Köln/Winznau
Bestatter-Schauspieler: «Ein bisschen Demut schadet nichts»

Joris Gratwohl, bekannt aus der «Lindenstrasse», ist in der SRF-Erfolgsserie «Der Bestatter» zu sehen. Er war Fussballprofi und ist nun Schauspieler.

Philipp Felber
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Joris Gratwohl alias Ruedi Weber spielte am Dienstag in der «Bestatter»-Folge «Zwei Leben». SRF/Sava Hlavacek

Joris Gratwohl alias Ruedi Weber spielte am Dienstag in der «Bestatter»-Folge «Zwei Leben». SRF/Sava Hlavacek

Sava Hlavacek

Joris Gratwohl, Sie sind im beschaulichen Winznau aufgewachsen, waren kurz Fussballprofi. Wie kam es zum Entscheid, auf die Schauspiel-Karte zu setzen?

Joris Gratwohl: Ich habe das KV gemacht und wollte mich nach der Fussball-Laufbahn beim FC Aarau ganz neu orientieren. Mit einem One-Way-Ticket bin ich in die USA gereist und quasi in San Diego gelandet. Dort habe ich im College-Team wieder Fussball gespielt und mich für Schauspielkurse eingeschrieben. Ein guter Entscheid, denn bald hatte ich das Gefühl, das gefunden zu haben, was ich suchte. Nach der Rückkehr in die Schweiz habe ich in Zürich die Schauspielschule besucht.

Am Dienstagabend sind Sie momentan in der SRF-Serie «Der Bestatter» zu sehen. Dort spielen Sie die Rolle des Ruedi Weber, des Präsidenten der Nachbarschaftshilfe im fiktiven «Morgenthal». Wie kam es zu diesem Engagement?

Das war ein normales Casting. Ich habe die Chance bekommen, wieder mal was im Schweizer Fernsehen machen zu können; quasi ein Heimspiel in fünf Kapiteln.

Ist die Rolle im «Bestatter» ein Versuch, sich in der Schweiz wieder mehr zu etablieren?

Natürlich ist es reizvoll, in einer Umgebung, die man kennt, zu spielen. Die Rolle in «Der Bestatter» habe ich also sehr gerne übernommen. Die Serie ist gut gemacht und populär über die Grenzen hinaus. Ich habe es übrigens sehr genossen, im Sommer mal wieder etwas länger in der Schweiz zu weilen und Mundart zu reden, auch im Job.

Bekannt sind Sie in der Schweiz, speziell aber in Deutschland – vor allem als Alexander Behrend aus der Serie «Lindenstrasse». Seit dem Jahr 2000 waren Sie in über 350 Folgen zu sehen. Wie würden Sie Ihre Figur für einen «Lindenstrassen»-Laien beschreiben?

Alex ist ein Mann, der seit rund 15 Jahren sein Leben in den Griff bekommen will. Er ist ein Suchender, durchlebt alle Höhen und Tiefen. Mittlerweile ist dieser Typ um die 40, also fast in meinem Alter. Im Moment scheint die Alex-Geschichte in Richtung «Happy Family» zu laufen. Aber wer weiss, was sich unsere Autoren noch alles einfallen lassen.

Läuft man nach über 15 Jahren, in welchen man dieselbe Figur spielt, nicht Gefahr, sich allzu stark in die Rolle hineinzuleben? Oder anders gefragt: Lässt sich die Privatperson Joris Gratwohl noch von seiner Rolle trennen?

(Lacht.) Das hoffe ich doch sehr! Ich spiele ja nicht mich, sondern eine Figur. Aber natürlich: Über eine so lange Zeitspanne hinweg ist der eine oder andere meiner Charakterzüge in der Rolle sicherlich erkennbar. Man kennt sich ja in der Produktion gegenseitig und versucht, möglichst viel in eine Figur einfliessen zu lassen.Die Zuschauer sehen das Wechselspiel real und fiktiv nicht immer differenziert.

Es ist schon vorgekommen, dass mich jemand um Reisetipps gebeten hat, weil ich als Alex in einem Reisebüro arbeitete. Und als Alex mal auf die schiefe Bahn geriet, hat sich eine Kassierin im Supermarkt empört geweigert, mich zu bedienen. Es gäbe noch mehr schräge Episoden. Aber damit kann ich leben, schliesslich beweist dies, dass das Publikum für die Charaktere eine gewisse Empathie hat.

