Olten
Autor Silvio Blatter sagt: Das Buch ist nur die Spitze des Eisbergs

Silvio Blatter war mit seinem Neuling «Wir zählen unsere Tage nicht» bei Schreiber zu Gast. Blatter versteht es darin genial, die Beziehungen dieser Personen in wunderschöner Sprache darzustellen.

Trudi Stadelmann
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Silvio Blatter las aus «Wir zählen unsere Tage nicht».

Silvio Blatter las aus «Wir zählen unsere Tage nicht».

Hansruedi Aeschbacher

Am Dienstagabend stellte Silvio Blatter sein neues Buch «Wir zählen unsere Tage nicht» vor. Lesungen laufen normalerweise recht stereotyp ab. Der Autor liest gewisse Passagen aus seinem Werk vor, beantwortet Fragen aus dem Publikum. Bei Krimis geht es oft um den politischen Hintergrund oder um die Motive der Täter. Ganz anders bei der Lesung in der Buchhandlung Schreiber.

Rest als Eisberg

Silvio Blatter sprach ausgiebig und packend über die Entstehung seiner Bücher. Die rund 270 Seiten seines Werkes «Wir zählen unsere Tage nicht» sind nur die Spitze eines Eisberges. Von einem solchen sind nur rund 10 Prozent sichtbar, und dieser Teil sei eben das gedruckte Buch, das die Leserschaft schliesslich in den Händen halte und lese. Der Rest seien Figuren, Teile von Figuren, Ideen und Gedanken, so Blatter. Nicht anders sei es bei seinem neuen Buch. In diesem geht es vordergründig um das Älterwerden, um die alternde Radiomoderatorin Isa und deren Ehemann Severin. Es geht aber auch um deren erwachsene Kinder Matthias und Sandra. Deren Beziehungen sind nicht einfach, Matthias lässt seinen Vater auflaufen, als dieser ihn besuchen will. Sandra betrachtet ihre Mutter kritisch: «Ginge sie nackt, sähe man das Skelett sich abzeichnen.»

Blatter versteht es genial, die Beziehungen dieser Personen in wunderschöner Sprache darzustellen. Unbarmherzig zum Beispiel die Szene im Hallenbad, in der sich Mutter und Tochter gegenseitig beobachten und beurteilen. Es sind auch andere Figuren zu entdecken, so zum Beispiel Amélie, eine gross gewachsene Volleyballspielerin und Mutter des Sohnes von Matthias. Diese Frau war zuerst ganz anders angelegt. Sie sollte ihren Mann betrügen.

Nicht mehr zu finden

Dieser Aspekt ist im Buch nicht mehr zu finden, ist aber ein Teil des Eisberges. Diesen Teil kennt nur der Autor, und solche Teile blieben von jedem seiner Bücher zurück, so Blatter. So kommt es denn auch, dass oft mehrere Jahre vergehen, bis wieder ein Buch des Freiämters erscheint. Es sei wichtig, dass das Tempo beim Schreiben stimme. Ebenso müsse dieses auch beim Leser stimmen. Idealerweise würde das Tempo des Schreibers und des Lesers übereinstimmen.

Natürlich las Blatter auch vor, mit seiner ruhigen Stimme zog er die Zuhörerinnen in seinen Bann. Aber das Buch sollte von der Leserschaft selbst gelesen werden, die Sprache ist ruhig und schön. Wie er die Zeit beschreibt, ist unglaublich fein und schön: «die Zukunft, ... ein roter Teppich, der für uns ausgerollt wurde.» Während einer Ehekrise fährt Sandra über eine Strasse, die «war ein langer grauer Teppich.»

Sandra liebt es, ihre Fische im Aquarium zu beobachten. Auch mit diesem Bild vergleicht Blatter seine Arbeit. Sein Kopf sei eine Art Aquarium, in dem sich viele verschiedene Fische bewegen. Erst wenn diese sich in einer Reihe befinden, könne er mit Schreiben beginnen. Man spürt, dass er mit Leidenschaft schreibt und arbeitet. Schreiben sei wie eine Rechnung, die nicht aufgeht. Den Rest, den man behalte, findet sich dann wieder im nicht sichtbaren Teil des Eisberges. Aber selbst er, Blatter, wisse oft nicht, was sich ganz zuunterst im Eisberg befinde. Selten hat man einen Schriftsteller so offen und so klug über das Schreiben erzählen gehört. Er meinte auch, die Eisberge seiner Bücher würden manchmal zusammenprallen. Auf den nächsten Zusammenprall darf man gespannt sein.