Interview
Alex Capus: «Ich bemühe mich, Fusstritte nur nach oben auszuteilen»

Am Dienstagabend liest «Hofnarr» Alex Capus in der Buchhandlung Schreiber aus seinem neuen Buch «Mein Nachbar Urs». Im Interview mit dem Oltner Tagblatt erzählt der Oltner Schriftsteller, warum er für die Rolle des Hofnarren prädestiniert ist.

Adriana Gubler
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Er geht in der Rolle des Hofnarren auf: Alex Capus.

Er geht in der Rolle des Hofnarren auf: Alex Capus.

Peter Siegrist

Alex Capus, in «Der König von Olten» haben Sie den Charme der Kleinstadt gezeichnet. In «Mein Nachbar Urs» halten Sie den Finger nun auch auf wunde Punkte.

Ich kann das nicht richtig unterscheiden. Die wunden Punkte einer Stadt machen eben auch ihren Charme aus. Die Kleinheit, die Enge und zuweilen auch die Begrenztheit sind dabei wohl die Kehrseite. Ich schaue das nicht als negativ an. Es bei einem Menschen wie auch beim Gemeinwesen dasselbe: Man kann nicht einen Teil akzeptieren und den anderen Teil ablehnen.

Das Gemeinwesen von Olten mit all seinen Kehrseiten ist für Sie ein gefundenes Fressen.

Man kann natürlich viel über die Tagesaktualität, bei der die Finanzen hohe Wellen werfen, reden. Ich selber versuche jedoch, dieses Thema gar nicht so furchtbar wichtig zu nehmen. Mich dünkt eigentlich, dass sich das «Städtli» in der letzten Zeit gut entwickelt hat. Die Stimmung ist besser als auch schon.

Inwiefern hat sich Olten positiv entwickelt?

Die autofreie Begegnungszone hat das Wesen der Innenstadt schon verändert. Darauf muss man aber nicht unbedingt extrem stolz sein. In anderen Städten war das schon vor 20 Jahren Standard. Aber die Bestrebungen in Olten gehen in die richtige Richtung. Das nehme ich auch wahr, wenn ich mit Bewohnern der rechten Stadtseite rede. Wenn in Olten ein Stadtteil ein Problem hat, dann ist es eher die alteingesessene linke Aareseite. Sie muss schauen, wie sie in diesem Jahrhundert zurechtkommt.

Besteht also Hoffnung für Olten?

Ich finde schon. Und nochmals zurück zu den Finanzen: Natürlich ist es dramatisch, wenn man über die Schliessung der Museen spricht. Aber über das Ganze gesehen ist es vielleicht auch nicht so furchtbar schlimm, wenn man nicht genügend Geld hat, um die Aare komplett zuzubetonieren. (Lacht.)

Lösen Sie mit Ihren Kolumnen viele Reaktionen aus?

Ich bekomme schon Einiges zu hören. Einige Leute hauen mich auf der Strasse an und loben mich. Das ist die Mehrzahl der Reaktionen. Aber natürlich gibt es auch jene Personen, die nicht sehr grosse Freude an meinen Kolumnen haben, und jene, die mich gar beschimpfen. Einzelne starren wie verrückt ins Schaufenster, wenn ich am Horizont auftauche, und warten, bis ich vorbei bin. Das muss man halt aushalten.

Wenn man über die Geschehnisse in einer Kleinstadt schreibt. Fühlt sich deren Bevölkerung wohl oft persönlich angesprochen.

Ja. Zudem lehne ich mich auch weit aus dem Fenster. Da kriege ich halt auch ab und zu eine Watsche ab.

Haben Sie schon mal eine Anspielung oder eine Äusserung in Ihren Kolumnen bereut?

Bereut nicht. Aber rückblickend musste ich schon feststellen, dass ich nicht immer recht habe. Ich bin dann jeweils froh, wenn ich meine Kolumnen nicht mit letztem Ingrimm geschrieben habe, sondern immer mit einer gewissen Zurückhaltung oder einer Spur Ironie. Als Beispiel: Ich war ja schon immer gegen die Umfahrungsprojekte. Im letzten Sommer nach der Eröffnung der ERO aber hatte ich das Gefühl, dass es nun tatsächlich weniger Verkehr im «Städtli» hat. Mittlerweile habe ich allerdings wieder das Gefühl, der Verkehr kommt zurück. Nun denke ich: Hatte ich nicht doch recht? Es muss einem einfach bewusst sein, dass man nicht immer recht hat.