Gab oder gibt es Überlegungen, aus der «Lindenstrasse» auszuscheiden?

Nein. Zumal ich genug Zeit und Möglichkeiten habe, andere Projekte zu verfolgen. Wie zum Beispiel jetzt in der renommierten, auch in Deutschland bekannten Schweizer Fernsehserie «Der Bestatter». Für spannende Ideen bin ich immer offen.

Trotzdem sind Sie vor allem bekannt aus der «Lindenstrasse». Macht es das schwieriger, andere Rollen zu bekommen?

Das denke ich nicht. Letztlich entscheiden Können und Eignung für die Rolle über ein Engagement. Man muss auch sehen, dass das Medium Fernsehen filmischer geworden ist. Denken Sie nur an den gigantischen Boom von TV-Serien. Die «Lindenstrasse» war die erste Serie im deutschen Fernsehen und hat sich jahrzehntelang in einem hart umkämpften Markt behauptet und weiterentwickelt. Sie hat in Deutschland längst Kult-Status.

Das wurde uns wieder bewusst, als wir jüngst die 30-Jahr-Jubiläums-Folge live gespielt haben. So etwas hat es im Fernsehen so noch nie gegeben. Für uns war es aufregend, und die Zuschauer- und Kritiker-Resonanz war überwiegend positiv. Ich bin überzeugt, dass sich Fernsehen und Film immer mehr annähern. Das eröffnet auch für Darsteller interessante neue Perspektiven.

Sie haben neben dem Engagement bei der «Lindenstrasse» eine eigene Theaterproduktion am Laufen. Sie waren auch in TV-Filmrollen und in Kinofilmen zu sehen. Was behagt Ihnen am meisten?

Als Schauspieler versucht man, ganz salopp gesagt, sich auf jeder Bühne zu bewähren. Im Moment spiele ich in Köln im selbst geschriebenen und inszenierten Stück «Die Glorreichen Zwei». Das macht echt Freude, weil ich wieder einmal das Publikum vor mir habe, es hautnah spüre, seine Reaktionen aufnehmen kann. Film- und Fernseharbeit ist distanzierter. Es dauert oft Monate, bis man das Resultat sieht und ein Echo bekommt. Oder auch nicht. Es kann ja sein, dass man rausgeschnitten wurde (lacht).

Was gefällt Ihnen besser: die Arbeit hinter der Bühne als Autor und Regisseur oder diejenige als Schauspieler?

Vor Regiearbeit habe ich grössten Respekt, vorderhand bleibe ich also bei meinen Leisten. Was mich aber reizt, ist die Tätigkeit als Autor. Ich schreibe gerade ein neues Theaterstück und Texte. Mal sehen, wie sich das entwickelt.

Sie leben in Köln. Keine Sehnsucht nach der Schweiz? Oder gar Träume von Hollywood?

Mit Träumen schafft es keiner. Weder nach Hollywood noch anderswohin, da muss man realistisch sein. Ich habe das Privileg, in Deutschland sehr gut beschäftigt zu sein, was nicht alle Berufskollegen von sich sagen können. Man muss seine Möglichkeiten mit Augenmass einordnen.

Ein bisschen Demut schadet nichts. Sehnsucht nach der Schweiz? Nein, Köln ist ja nicht ab der Welt, und ich kann ja oft meine Familie in Olten und Winznau besuchen. Die saubere Winznauer Landluft ist ja eh nicht zu toppen. Ich würde gerne mal eine XL-Luftpackung mit nach Deutschland nehmen. Neben der «Schoggi» natürlich.

Sie sind 42 Jahre alt, da verändern sich langsam, aber sicher auch die Möglichkeiten, welche Figuren Sie spielen können. Freut man sich als Schauspieler, auch mal andere, eher reifere (sprich ältere) Rollen zu spielen, oder ist man eher traurig, dass man nicht mehr den jung gebliebenen Mittdreissiger spielen kann?

Also der jugendliche Liebhaber ist schon länger passe, auch im realen Leben. Nein, ganz ernsthaft: Das Älterwerden eröffnet doch das kreative Interpretationsspektrum. Man muss natürlich aus der Not eine Tugend machen wollen. Und vom Wein sagt man ja, er werde je älter, desto besser. Vielleicht trifft das für mich auch zu (lacht)