Olten
Ästhetisches Schau-Spiel und tiefsinniges Denk-Spiel in neuer Denkfabrik

Verena Thürkauf überzeugt mit ihren künstlerischen Interventionen im Neubau der Fachhochschule in Olten. In ihrem Projekt stellt sie das Denken ins Zentrum, und zwar in Form von Fragen.

Gabriele Bono
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Kunst am Bau: Schriftbild Thürkaufs in der Mensa

Kunst am Bau: Schriftbild Thürkaufs in der Mensa

Bruno Kissling

Die in Basel wohnhafte Solothurner Künstlerin Verena Thürkauf führt mit ihren Interventionen für den Neubau der Fachhochschule Nordwestschweiz auf dem Campus Olten einen sowohl inhaltlich wie formal überzeugenden Dialog mit der Architektur und der Zweckbestimmung des Gebäudes.

In einem Kunstgespräch in der als «Denkfabrik» bezeichneten Fachhochschule stellte Verena Thürkauf einem grossen Kreis von Interessierten ihr Kunst-und-Bau-Projekt «wie bitte?» vor, das als Sieger aus den Eingaben von 52 Kunstschaffenden mit Bezug zum Kanton Solothurn hervorgegangen war. Die 1955 in Basel geborene und in Witterswil SO aufgewachsene Künstlerin erhielt neben anderen Auszeichnungen 2011 vom Kanton Solothurn den Preis für Bildende Kunst.

Denken im Zenrum

Logisch und konsequent stellt die Künstlerin in ihrem Projekt das Denken ins Zentrum, und zwar in der Form von Fragen. Fragen sind der Motor hinter dem Lernen, Lehren und Forschen. «wie bitte» fragt man nie sich selbst, es ist eine kommunikative Frage, mit der man im Gespräch nachhakt und die Bereitschaft signalisiert, mit dem Gegenüber zu kommunizieren.

Dieses «wie bitte» empfängt den Eintretenden beim Haupteingang an der Wand des Lichthofs. Legitim und häufig ist dieses kommunikative Nachhaken speziell im schulischen Umfeld, es kann auch zaghafter Ausdruck von Verunsicherung sein, ob alles korrekt verstanden worden ist.

Fragen gehen einer Sache auf den Grund. Doch die Fragen, die Verena Thürkauf formuliert, lassen keine einfachen Antworten zu, sondern eröffnen eine Vielzahl neuer Fragen. Sie lösen kritisches Nach-Denken aus über «ist das unmögliche vielleicht doch machbar». Oder regen zu lustvollem Andersherum-Denken an: «wenn gedanken fliegen können sie auch nisten und eier legen», was je nach Lesart eine Frage ist oder eine Feststellung, bei der ein sprachlicher Gemeinplatz wörtlich genommen und und inhaltlich weitergesponnen wird.

Jede der sechs Wand-Schriften besteht für sich, konzeptuell fügen sie sich zu einem Ganzen. Die Schriftbilder sind von puristischer Strenge und entfalten in unterschiedlicher Weise eine besondere Ästhetik. Gemeinsam ist ihnen, dass sie in die Bausubstanz eindringen und tiefer liegende Schichten freilegen. Von fein differenzierter Farbigkeit sind die beiden raumhohen Arbeiten in der grossen Eingangshalle. Der kalkulierte Zufall spielte hier mit, weil sich beim Abreissen der vormontierten Buchstaben der Untergrund anders als gedacht löste und sich in die pastellfarbene Zartheit der Buchstaben-Negativformen nun kleine Zeitzeugen der Baugeschichte mischen.

Am tiefsten stösst der Satz in der Mensa auf den Grund vor, gedanklich wie handwerklich: Präzis, klar und messerscharf sind die Buchstaben aus dem dicken weissen Verputz herausgeschnitten, auf blankem grauem Beton steht die philosophische Frage: «ist wenn wir etwas sagen das gesagt was wirklich ist oder ist es nur sozusagen gesagt». Die Buchstaben verbinden sich zum Teil zu einem vernetzten Gewebe, ändern im letzten Satzdrittel überraschend und kopfüber die Leserichtung, so als bildeten sie einen Bezug zur Bewegung des Denkens aus. Eindrücklich ist in den Arbeiten von Verena Thürkauf stets die den Inhalten adäquate ästhetische Umsetzung.

In den Lichthöfen

In den beiden Gevierten der oberen Lichthöfe verläuft die Schrift ringsum, mit Buchstaben so hoch wie die Geschossdecke, ohne Zäsur oder Markierung, wo die Fragesätze beginnen oder aufhören. Von keinem Standort aus ist es möglich, den ganzen Text zu erfassen. Um ihn zu lesen, muss man sich im Raum bewegen. Subtil wird auf der körperlichen Ebene vorausgenommen, was auf der geistigen geschieht, wenn man über die Vielschichtigkeit der Fragestellungen nachzudenken beginnt: «müssen wir um neues denken zu können neue wörter erfinden» oder «können wir unser denken zum beispiel in die hände nehmen».

Überraschend konkret wird so das Begreifen. Weil hier oben die Unterrichtsräume und Arbeitsplätze der Studierenden sind, ist die technische Ausführung der Arbeiten ruhig und zurückhaltend, abgestimmt auf Atmosphäre und Lichtwirkung. Weiss in Weiss sind die Buchstaben gesetzt, handwerklich perfekt ausgeführt in der traditionellen Technik des Stucco lustro.

Der Kontrast von fein poliertem Hochglanz und körnig-matter Oberfläche macht sie in ihrer feinen Schattierung lesbar durch das von allen Seiten einfallende Licht. Der Benutzer der Räume ist frei, den Kopf von den Büchern zu heben und nach oben zu schauen oder auch nicht. In den Arbeitsnischen dagegen schwebt auf Augenhöhe eine lockere Abfolge von hochglänzenden Flächen, ebenfalls ausgeführt in Stucco lustro. Wie kleine Papierbögen driften sie luftig-leicht zum Fenster hin, vielleicht geistige Höhenflüge andeutend, vielleicht Lichtblitze als Gedankenblitze weiterdenkend.

Alle sechs Wand-Schriften der künstlerischen Interventionen von Verena Thürkauf sind sowohl ein wunderbar ästhetisches Schau-Spiel wie auch ein vielschichtiges tiefgründiges Denk-Spiel.