Videoüberwachung
Big Brother den Riegel schieben!

Kommentar von Beat Nützi zu den Richtlinien des Oltner Stadtrates betreffend der Videoüberwachung.

Beat Nützi
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Die Stadt darf nicht wahllos und beliebig Kameras aufstellen. Jede vom Stadtrat vorgesehene Videoüberwachung muss von der kantonalen Stelle für Datenschutz und Öffentlichkeit bewilligt werden. (Symbolbild)

Die Stadt darf nicht wahllos und beliebig Kameras aufstellen. Jede vom Stadtrat vorgesehene Videoüberwachung muss von der kantonalen Stelle für Datenschutz und Öffentlichkeit bewilligt werden. (Symbolbild)

Keystone

Endlich hat auch der Oltner Stadtrat Richtlinien für Videoüberwachung im öffentlichen Raum beschlossen. Denn eigenen Angaben der Exekutive zufolge werden auf dem Stadtgebiet von Olten mehrere öffentliche oder öffentlich zugängliche Bereiche mittels Video überwacht. Und das ärgert viele, wie auch Reaktionen in den Sozialen Medien zeigen.

Stossend (nicht nur) in Olten ist, dass man nicht erfahren kann, wo Big Brother überall wirkt. Es fehlt nämlich an einer Übersicht der Videoüberwachungen. Um es vorwegzunehmen: Hier besteht Handlungsbedarf. Und: Big Brother ist der Riegel zu schieben. Denn eine Gesellschaft, die sich veranlasst sieht, Big Brother einzusetzen, um sich selber zu überwachen, hat kläglich versagt.

Persönlichkeitsrechte müssen Vorrang haben

Videoüberwachung durch Private auf öffentlichem Grund ist schon seit längerter Zeit ein Thema. Der Datenschutzbeauftragte des Bundes hat bereits 2011 festgehalten: «Es ist grundsätzlich nicht zulässig, dass Privatpersonen Videoüberwachungsanlagen auf öffentlichem Grund betreiben.» Ausnahmen von dieser Regelung seien nur in einem sehr engen Rahmen möglich. Dem ist beizupflichten.

Denn eine Videoüberwachungsanlage, die zur Wahrung privater Interessen öffentlichen Raum überwacht, erfasst eine unbestimmte Anzahl Personen und greift damit in deren Persönlichkeitsrechte ein. Diese Betroffenen haben oft keine Wahl, ob sie den überwachten Bereich betreten möchten oder nicht. Sie sind damit gezwungen, sich diesem Eingriff in ihre Persönlichkeitsrechte auszusetzen. Das ist stossend und sollte deshalb grundsätzlich unterbunden werden – und zwar auch dort, wo Nachbarn oder Arbeitgeber Big Brother spielen wollen.

Öffentliche Sicherheit ist eine Kernaufgabe der Polizei

Oft geht es um Sicherheitsinteressen, wenn Private beispielsweise nach einem Einbruch ihr Haus oder ihr Geschäft durch Videokameras, die über das eigene Areal hinauswirken, überwachen wollen. Doch die Wahrung von Sicherheit und Ordnung im öffentlichen Raum ist nicht Sache von Privatpersonen, sondern Aufgabe der Polizei.

Aus diesem Grund kann sich ein Privater nicht auf sein Sicherheitsinteresse berufen, um öffentlichen Boden zu überwachen. Das könnte zum Beispiel hinsichtlich der Überwachung einer Privatliegenschaft bedeuten: Haus- und Ladenbesitzer schliessen in Rücksprache mit dem zuständigen Gemeinwesen mit der Polizei eine Vereinbarung ab, wonach sie öffentlichen Grund bei ihrer Liegenschaft selbst mittels Videokamera überwachen.

Ausnahmen sehr restriktiv handhaben

Ausnahmen für private Videoüberwachung auf öffentlichem Boden sind sehr restriktiv zu handhaben. Solche sollte es nur geben, wenn bei einer privaten Videoüberwachung ein legitimer Grund vorliegt, öffentlicher Boden nur geringfügig betroffen und die Überwachung des privaten Grundes anders nicht durchführbar ist.

Beispiel: Eine Bank installiert bei einem Bankomaten eine Videokamera, die nebst dem Automaten auch kleine Teile des Trottoirs erfasst. Da für die Überwachung das Bankomaten ein überwiegendes privates Interesse besteht und die Überwachung nicht durchgeführt werden könnte, ohne dass das Trottoir mit erfasst wird, sollte hier aus Gründen der Praktikabilität eine Ausnahmeregelung zulässig sein.

