Das Stadttheater Olten brachte Ayad Akhtars Debütstück «Geächtet» auf die Bühne.
«Ächten» ist ein Wort, das heutzutage nicht sehr gebräuchlich ist. Es tönt nach Mittelalter, Wildem Westen und primitiven Gesellschaften ohne stabile staatliche Strukturen. In unserer modernen, aufgeklärten Gesellschaft wird niemand geächtet. Meinen wir. Amir Kapoor alias Patrick Khatami macht in Ayad Akhtars Schauspiel die gegenteilige Erfahrung. Zwar lebt der Sohn pakistanischer Einwanderer vordergründig den amerikanischen Traum: Der Anwalt einer renommierten jüdischen Kanzlei in New York und Träger teurer Hemden geniesst gutes Essen, wohnt in einem Loft in der Upper East Side von Manhattan und ist glücklich mit Emily (Natalie O’Hara) verheiratet, einer weissen Amerikanerin.
Doch für dieses Leben musste Amir zahlen – mit seiner Identität. Um in der amerikanischen Gesellschaft erfolgreich sein zu können, legte er sich nicht nur einen anderen, indisch statt pakistanisch klingenden Namen zu und änderte seine Sozialversicherungsnummer, sondern schwor auch seiner Religion, dem Islam, ab. Durch die totale Abkehr von den eigenen Wurzeln ist Amir integriert, nein: assimiliert.
Ist er das tatsächlich? Oder kann auch er trotz totaler Anpassung nichts gegen die in den Köpfen der Menschen festsitzenden Klischees ausrichten? Auf Bitten seines Neffen Hussein (Mark Harvey Mühlemann) und Emily, die als aufstrebende Malerin die islamische Kultur für sich entdeckt hat, hilft er Husseins Imam, der wegen Terrorverdachts vor Gericht gestellt wurde. Die Medien berichten einseitig und vorurteilsbeladen über sein Erscheinen bei Gericht; Amirs Kanzlei wird in die Affäre hineingezogen, Amirs Leben und Identität von seinen Anwaltskollegen durchleuchtet und hinterfragt, seine afroamerikanische Kollegin Jory (Jillian Anthony) ihm deshalb bei der Beförderung vorgezogen.
Doch damit nicht genug: Als Amir und Emily Jory und ihren Mann Isaac (Markus Angenvorth) – ein jüdischer Galerist, der Emilys Werke in seine nächste Ausstellung integrieren will – zum Dinner einladen, beginnt es auch privat zu kriseln. Die beiden gebildeten Upper Class-Paare treffen sich in Amirs und Emilys modern eingerichtetem Loft. Während anfangs unverfänglich über Emilys hervorragenden Fenchel-Anchovis-Salat geplaudert wird, kommen bald brisantere Themen auf. Emily versucht, den Islam als künstlerische Inspirationsquelle zu nutzen, Isaac meint darin ein lukratives Vermarktungslabel für ihre Bilder gefunden zu haben. Amir hingegen kritisiert den Islam heftig und nennt den Koran «einen Hassbrief an die Menschheit». Im Folgenden betritt das Quartett ein gesellschaftliches Minenfeld nach dem anderen; Klischees, Vorurteile und Weltanschauungen kommen ungeniert auf den Tisch. Während Pfeffermühle und Brot hin und her gereicht werden, wechselt man flugs zwischen aalglatten Nettigkeiten, verallgemeinernden Phrasen und bösen Wortgefechten.
Die immer wieder zur Schau gestellte Toleranz und Weltoffenheit gerät gehörig ins Wanken; die Fronten verhärten sich. Als Amir schliesslich gesteht, dass er zu seinem eigenen Entsetzen angesichts der Anschläge vom 11. September etwas wie Stolz empfunden habe, beschimpft Isaac ihn als «verkappten Drecksdschihadisten». Doch es kommt noch schlimmer: Amir verprügelt Emily und spuckt Isaac ins Gesicht, als er erfährt, dass die beiden eine Affäre hatten. Jory, die lange versucht, die Gemüter zu beruhigen, schreit er an: «Ich bin hier der Nigger, nicht Du!» Amir und Emily lassen sich scheiden. Und Amir sitzt vor den Scherben seiner Existenz, geächtet.
Die Schauspieler verkörpern die typenhaft gezeichneten Figuren auf der schlicht und funktional eingerichteten Bühne glaubwürdig: Den lässigen und doch gefühlsverwirrten Amir, der sich in einer islamophoben Gesellschaft selbst verleugnet, den schnöseligen Galerie-Fuzzi Isaac, die durch und durch amerikanische und naiv-romantische Emily, die pragmatisch-versöhnende Jory, die sich aus den Ghettos der Schwarzen emporgearbeitet hat, und den verzweifelt-trotzigen Hussein, der sich letztendlich weigert, sich anzupassen.
Der pakistanischstämmige New Yorker Amir Akhtar schrieb das Stück «Geächtet» 2012. Die Idee dazu hatte er, als er mit seiner Frau bei einer Dinnerparty eingeladen war und über den Islam diskutiert wurde.