Aus Niederämter Sicht
Von Postkarten, Büchern und Gordon blau

Kulturelle Vielfalt auf zerknüllten Papierfetzen: Unsere Kolumnistin sammelt und schreibt eine spezielle Gattung analoger Gedankenstützen. Bei der Terminplanung setzt sie aber auf digitale Kalender.

Melanie Gamma
Melanie Gamma
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zvg

Da liegt wieder einer. Zerknüllt und eingeklemmt zwischen den Gitterstäben des Einkaufswagens. Vorsichtig ziehe ich am weissen Papier. Ich streiche das karierte Zettelchen glatt. Mit krakeliger Schrift hat jemand Salat, Brot, KURKUMA und «Kontostand?» notiert. Zuunterst steht «Mit Karte zahlen». Der Verfasser oder die Verfasserin hat an alles gedacht, was es beim Einkauf zu überlegen gibt.

Ich stecke den Zettel in die Jackentasche. Ja, ich sammle und fotografiere sie als Andenken. Die Mischung der aufgeschriebenen Produkte amüsiert mich. Ob der Papiersorten, Zettelgrössen und Handschriften staune ich. Und diese Sprachenvielfalt – von albanisch über kyrillisch bis zu Niederämter Mundart wie «Mutschli» und «Härdöpfu».

Auf einem Sammelstück steht «2 Gordon blau», «2 Ghifali» und «potateprot». Da feilte wohl eine Person, die nicht Deutsch als Muttersprache hat, mittels Einkaufszettel an ihren sprachlichen Fähigkeiten. «Poschtizettel» spiegeln irgendwie auch die aktuelle Lage. «Desinfektion für Flächen», «Tempo», «Jemalt» (für die Abwehrkräfte) und «Pall Mall» (gegen die Abwehrkräfte…) war eine Kombination auf einem, den ich während der Pandemie aus einem Körbli fischte.

Nun greife ich zu meinem eigenen, pinken Papierchen. Gemüse, Früchte, Quark, Teigwaren und Deo habe ich entsprechend der Ladeneinrichtung zum mir vertrauten Coop Trimbach notiert. Ich kann nun vom Eingang bis zur Kasse von Regal zu Regal gehen und zugreifen. Das spart Zeit und Laufwege. Für Produkte, die ich geschnappt habe, reisse ich das entsprechende Wörtchen auf meinem Zettel ein.

Etwas oldschool, ja. Es gäbe Apps, um die Einkaufsliste zu erfassen und im Laden auf dem Smartphone Artikel abzuhaken. Das ist nix für mich. Klar setze ich auf papierloses Büro und drucke der Umwelt zuliebe nur das Notwendigste. Aber manchmal ist mir echtes Papier näher, etwa bei Büchern.

Mit E-Readern kann ich nichts anfangen. Die Seiten fühlen, umblättern, ein schönes Buchzeichen einlegen, nach der Lektüre das Literaturwerk jemandem ausleihen – das kann und will ich mir nicht abgewöhnen. Durch die Bibliothek oder durch eine Buchhandlung spazieren, Bücher verschenken – ich liebe es.

Wie schön, dass auch unsere Töchter das Lesen entdeckt haben. Die zwei Bücherwürmchen fasziniert das Geschichtenhören und Erzählen ebenso wie mich. Nebst Einkaufszetteln sammle ich übrigens auch Kinderbücher.

Immerhin, meine Agenda führe ich seit einer Weile nicht mehr in Papierform. Früher war ich an Sitzungen in meinen Trimbacher Vereinen oft die Exotin, die hin und her blätterte, um Termine einzutragen.

Heute schätze ich digitale und gemeinsame Kalender (im Gegensatz zu Einkaufs-Apps). Ergänzend hängt bei uns daheim ein Familienplaner – ein alljährliches Geschenk von meinem Göttibub. Unsere Mädels und wir Eltern haben da je eine Spalte, in der ich die Arzttermine, Schulspezialtage, Kurse, Geburtstage etc. festhalte. Ist alles vollgekritzelt, weiss ich: lasst uns einen Gang herunterschalten und eine Auszeit nehmen.

Und was macht man in einem solchen «Time-out» oder in den Ferien? Die meisten: Bilder und Stories teilen in den Sozialen Medien. Tun wir auch.

Aber wir schreiben auch Postkarten. Von Hand. Mit lieben Grüssen in Worten oder mit Zeichnungen. Weil Post im Briefkasten spezieller ist als ein «Post» in der virtuellen Welt. Notieren Sie doch das nächste Mal auf Ihrem Einkaufszettel nebst Gipfeli und Cordon bleu auch Briefpapier und Marken. Trainieren Sie Ihre Handschrift – schreiben Sie jemandem. Die Freude derer, die Post kriegen, ist Ihnen gewiss.

Melanie Gamma ist Kommunikationsfachfrau und feiert mit ihrer Familie in Trimbach das Leben.