg wie eine Fahrt auf der Kinderrutschbahn.
Der Pilot zeigte sich ein bisschen enttäuscht über so viel Abgebrühtheit. Ja, er träumt in letzter Zeit viel vom Fliegen. Losgelöst sein, schwerelos. Nur Loopings müssten es heute keine mehr sein.
Borner lehnt sich tief in sein abgewetztes Fauteuil zurück. Rotsamten und royal thront es im Zentrum seines Ateliers in Bahnhofsnähe. Der rote Stoff hat sich an manchen Stellen braun bis schwärzlich verfärbt.
Auf dem Tischchen vor ihm stapeln sich Bücher: Bände zur Malerei, Romane, zuoberst Antoine de Saint-Exupérys «Carnets». Gemälde hängen an den Wänden, Studien, Zeitungsausschnitte. Aufgebockte Holzplatten dienen als Tische. Dutzende von Farbtuben türmen sich darauf. Ein Atelier wie aus dem Bilderbuch: ausufernd, überbordend, chaotisch.
Borner wohnt hier auch. «Früher war ich chaotischer», wendet er ein. In den 80ern, als er den «Jungen Wilden» der Malerei angehörte. Damals malte er aus der Gestik, aus dem Bauch heraus. Der 71-Jährige erhebt sich aus den Tiefen seines Sessels. An der Wand lehnen in Luftpolsterfolie gehüllte Aquarelle. Frisch gerahmt.
Er wird sie am Oltner Kunstmarkt auf der Holzbrücke ausstellen. Von einigen löst er die Folie ab. Es sind Studien, Ideen für ein neues Werk, oder besser: einen neuen Werkabschnitt.
Borner nennt es sein «neues Suchen». Manche von ihnen wird er später grossformatig in Öl umsetzen. Aber er hat die Form noch nicht gefunden, sagt er. Er wird weiter suchen, weitere Aquarelle malen müssen.
Sein Motiv? «Ich bin ein Maler der Frau», erklärt Borner. Sein Schaffen drehe sich um die Frau im Extremen – um die Frau zwischen Heiliger und Hure. Ein schweres Thema, findet er.
Nachdem er in den 80ern exzessiv und spontan arbeitete, malte er in den 90ern Frauen, wie sie sich tatsächlich präsentierten. Frauen auf der Strasse, in Bars, gekleidet in der Mode der Zeit. Er will, dass man die Verehrung des Weiblichen in seinen Bildern sieht. Dass man spürt, wie er die Frauen auf Händen trägt. «Das habe ich nicht weggebracht», sagt er. «Auch wenn das heute nicht mehr politisch korrekt ist.»
Nachdem er erst aus der Emotion heraus und später konkret malte, sucht er seit gut einem Jahr die Essenz. Das, was diese Frauen ausmacht. «Und jetzt, wo Sie die Frage stellen, merke ich: Ich komme wieder auf die Anfänge zurück. Aber jetzt arbeite ich aus der Erfahrung heraus, das ist nicht mehr so spontan.»
Borner malt Beziehungsbilder. Weil er sieht, wie sich in der Gesellschaft Schwierigkeiten ergeben zwischen den Geschlechtern. «Ich finde die Gleichmacherei zwischen Frau und Mann schade», sagt er. Damit meint er nicht die Gleichstellung. Die befürwortet er. Aber er ist überzeugt, dass es eben doch Unterschiede gibt zwischen Männern und Frauen.
Der Oltner Kunstmarkt findet heute Freitag und morgen Samstag zum 47. Mal traditionell auf der Alten Holzbrücke statt.
64 Künstler aus der Region stellen ihre Werke aus. Die Mitglieder der Oltner Gugge Aente Büsi betreiben in der Brückenmitte eine Bar.
Öffnungszeiten:
Freitag von 16 bis 22 Uhr und Samstag von 10 bis 22 Uhr
«Jesses Maria», ruft Borner aus. Er lehnt in seinem Sessel, den Kopf im Nacken. Er blickt nach oben, die gespreizten Hände vor dem Gesicht. Je ein wuchtiger Ring ziert seine beiden kleinen Finger. «Die Tendenz in der Welt ist das Flache, nicht mehr das Figurative und das Emotionale», sagt er, verständnislos. «Dem versuche ich entgegenzuwirken.»
Er suche nicht Künstlichkeit, sondern das echte Leben. Ungefiltert. Ihm ist bewusst, dass er antizyklisch arbeitet. Trotzdem, sagt er, könne er auch heute von seiner Arbeit leben. Mal verkaufe er mehr, mal weniger.
«Ein Unendlichkeitszeichen!» Borner hat das Tattoo an meinem linken Handgelenk bemerkt. «Das ist ja verrückt», murmelt er. Die liegende Acht sei in den Achtzigern sein Kennzeichen gewesen. «In Zürich in der Roten Fabrik habe ich es damals in meinem Atelier auf den Boden gesprayt und dazu eine Performance gemacht», erzählt er. «Es wurde für mich zum Symbol für Leben und Tod.»
Das Unendliche und das Uferlose bedeutete für ihn auch: offen sein für alles. Der mittlerweile verstorbene Oltner Fotograf Franz Gloor habe einmal treffend zu ihm bemerkt: «Du musst ja auch in jede Küche schauen.» Das habe er getan: in die Küchen der Welt hineingeschaut. Er lebte ein Jahr in New York, eines in Italien. Er arbeitete und wohnte in der Roten Fabrik, unternahm zahlreiche Reisen.
Zwei Dinge aber gibt es, von denen er träumt. Vom Fliegen, eben. Selber lernen wird er es nicht mehr, glaubt er. Aber vielleicht nimmt ihn wieder einmal jemand mit.
Und was auch auf dem Programm steht: «Ich möchte einmal in Buenos Aires in einem Tangolokal skizzieren.» In der argentinischen Hauptstadt war er noch nie. Ihm gefallen die südlichen Städte. Den Süden hat er oft bereist.
«Würdest du ein Gläschen Grappa nehmen?» Er platziert eine Flasche «Borgo Vecchio» und zwei Gläser auf dem Tisch. Er giesst einen kräftigen Schluck ein. Ein feiner Tropfen. «Das hat bei mir ja fast ein bisschen eine Krise ausgelöst, das neue Suchen», sagt Borner. Die neue Phase gehe wieder zurück in die Romantik. Er sei ja immer ein Romantiker gewesen.
Er steht auf und verschwindet im Nebenraum. Kommt mit einem Ölgemälde wieder. Hängt es an die Wand. Ein wichtiges Bild für ihn. «Surrealistischer Realismus» nennt er den Stil.
Ein Mann und eine Frau sind darauf zu sehen, Einflüsse aus Kuba und Venedig auszumachen. «Diese Frau gibt es.» Er zeigt ein Foto von ihr. Sagt, wie sie heisst. Ihr Name steht noch immer an der Türklingel.