Buchfestival Olten
Experte zu Martin Disteli: «Dieser wirklich aussergewöhnliche Künstler ist in Vergessenheit geraten»

Lucien Leitess hat es sich zu einer seiner Lebensaufgaben gemacht, das Werk des in Olten geborenen Martin Disteli bekannt zu machen. Am Sonntag stellt der Verleger des Unionsverlags den Zeichner und Karikaturist näher vor.

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Porträt von links des an einem Tisch sitzenden Martin Disteli, der den rechten Arm auf einem Buch aufgestützt hat.

Porträt von links des an einem Tisch sitzenden Martin Disteli, der den rechten Arm auf einem Buch aufgestützt hat.

zvg/Joachim Senn - Zentralbibliothek Solothurn

Lucien Leitess ist Verleger des Unionsverlags, den er 1975 gegründet hat und seither leitet. 1977 hat er zusammen mit Irma Noseda und Bernhard Wiebel die Martin-Disteli-Jubiläumsausstellung im Oltner Kunstmuseum gestaltet. Am Sonntag, 7. November, um 10 Uhr spricht er in der Buchhandlung Schreiber über Martin Disteli, einer der berühmtesten Söhne Oltens.

Haben Sie den Eindruck, dass Martin Disteli in Olten vergessen ist?

Lucien Leitess, Gründer und Verleger Unionsverlag, Martin-Disteli-Spezialist.

Lucien Leitess, Gründer und Verleger Unionsverlag, Martin-Disteli-Spezialist.

Zvg/Ayse Avas

Lucien Leitess: Nie würde ich wagen, das zu behaupten. Disteli ist ja vielfältig mit seiner Heimatstadt verbunden – wer kennt nicht die Unterführung beim Bahnhof, die nach ihm benannt ist? Aber im Rest der Schweiz scheint mir, dass dieser wirklich aussergewöhnliche Künstler in Vergessenheit geraten ist. Alle Bücher über ihn sind vergriffen, und die Dauerausstellungen in den Museen von Olten und Solothurn wurden vor langer Zeit aufgelöst.

Es ist gar nicht so leicht, sich über ihn kundig zu machen. Deprimierend ist, dass dies schon vor fünfzig Jahren so war, bevor er in Olten in einer grossen Jubiläumsausstellung umfassend präsentiert wurde. Diese Ausstellung reiste durch die ganze Schweiz. Alle staunten, dass das Land ein solches Ausnahmetalent hatte, von dem man nichts wusste. Leider ist er danach wieder in Vergessenheit geraten.

Was macht Martin Disteli so aussergewöhnlich?

Zum einen ist er als Zeichner ein Virtuose. Schon die Zeitgenossen verglichen ihn mit Daumier, Grandville, Hogarth. Nur sein früher Tod verhinderte, dass er über die Landesgrenzen hinaus in ganz Europa bekannt wurde. Sein Werk ist getränkt von der demokratischen Aufbruchsstimmung, die 1848 zur modernen Schweiz führte. Seine Karikaturen und Sinnbilder sind frech, witzig und grandios, auch wenn sie im kleinen Format daherkommen.

Mit seinen Bildreportagen im Volkskalender ist er ein Vorläufer des modernen Bildjournalismus. Und dass er sich bewusst nicht nur an die gebildeten Stände richtete, sondern ans breite Volk, macht ihn zu einer Ausnahmegestalt. Sein Leben, auch wenn es sich fast nur im Umkreis von Olten und Solothurn abspielte, ist voller Dramatik, tragischen Wechselfällen und gespickt mit farbigen, witzigen, frechen Episoden. Der «Disteli-Schnauz» war ja auch ein aufsässiger Kauz.

Was wäre zu tun, um ihn wieder in Erinnerung zu rufen?

Die verlässliche Biografie von 1943, verfasst von Gottfried Wälchli, müsste mit Ergänzungen neu aufgelegt werden. Eines der schweizerischen Kunsthäuser mit internationaler Ausstrahlung, vielleicht das Zürcher Landesmuseum, müsste ihm eine grosse Ausstellung widmen. Sein Oeuvre müsste digitalisiert werden, wie es bei anderen Künstlern seines Formats ja auch geschieht. Und er hat in Olten oder Solothurn eine permanente, repräsentative Präsenz in den Museen verdient, damit sein Werk wieder ans Tageslicht kommt.

Hinweis: Lucien Leitess hat einen Text zu Martin Disteli geschrieben im folgenden Buch: Stefan Howald (Hrsg.): Projekt Schweiz. Vierundvierzig Porträts aus Leidenschaft, 496 Seiten, Unionsverlag.