Hatten Sie auch schon das Gefühl, dass Sie gegenüber einer Person zu weit gegangen sind?

(Zögert.) Nein, ich glaube nicht. Ich bemühe mich, Fusstritte nur nach oben und nicht nach unten auszuteilen. Diejenigen, die oben sind, haben in ihrem Lohn quasi eine Gefahrenzulage. Sie müssen solche Dinge aushalten können. Wenn man Stadtpräsident ist, gehört es dazu, dass im «Städtli» ein Hofnarr sitzt, der einem eine lange Nase dreht. Früher hat sich jeder König einen Hofnarren als Blitzableiter gehalten. Sie gingen sozusagen eine symbiotische Beziehung ein. Gerade in einer Demokratie ist es sehr wichtig, dass die Oberen wissen, dass es die andere Stimme auch gibt.

Die Rolle als Hofnarr nehmen Sie nur allzu gerne wahr ...

Die nehme ich wahr. Wenn ich jetzt schon mit dem Oltner Tagblatt rede, kann ich auch sagen: Ich nehme diese Rolle wahr, weil ich finde, dass das Oltner Tagblatt dies viel zu wenig macht.

Sie haben sich mal als «Experte für Olten» bezeichnet ...

... Experte Nummer 1. (Lacht.)

Somit sind Sie prädestiniert für diese Rolle.

Ja, natürlich. Es braucht aber auch eine Portion Frechheit und Mut. Das traut sich schon nicht jeder. Ich habe es in all den Jahren als bedeutsam empfunden, dass ich gewisse Dinge zur Sprache bringen konnte. Dinge, die die Oltner zu Hause, im «Chöbu» oder auf der Strasse bereden, aber nicht öffentlich sagen. Wie beispielsweise die Sanierung des Stadthauses, die drei Tage nach der Annahme des Budgets, begonnen hat. Klar, das ist ein unglückliches Zusammentreffen zweier Termine. Und dass man solche Arbeiten langfristig planen muss, ist mir auch klar. Aber die Leute denken sich: Nun haben wir zähneknirschend das Budget angenommen und drei Tage später beginnt die Stadt damit, ihren Palast aufzuhübschen. Aussprechen darf das niemand. Die offiziellen Funktionsträger sowieso nicht. Und dem Oltner Tagblatt würde man wohl zurecht nachsagen, es sei populistisch.

Was haben Sie eigentlich für ein Verhältnis zu Ihren Nachbarn?

Ein gutes. Das Viertel, in dem ich wohne, ist sehr angenehm. Bekanntlich braucht es in einer Nachbarschaft nur einen bösen Nachbarn, der einen ganzen Strassenzug vergiften kann. Wir pflegen eine freundliche, entspannte Nachbarschaft, jeder lässt den anderen leben. Wir haben unsere Quartierfeste. Wir interessieren uns füreinander, lassen uns aber in Frieden. Ich kann es mir nicht besser vorstellen.

Sind Sie wegen Ihrer Kolumnen nicht gefürchtet in Ihrer Nachbarschaft?

Nein. Denn erstens bemühe ich mich immer darum, Menschen mit Respekt zu behandeln. Und zweitens bin ich nicht indiskret, auch wenn das nicht unbedingt so scheinen mag. Persönliche Geschichten gebe ich nicht in meinen Kolumnen preis.

Am Dienstag lesen Sie in der Buchhandlung Schreiber. Welche Erwartungen hegen Sie an dieses Heimspiel?

Die Leute kennen mich schon, deshalb muss ich ihnen etwas Neues erzählen. Es ist nirgends so schwierig wie zu Hause – das gilt für jeden Künstler. Zu Hause denken die Leute: Mit dem war ich doch schon im Sandkasten, warum soll aus ihm etwas geworden sein? Aus mir ist ja auch nichts geworden. (Lacht herzhaft.) Je weiter weg desto einfacher sind Lesungen für mich. Am weitesten weg von Olten ist bekanntlich Solothurn. Dort ist es am einfachsten.

Warum?

Solothurn hat gegenüber allen Künstlern ein ganz anderes Verhältnis als Olten. In Solothurn ist man als Schriftsteller eine respektierte Persönlichkeit. Natürlich, hier respektiert man mich auch, als Mensch. In Olten denkt man: Schriftsteller ist ja schön, aber was arbeitest du wirklich? In Solothurn hingegen ist man jemand als Schriftsteller.