Startseite
Solothurn
Olten
Mitglieder des in Olten beheimateten Anatolien-Kulturvereins laden auch nichtmuslimische Gäste zur allabendlichen Zeremonie des Fastenbrechens während des Ramadan ein – auch jene, die zuvor nicht konsequent verzichten.
An diesem Samstagabend muss mein Magen etwas länger auf Nahrung warten, worüber er sich irgendwann lautstark zu beschweren beginnt. Versuchshalber mache ich einen Tag lang den Ramadan mit, die sonst rund einen Monat dauernde Fastenzeit muslimischer Gläubiger.
Dabei bin ich jedoch nicht ganz konsequent: Eigentlich wäre es auch untersagt, vor Sonnenuntergang Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Bei den herrschenden schwülen Temperaturen ist es allerdings nicht ganz einfach, sich daran zu halten.
Um 21 Uhr naht schliesslich die Erlösung. Ich treffe zusammen mit einem ebenfalls interessierten Kollegen in der Wohnung von Gökhan Karabas ein. Das Vorstandsmitglied des Anatolien-Kulturvereins Olten lebt in der im Säliquartier gelegenen Wohnung mit seiner türkischen Frau Özlem und ihrer gemeinsamen fünfjährigen Tochter, die zu dieser Stunde bereits am Schlafen ist. Hier ermöglicht das Ehepaar an diesem Abend vier nicht-muslimischen Gästen, sich ihre teilweise leeren Bäuche mit feiner orientalischer Kost zu füllen.
Mit dieser Aktion möchte der Kulturverein den islamischen Brauch des Ramadans Nicht-Muslimen aus der Region näherbringen. Im Vorfeld erfolgte der öffentliche Aufruf, sich bei Interesse zu melden, um kostenlos an einem Fastenbrechen teilzunehmen. Nebst mir und meinem Kollegen nimmt heute auch ein junges Paar aus Olten am üppigen Mahl teil. Da dieses vegetarische Gerichte bevorzugt, hat sich Karabas’ Frau Özlem angepasst und für einmal fleischlos gekocht.
Um etwa 21.20 Uhr dürfen wir Gäste dann zusammen mit dem Gastgeberpaar das Resultat begutachten. Das Fasten darf gemäss dem Brauch erst nach Sonnenuntergang gebrochen werden. Zu diesem kommt es um 21.19 Uhr, wie Gökhan Karabas auf einer Smartphone-App ablesen kann, die ihm die muslimischen Gebetszeiten anzeigt. Die Zeit des Abendgebetes beginnt ebenfalls mit dem Sonnenuntergang.
Der Esstisch ist reich belegt mit verschiedenen Speisen: Käsebörek in Zigarrenform, Paprikageschnetzeltes in Joghurtsauce, Datteln, grüner Salat. Das sei die Idee bei so einem Fastenbrechen mit Gästen, dass der Tisch eigentlich keinen freien Platz mehr aufweise, sagt Gökhan Karabas. «So essen wir aber nicht jeden Abend.» Begonnen wird das Mahl traditionellerweise mit einem Schluck Wasser oder einer Dattel, erklärt er. «Weil der Körper während des Tages ja auch keine Flüssigkeit bekommen hat, wird ihm zuerst etwas Flüssiges oder Saftiges zugeführt.» Gökhan Karabas, der also den ganzen Tag nichts getrunken hat, leert nach seiner Dattel gleich ein ganzes Glas Wasser in einem Zug. Anschliessend widmen wir uns alle der nun aufgetischten Linsensuppe.
Als zweiten Gang serviert Özlem Karabas dann ein Auberginen-Tomaten-Gericht mit Reis und Kartoffelgratin. Das habe sie heute einfach mal so ausprobiert, sagt sie. Ein gelungenes Experiment, sind sich alle Gäste einig. Wer danach noch nicht satt ist, bedient sich bei den in der Tischmitte stehenden Paprika oder – wie in meinem Fall ausgiebig – bei den knusprigen Käseböreks.
Wer an einem Fastenbrechen teilnehmen möchte, kann sich noch bis zum Ende des Ramadans am 24. Juni unter info@anatolienkultur.ch dafür anmelden. Weitere Infos sind auf www.anatolienkultur.ch zu finden.
Während des Essens hat Gökhan Karabas viele Fragen zu beantworten. Seine neugierigen Gäste möchten zum Beispiel wissen, ob er seinen Job trotz dem Nahrungsmangel wie gewohnt ausüben kann. «Da merke ich eigentlich nichts», sagt der Versicherungsbroker. Lediglich gegen Abend lasse die Konzentration dann etwas nach. Er wisse aber auch von Leuten, die während des Ramadans freinehmen würden. Wer jedoch zum Beispiel an gesundheitlichen Problemen leidet, schwanger oder auf Reisen ist, der müsse gemäss Koran nicht am Ramadan teilnehmen. Ihm persönlich gebe der Fastenmonat viel: «Danach fühle ich mich physisch und psychisch fitter.» Zudem könne er Gott dadurch seinen Glauben beweisen.
Doch nicht nur technische Fragen zum Ramadan werden gestellt. Unter anderem wird das Ehepaar auch gefragt, wie sie sich eigentlich kennen gelernt haben. «Das war bei einem Strandurlaub in der Türkei», sagt Gökhan Karabas. Darauf seien sie sich bald einmal näher gekommen und haben dann schliesslich auch geheiratet. «Eine Hochzeit mit etwa 500 Gästen», erzählt Özlem Karabas. Anschliessend zog sie dann in die Schweiz, um mit ihrem Ehemann, der in Oensingen aufgewachsen ist, hierzulande zu leben. Hier ist sie nun seit über zehn Jahren.
Eine weitere süsse Geschichte wird uns dann in Form eines köstlichen Desserts aufgetischt. Eine Eigenkreation Özlem Karabas’, die pürierte Raffaello-Kugeln, Rahm und weitere Zutaten in einer Glace vereint. Abgerundet wird das festliche Fastenbrechen schliesslich mit einem türkischen Schwarztee, worauf dann auf Wunsch auch noch ein türkischer Kaffee folgt. Absolut gesättigt dauert der Abend bei Gesprächen über kulturelle Eigenheiten der Türkei und der Schweiz, Essensgewohnheiten, Religion und auch ganz anderen Themen noch bis Mitternacht an.