Wir alle haben in der Schule gelernt, dass die Schweiz eine Demokratie ist. Wir haben auch gelernt, dass die Demokratie eine Idee der alten Griechen war und deshalb die Bezeichnung dafür aus dem Altgriechischen stammt. Und weil die Demokratie in der Schweiz etwas wichtiges ist, wissen die meisten, dass dieser Begriff übersetzt «Herrschaft des Volkes» bedeutet.
Als Kind habe ich mir vorgestellt, dass die Macht in demokratischen Ländern von allen Menschen gemeinsam ausgeübt wird, dass sie zusammen herrschen. Später musste ich dann erfahren, dass die Frauen in der Schweiz sehr lange Zeit von diesem Recht ausgeschlossen waren. Meine Vorstellung von Demokratie erhielt einen ersten Riss. Immerhin – dachte ich – ist diese Ungleichheit mittlerweile beseitigt.
Aber auch heute weist unsere Demokratie nach wie vor grosse Defizite auf, denn ein beachtlicher Teil unserer Bevölkerung ist vom Stimm- und Wahlrecht ausgeschlossen: alle jene, die zwar zur Bevölkerung gehören, aber keinen Schweizer Pass haben.
Viele von ihnen sind seit Jahren unsere Nachbarn, Mitarbeiterinnen oder gar mit uns verwandt. Sie tragen massgeblich zu unserer Gesellschaft bei, sei es mit ihrer Arbeitskraft, ihrem Engagement in Vereinen oder indem sie Steuern bezahlen. Wie begründen wir, dass diese Menschen von jeglicher demokratischer Mitbestimmung ausgeschlossen sind? Wie rechtfertigen wir, dass wir ihnen wichtige Rechte verwehren, sie aber allen Pflichten nachkommen müssen? Den Militärdienst klammere ich hier bewusst aus, da ihn auch momentan nicht alle Stimmberechtigten leisten müssen.
Gleichzeitig kämpfen wir seit Jahren mit einer tiefen Stimmbeteiligung und Personalmangel auf Gemeindeebene. Vielerorts gibt es stille Wahlen, Kommissionssitze bleiben vakant und Gemeindeversammlungen werden kaum mehr besucht. Beispiele aus unserer Region gibt es genügend dazu. In Obergösgen wurde an der letzten Gemeindeversammlung ein schwerwiegender Entscheid von nur 14 Personen getroffen, in Niedergösgen gab es zum zweiten Mal in Folge stille Wahlen, trotz über 2000 Stimmberechtigten.
Können wir es uns überhaupt noch leisten, Menschen, die sich engagieren wollen, weiter auszuschliessen? Wäre es nicht für den Zusammenhalt in unseren Gemeinden wichtig, Entscheide möglichst breit abzustützen und so deren Akzeptanz zu erhöhen?
Am 26. September stimmen wir über eine Initiative ab, die genau dies ermöglichen will. Es geht um das Stimm- und Wahlrecht für Personen mit einer Niederlassungsbewilligung; um Menschen, die mit uns zur Schule gegangen sind, unser politisches System gleich gut kennen wie wir und fester Teil unserer Gesellschaft sind. Die Initiative will, dass die Gemeinden selbst entscheiden können, ob und in welchem Rahmen sie das Stimm- und Wahlrecht auf Niedergelassene erweitern möchten. Es geht also auch um eine Stärkung der Gemeindeautonomie. Der Kanton Solothurn hat die Chance, nicht nur der Kanton der Regionen zu sein, sondern auch der Kanton der Gemeinden: Wo jede Gemeinde für sich entscheiden kann, was sie will und was nicht, angepasst an Ideen und Bedürfnisse der Menschen vor Ort.
Für mich gibt es keinen triftigen Grund, diese Ungerechtigkeit weiter aufrecht zu erhalten und gleichzeitig den Gemeinden Entscheidungsspielraum zu verwehren. Wir haben nichts zu verlieren, aber viel zu gewinnen. Wenn wir anderen Menschen mehr Rechte zusprechen, haben wir dadurch nicht automatisch selbst weniger. Demokratie ist kein Kuchen.
Melina Aletti studiert Pharmazie und lebt in Niedergösgen.