Ganz und gar nicht goutiert werden darf der Einsatz von Webcams und Videokameras zu Werbezwecken oder zur Unterhaltung. Für solche privaten Interessen geht der verursachte Eingriff in die Persönlichkeitsrechte zu weit. Oder anders gesagt: Das Interesse an der Wahrung der Persönlichkeitsrechte geht hier vor.

Statt Bearbeitungskonzept eine Bewilligungspflicht verordnen

Der Oltner Stadtrat will mit seinen Richtlinien etwas für den Schutz der Persönlichkeitsrechte tun. Er stützt sich dabei auf übergeordnetes Recht, namentlich das Informations- und Datenschutzgesetz des Kantons Solothurn. Doch alles tönt sehr technokratisch und abstrakt. Zum Beispiel die Forderung, dass jeder Videoüberwachung ein Bearbeitungskonzept mit gewissen Auflagen zugrunde liegen müsse. Da stellt sich die Frage: Wieso wird nicht einfach eine Bewilligungspflicht eingeführt?

Wenn es um den Schutz der Persönlichkeitsrechte und der Privatsphäre geht, sollten sich die politisch Verantwortlichen keine Samthandschuhe überziehen. Derzeit gewinnt man den Eindruck, dass betreffend Videoüberwachung alles unkontrolliert vor sich her wuchert und niemand willens ist, entschieden einzugreifen. Nicht nur in Olten, nicht nur auf Gemeindeebene. Das muss ändern. Auch sollten sich sämtliche politischen Kräfte zum Handeln veranlasst sehen. Denn: Mehr Einschränkung für Big Brother bedeutet mehr Freiheit für die Bürgerinnen und Bürger.

Freiheit und Sicherheit sind untrennbare Zwillinge

Ein ebenso wichtiges Grundbedürfnis wie die Freiheit ist für die Menschen die Sicherheit. Freiheit und Sicherheit sind untrennbare Zwillinge. Doch Videoüberwachung im öffentlichen Raum ist hinsichtlich der Verbesserung der Sicherheit oft nur eine Scheinlösung und nicht ein nachhaltig wirksames Instrument zur Verhinderung von Straftaten, zur Kriminalprävention oder zur Erhöhung der subjektiven und objektiven Sicherheit.

Videoüberwachung als solche löst keine grundlegenden Probleme, da sie die sozialen Ursachen der Kriminalität nicht anspricht und der Komplexität des eigentlichen Themas nicht gerecht wird. Deshalb ist die Videoüberwachung im öffentlichen Raum grundsätzlich abzulehnen. Für die Verbesserung der Sicherheit sowie zur Verhinderung und Vorbeugung von Kriminalität müssen andere Mittel im Vordergrund stehen. Zum Beispiel gestalterische und bauliche Massnahmen für den öffentlichen Raum wie eine Verbesserung von Beleuchtung und Sicht oder die Belebung von neuralgischen Orten.

Aber auch die Gewaltprävention und eine adäquate physische Polizeipräsenz können Wirkung zeigen. Im Weiteren gehören zu einer nachhaltigen Sicherheit ein ausgebautes und langfristig finanzierbares Sozialversicherungssystem, eine wirksame Integrationspolitik und sichere Arbeitsplätzen mit einem Existenz sichernden Einkommen.

Überwachungsstaat hätte verhängnisvolle Folgen

Weil die Schweiz über ein solides Gefüge verfügt, kommt es nicht von ungefähr, dass sie nach den Rankings verschiedener internationaler Institutionen zu den Top Ten der sichersten Länder der Welt gehört. Deshalb gilt es zu den sicherheitsrelevanten Elementen Sorge zu tragen. Dazu gehört unsere freiheitliche Lebensart, die nicht unnötig eingeschränkt werden darf.

Wir haben keinen Grund, mit vorgeschobenen Sicherheitsargumenten unser freiheitliches, offenes Land zu einem Überwachungsstaat werden zu lassen. Ein solcher würde Unmut und Aggressionen auslösen und hätte hinsichtlich Sicherheit verhängnisvolle Folgen. Deswegen ist entschieden gegen entsprechende Entwicklungen vorzugehen – im Interesse von Freiheit und Sicherheit.

beat.nuetzi@schweizamwochenende.ch