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Jelena Kellerhals aus Kappel kann wieder lachen. Dies dank eines Fremden und der Lebertransplantation.
Hand, Hand, Fuss, Fuss und Stand. Ein triumphierendes Lächeln. «Das war ein wirklich gutes Rad», lobt Mama Sabina Kellerhals. «Ich kann auch Diabolo, oder tanzen», sagt Tochter Jelena. «Oder ganz hoch springen.» Sie nimmt einen Satz und streckt Arme und Beine von sich.
Der jüngere Bruder tut es ihr gleich, zusammen albern sie im Garten herum. Man möchte meinen, es sei eine ganz normale Szene, Jelena ein ganz normales Mädchen. Doch in ihrem Innern verbirgt sich ein kleines Geheimnis, das sie von anderen Kindern unterscheidet: Die Achtjährige trägt eine Spenderleber in sich.
«Während der 34. Woche der Schwangerschaft hatte ich plötzlich kein Fruchtwasser mehr», beginnt Sabina Kellerhals zu erzählen. Am 12. März 2010 wurde Jelena per Kaiserschnitt auf die Welt geholt. Obwohl sie ein Frühchen war, schien alles mehr oder weniger normal. Dann der Schock: schlechte Quick-Blutwerte.
Am 1. April wurde Jelena nach Genf ins Leberzentrum für Kinder im Unispital verlegt. Noch immer wussten die Ärzte nicht, was dem Mädchen fehlte. Bei einer der vielen Untersuchungen stellte man fest, dass die Leber nicht richtig durchblutet wurde. Dann versagte das Organ gänzlich. Wasser lagerte sich im Körper ein, Giftstoffe wurden nicht mehr rausgefiltert. «Ab dann wurde sie gelber und gelber», erzählt Papa Reto. «Wir konnten nur zusehen, wie unser Mädchen immer mehr anschwoll.»
Er erinnert sich weiter: «Ab diesem Moment hat man zum ersten Mal an eine Transplantation gedacht.» Doch dafür bräuchte man eine Diagnose und die hatte man noch immer nicht. Dann ging alles sehr schnell: Jelena kollabierte, musste intubiert werden. «Wir wussten, dass diese Leber jetzt einfach raus aus ihrem Körper muss», so Sabina Kellerhals.
Jelena wurde auf die europäische Organliste gesetzt. «Das geschieht nur in Notfällen», weiss Reto Kellerhals. «Das war unser Glück.» Innerhalb nur eines Tages fand sich ein geeigneter Spender, Jelena wurde operiert, das gesunde Organ eingesetzt. «Da Kinder meistens ein Teilstück einer Erwachsenenleber erhalten, war die Leber natürlich zu gross für ihren kleinen Körper», erklärt Reto Kellerhals.
Dies hatte weitere Komplikationen zur Folge. «Nach 25 Operationen habe ich aufgehört zu zählen.» Mama Sabina fügt an: «Wir haben immer mit dem Schlimmsten gerechnet, dass sie irgendwann einfach nicht mehr kann.» Doch Jelena kämpft tapfer weiter. Dann ist es endlich so weit: Nach einem halben Jahr im Spital darf die Familie nach Hause.
Zum Zeitpunkt der Lebertransplantation stand die Diagnose noch immer aus. Zur Analyse wurde Jelenas Organ nach Amerika geschickt, dort hiess es: neonatale Hämochromatose. «Mein Körper hat während der Schwangerschaft Antikörper gebildet», erklärt Sabina Kellerhals. «Das führt dazu, dass sich in der Leber des Kindes Eisen ablagert.» Normalerweise sterben die Babys aber im Mutterleib. Bei der zweiten Schwangerschaft bekam die Kappelerin deshalb Immunglobuline, um die Bildung von Antikörpern zu verhindern. Vier Jahre nach Jelena kam Bruder Leo zur Welt, gesund, ohne Komplikationen.
«Es ist schwierig, in der Schweiz ein Organ zu erhalten», weiss Reto Kellerhals. Denn hierzulande muss sich jeder selbst darum kümmern, Spender zu werden. «Wenn man den Spenderausweis zum Zeitpunkt eines Unfalls nicht bei sich trägt, bringt er trotzdem nichts.» Die Jeune Chambre Internationale lancierte deshalb die Unterschriftensammlung für die Volksinitiative «Organspende fördern — Leben retten».
Mit 80'000 gesammelten Unterschriften ist diese nun kurz vor dem Ziel. Um auch noch die restlichen 20'000 zu sammeln, finden am 15. September, am Nationalen Organspendetag, zahlreiche Standaktionen statt, an welchen man sich über die Organspende sowie die Initiative informieren kann. Ziel der Initiative ist die Einführung der vermuteten Zustimmung in der Schweiz. Diese geht davon aus, dass grundsätzlich jeder Schweizer Bürger Organspender ist.
Möchte das jemand nicht, muss er sich abmelden. «Viele spenden ihre Organe nicht, weil sie aktiv werden müssten», so Reto Kellerhals. «Es ist grundsätzlich ja kein Thema, mit dem man sich täglich auseinanderzusetzen hat.» Aber Familie Kellerhals weiss: «Es ist furchtbar schnell passiert.» Und findet sich dann ein Spender, kann ein Leben gerettet werden. Wie dasjenige von Jelena. (SKU)
«Es gab eine Zeit, da hätten wir nie gedacht, dass unsere Tochter einmal ein Rad schlagen könnte», sagt Reto Kellerhals. «Geschweige denn gehen oder sprechen.» Beinahe habe man Jelena aufgeben müssen. Doch sie hat dank eines Fremden eine Chance bekommen zu leben. «Dafür sind wir unendlich dankbar», so Reto Kellerhals. «In der Schweiz ist das nicht selbstverständlich.» Denn hier gilt die vermutete Zustimmung noch nicht, obwohl eine Volksinitiative in Arbeit ist (siehe Box).
Dann wird es dem Mädchen zu viel. «Ich will das jetzt nicht mehr hören», schluchzt sie. Papa Reto nimmt sie zu sich auf den Schoss. «Macht es dich traurig?» Jelena nickt. Mama Sabina erklärt: «Wir haben von Anfang an offen mit ihr darüber gesprochen.» Für Jelena selbst ist ihr Schicksal teilweise nicht leicht zu ertragen.
Als ihre Mutter sie fragt, wie viele Gläschen Blut sie nun bei den jährlichen Kontrollen in Genf abgeben muss, versiegen die Tränen schon wieder: «Bestimmt Tausend!», ruft sie lachend. «Der Ultraschall ist aber immer cool, dabei kann ich fernsehen», sagt Jelena grinsend. Sie wischt sich die Tränen ab und schlägt ein weiteres Rad. Hand, Hand, Fuss, Fuss und Stand.
Doch auch wenn die Kontrollen bis heute gut ausfallen, hat das fremde Organ immer noch Auswirkungen: Jelena muss jeden Tag Medikamente nehmen, muss deswegen auf bestimmte Nahrungsmittel verzichten, darf nicht so viel Sport machen wie andere, am Bauch trägt sie eine grosse Narbe, ihre Zähne sind etwas schief. Doch all das hält sie nicht davon ab, bei jeder Gelegenheit zu lachen. «Sie ist ein Sonnenschein», sagt Papa Reto stolz. «Und unser Kämpferherz.»