Aus Niederämter Sicht
Der Kanal, der nicht schon immer da war

Unser Kolumnist setzt sich mit einem Niederämter Bauwerk auseinander, das die Gegend seit Jahren prägt – und er vermag sich kaum vorzustellen, wie die Gegend davor ausgesehen hat.

Urs Huber
Urs Huber
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Gegenwärtig lässt Alpiq den Aarekanal an mehreren Stellen im Niederamt verstärken – um mitunter die Erdbebensicherheit zu verbessern.

Gegenwärtig lässt Alpiq den Aarekanal an mehreren Stellen im Niederamt verstärken – um mitunter die Erdbebensicherheit zu verbessern.

Bruno Kissling

Vor einiger Zeit konnte man Inserate lesen, in denen die Alpiq Hydro Aare AG ankündete, man plane Bauarbeiten am Aarekanal in Winznau und Obergösgen mit Dammertüchtigung und Instandstellungsarbeiten. Und diese Woche konnte man dann dazu im «OT» einen Bericht sehen, Titel: «20’000 Tonnen Niederämter Kiessand». An vier Stellen werde der Kanal durch Aufschüttungen verstärkt. Dies im Zusammenhang mit der seit 2020 erneuerten Konzession für das Wasserkraftwerk Gösgen.

Immer wieder, wenn ich etwas über «unseren» Kanal lese oder beim Vorbeifahren solche Veränderungen sehe, habe ich etwas «komische» Gedanken. Ich werde nämlich daran erinnert, dass dieser Kanal nicht schon immer hier war.

Der Kanal prägt das Niederamt extrem, nur noch der Turm des AKW ist um einiges dominanter, da geht es halt für alle sichtbar in die Höhe. Die 4,8 Kilometer des Kanals zwischen Winznau und Niedergösgen dehnen sich zwar sehr weit aus, aber sind so natürlich in die Umgebung eingewachsen, man könnte meinen, er wäre schon immer da.

Er gehört heute zur Kulturlandschaft des Niederamtes, wie wenn er schon immer da gewesen wäre. Dabei ist auch er ein Kunstprodukt, ein Eingriff des Menschen in die Landschaft. Aber halt schön, so empfinde ich es, und gerade jetzt im Herbst wohl fast alle hier im Niederamt.

Er gehört zu mir, meiner Umgebung, zu Winznau, Obergösgen, Niedergösgen. Er prägte aber auch viele anderen Dörfer direkt. Vor dem Kanalbau überschwemmte das Hochwasser der Aare die ganze Ebene mit bis zu 30 Zentimeter Wasser, sagte mir meine Grossmutter, Jahrgang 1889, das gab einen speziellen Schulweg vom Schachen Fährequartier ins Dorf Obergösgen. Ich nehme an, diese Überschwemmungen war auch in den tiefer gelegenen Gebieten aller Niederämter Aaregemeinden der Fall. Der Kanalbau führte so zu mehr «brauchbarem» Land, heute oft Industrieareale.

Interessanterweise habe ich jetzt als Kantonsrat eine Vorlage auf dem Tisch, die trägt den Titel: «Alpiq Hydro Aare AG: Konzessionsanpassung Wasserkraftwerk Gösgen». Inhalt: Mit der Energie aus dem Wasserkraftwerk Gösgen will man in Zukunft auch Wasserstoff herstellen. Die Welt dreht sich weiter, der Kanal bleibt.

Das da eben nicht schon immer ein Kanal stand, wurde mir auch erst mit 30 so richtig bewusst. Anlässlich der 700 Jahre-Feiern der Schweiz gab es auch in Obergösgen verschiedene Aktivitäten. Peter von Arx sel. hatte die Idee und die Fotos, eine Fotoausstellung zum Bau des Kanals zu machen. Er fragte mich an, ob ich für diese Ausstellung die Untertitel bearbeiten und drucken könnte.

Da sass ich dann regelmässig vor dem Bildschirm, sah mir Fotos an und versank in die Zeit des Kanalbaus. Der wurde nämlich während des Ersten Weltkriegs gebaut und 1917 wurde das Wasserkraftwerk Gösgen in Betrieb genommen. Es war damals sogar das grösste Laufkraftwerk der Schweiz.

Ich sah also diese Fotos, wie da ein Kanal in die Landschaft gegraben aber auch gestellt wurde. Und ich stellte mir die Zeit vor dem Kanalbau vor, die Zeit meiner Ur- und Grosseltern. Da sah man also vorher vom Dorf, vom Unterdorf und anderen Stellen direkt auf eine ganz flache Ebene. Ohne ebendiesen Damm dazwischen.

Wenn Sie das nächste Mal über den Damm wandern, mit dem Velo entlang fahren oder über eine Brücke fahren oder laufen, oder zum Kanal hin schauen: Versuchen Sie sich mal das Bild ohne den Kanal mit dem Damm zu denken! Mir scheint dann jedes mal die künstlich geschaffene Wirklichkeit natürlicher als die Vorstellung, wie es vorher war.

Weil der Kanal, der nicht immer da war, für mich schon immer da war.

Urs Huber wohnt in Obergösgen. Er ist Sekretär beim Schweizerischen Eisenbahnerverband und SP-Kantonsrat.

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