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Am Samstag haben rund 1400 Menschen in den alten SBB-Werkhallen an einem Gedenkanlass zum Landesstreik vor hundert Jahren teilgenommen. Sie erinnerten an die Ereignisse, die den Aufbruch für eine soziale und gerechtere Schweiz einläuteten.
Am 10. November vor 100 Jahren beschloss das Oltener Aktionskomitee den landesweiten Generalstreik – bis zum 14. November stand die Schweiz still. Über 250'000 Arbeiterinnen und Arbeiter streikten. Gegen Ausbeutung. Für eine sozialere Schweiz. Und für mehr politische Mitsprache. 100 Jahre danach haben am Samstag in Olten der Schweizerische Gewerkschaftsbund, die SP Schweiz und die Robert-Grimm-Gesellschaft an den Landesstreik erinnert. In den historischen SBB-Werkhallen, die damals auch bestreikt wurden, versammelten sich 1400 Menschen zu einer grossen Manifestation. Sie erinnerten an die Ereignisse, die den grossen Aufbruch für eine soziale und gerechtere Schweiz einläuteten.
Bundesrätin Simonetta Sommaruga wies in einer Rede auf die damalige Rolle der Frauen darauf hin. In Sachen Gleichstellung habe die Schweiz immer noch jahrzehntelange Verspätung, sagte sie gemäss Redetext. Sommaruga erinnerte daran, dass die Frauen damals wie zuvor schon gerannt seien, um die Streikenden zu verköstigen, um das Komitee zu unterstützen, sich um die Kinder zu kümmern.
Gedankt habe den Frauen das niemand. Dabei sei das Frauenstimmrecht ganz oben gewesen auf der Liste der Streikforderungen. Doch dann sei das Anliegen von der männlichen Bildfläche verschwunden, sagte sie gemäss Redetext. Es habe mehrere Generationen von Frauen gebraucht, die sich gegen Diskriminierung und Ausgrenzungen und gegen das Laufgitter gewehrt hätten. Zu Tausenden seien sie 1969 nach Bern marschiert, um zu sagen, was sie verlangten: Der Bundesrat solle die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnen, aber erst wenn die Frauen das Stimmrecht erhielten.
Zwei Jahre später sei es endlich so weit gewesen: Die Schweiz werde zu dem, was man eine Demokratie nennen könne: Die weibliche Bevölkerung sei nicht länger politisch unmündig gewesen. Heute hätten die Frauen zwar das Stimm- und Wahlrecht, doch in der Realität sei die Gleichstellung noch immer nicht angekommen.
Paul Rechsteiner, Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds, sagte laut Redetext, im Rückblick gehöre der Landesstreik zu den grossen Etappen der modernen Schweiz. Der Generalstreik sei damals zum Schwungrad für den Aufbau des Sozialstaates geworden. Nach dem Ultimatum des Bundesrats habe das Oltener Aktionskomitee die Weisheit gehabt, den Streik abzubrechen, um nach der Mobilisierung der Armee ein Blutvergiessen zu verhindern. In der Schweiz dürfe es nie mehr zu einem Einsatz der Armee gegen das eigene Volk kommen, mahnte Rechsteiner.
Was zunächst eine Niederlage gewesen sei, habe sich je länger je mehr in einen gewaltigen Erfolg gewandelt. Auf längere Sicht zählten also nicht die Niederlagen. Nach den Worten des St. Galler SP-Ständerat Rechsteiner zählt «die Bereitschaft und die Kraft, für berechtigte Forderungen weiterzukämpfen».
Im Streik zeige sich am klarsten, warum sich die Arbeitnehmenden in einer Gewerkschaft zusammenschliessen und gemeinsam für ihre Interessen einstehen müssten, sagte Vania Alleva, Präsidentin der Gewerkschaft Unia. Kollektives Handeln sei gelebte Solidarität. «Zusammen stehen und zusammen kämpfen» seien ein wichtiges Mittel, um den berechtigten Forderungen der Arbeitnehmerschaft Nachdruck zu verleihen, sagte Alleva mit Blick auf die Protestaktionen der Bauarbeiter in den vergangenen Wochen. «Der Streik in der Schweiz hat eine starke Gegenwart. Streiken ist aktuell, Streiken ist nötig», betonte sie. Im Zusammenhang mit der Lohngleichheit für Frauen und Männer rief die Unia-Präsidentin für 2019 zu einem neuen Frauenstreik auf.
An der musikalisch von der Perkussionsgruppe P-Train, dem Bläserensemble der SBB-Live Band und dem Chor Linksdrall sehr stimmungsvoll umrahmten Veranstaltung erinnerten die Organisatoren auch daran, dass der Kampf für den Fortschritt immer weitergeht, dass sich aber zusammenstehen und zusammen kämpfen, Ausdauer und Engagement auszahlen. Und sie gedachten der drei in Grenchen am letzten Streikmorgen von Soldaten erschossenen Arbeitern und mahnten, dass in der Schweiz nie mehr die Armee gegen das eigene Volk eingesetzt werden darf. (sda/mgt)