Aus Niederämter Sicht
Adieu Kasperle!

Unsere Kolumnistin verabschiedet sich von einer Lostorferin, die mit ihren selbst hergestellten Figuren und Puppen viele Kinderherzen glücklich machte.

Raphaela Glättli-Gysi
Raphaela Glättli-Gysi
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Elisabeth Häubi-Adler aus Lostorf, hier in einer Aufnahme vom Februar 2021, tourte einst als Puppenspielerin durch die ganze Schweiz. Nun ist sie diese Woche im Alter von 88 Jahren gestorben.

Elisabeth Häubi-Adler aus Lostorf, hier in einer Aufnahme vom Februar 2021, tourte einst als Puppenspielerin durch die ganze Schweiz. Nun ist sie diese Woche im Alter von 88 Jahren gestorben.

Bruno Kissling

Manchmal muss man auch seine Meinung ändern dürfen, schon Geschriebenes umschreiben, neu schreiben, verwerfen oder einfach verschieben dürfen. Letzteres habe ich nun gemacht, als ich heute Morgen früh die Todesanzeige in dieser Zeitung las.

Lisbeth hatte ihre letzte Reise angetreten. Nicht nur den hier aufgewachsenen Lostorferinnen und Lostorfern war und ist Lisbeth ein Begriff. Nein, sie tourte mit ihrem Puppentheater früher durch die ganze Schweiz und hatte damit viel Erfolg. Sie war bis weit nach 80 immer noch präsent im Dorf. Man traf sie beim einkaufen im Migros oder beim spazieren.

Sie kam an jede Jahresversammlung im Buechehof, lobte und kritisierte aber manchmal auch, immer als eine der ersten den Jahresbericht des Vereins. Und sei es nur die Anmerkung gewesen, ob sich ein Geschäftsleitungsmitglied wirklich mit Dreitagebart ablichten lassen solle.

Ihre Leserbriefe in der Zeitung waren direkt und deutlich in der Aussage, über Missstände müsse man reden, war stets ihr Credo. Auch im Dorfmuseum liess sie keine Generalversammlung aus, stellte auch dort gezielte, wichtige Fragen. Sie besuchte die meisten Ausstellungen. 2017 realisierte das Dorfmuseum eine Ausstellung mit ihrem Puppentheater. Die Betonung liegt auf «mit». Denn sie spielte mit ihren zwei ehemaligen Mitspielenden nochmals Kasperli-Stücke.

Die heutigen Lostorfer Kinder waren begeistert, viele der Eltern etwas wehmütig, weil sie mit dem Kasperle, wie Lisbeth ihn nannte, aufgewachsen waren.

Den Wiener Dialekt hatte sie nie ganz abgelegt, was den Geschichten auch einen Weite-Welt-Aspekt verlieh. Vierzig Stücke hatte sie selbst geschrieben, die rund 200 Puppen alle in unzähligen Stunden selbst angefertigt. Die Figuren hat Lisbeth dem Dorfmuseum vermacht, sie sind aber inzwischen als Leihgabe im Schweizer Figurentheater in Fribourg zu sehen.

Nur der Kasperle, die Hexe und noch zwei, drei weitere Figuren stehen im Dorfmuseum. Museo, die Museumsmaus, versteckt sich gerne unter den Rockschichten der Hexe für den Winterschlaf. 2018 stellte Lisbeth im Dachgeschoss des Museums ihr Buch «Brave Mädchen fragen nicht» vor. Das Museum platzte fast aus den Steinmauern.

Wer mit etwas Unbehagen an die Pflicht-Schullektüre «Das Tagebuch der Anne Frank» dachte beim Lesen des Klappentextes, wurde positiv überrascht. Es war Lisbeth gelungen, die Tragik ihrer kriegsbelasteten Kindheit als Tochter eines jüdischen Vaters so zu erzählen, dass man spürte, dass sie sich mit dem Geschehenen versöhnt hatte und in der Retroperspektive aus der Sicht der erwachsenen Schreibenden viel erklären konnte und wollte, wonach sie als Kind eben nicht fragen durfte oder keine Antworten bekam.

Was für eine Geschichte! Wenn Lisbeth erzählte, war immer auch ihre positiv denkende Wesensart und eine gehörige Portion Neugier und Wissbegierigkeit dabei. Immer und trotz allem. Sie war in den 70er- Jahren die erste Gemeinderätin in Lostorf und dann Mitglied der ersten Heimkommission des Buechehofs. Sie prägte die Institution für «seelenpflegebedürftige Erwachsene», wie die Bezeichnung vor nunmehr 35 Jahren noch lautete, massgeblich mit.

Im Mai in diesem Jahr wurde sie daher erstes Ehrenmitglied. Wieder schaffte sie es mit den Anekdoten aus alten Zeiten die Anwesenden bestens zu unterhalten.

Liebe Lisbeth Häubi, wir kannten uns eigentlich gar nicht so gut, da ich ja nicht hier aufgewachsen bin. Umso mehr bin ich froh, dass wir Deine Kasperle-Stücke als Filme oder als Hörtexte im Museum aufbewahren dürfen und so ein Stück Lostorfer Geschichte und damit verbundene Kindheitserinnerungen erhalten bleiben. Danke und Adieu!

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