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Schweiz
Anfang Mai sorgte die Geschichte des Investmentbankers, der mutmasslich wegen Geldproblemen angefangen hat, zu Hause die Droge Crystal Meth herzustellen, national für Schlagzeilen. Jetzt geht Carl Velve in die Offensive und widerspricht der Darstellung.
«‹Breaking Bad› in Oberägeri ZG: Polizei hebt Drogenlabor aus», titelte der «Blick» in Anlehnung an die gleichnamige Erfolgsserie, in der der erkrankte Chemielehrer Walter White beginnt, Crystal Meth herzustellen, um die Zukunft seiner Familie zu sichern. Und der «Bund» aus Bern sah gar einen weiteren Beleg dafür, dass auch synthetische Drogen vermehrt im Inland hergestellt werden. Seit der Verhaftung Ende April sitzt der 41-jährige Carl Velve, ein Investmentbanker aus Norwegen, nun in der Strafanstalt Zug (siehe Box). Während die Polizei stets auf die laufenden Ermittlungen verweist und nichts sagt, will er nun reden. Er sei unschuldig.
Carl Velve, wieso das Interview?
Es ist in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden und auch die Staatsanwaltschaft scheint fieberhaft in diese Richtung zu ermitteln, dass ich eine Art Walter White bin, ein Krimineller, aber das stimmt überhaupt nicht. Hier wird aus einer Maus ein Elefant gemacht.
Wieso?
Wenn ein 41-Jähriger aus wissenschaftlichem Interesse und Leidenschaft als Hobby zu Hause mit chemischen Stoffen experimentiert, wirkt das für die Ermittler verdächtig, aber Firmen machen das doch auch und da ist es legal. Dabei geht vergessen, dass viele Innovationen beim hobbymässigen Experimentieren entstanden sind. Apple wurde bekanntlich in einer Garage gegründet.
Am 25. April diesen Jahres rückte die Zuger Polizei ins Quartier Erlimatt in Oberägeri aus. Doch sie trafen keinen Einbrecher an, sondern den Eigentümer der Wohnung, der sich wegen fehlenden Stroms mit einer Taschenlampe aushalf. Im Inneren entdeckten sie ein komplett eingerichtetes Labor sowie Behälter mit «undefinierbaren» Substanzen. Gemäss erster Einschätzung der Polizeiexperten handelte es sich um ein Labor, in dem synthetische Drogen, unter anderem Crystal Meth, hergestellt werden könnten. (cg)
Was hat das mit Ihnen zu tun?
Lassen Sie mich von vorne anfangen. Ich bin in Norwegen aufgewachsen. Mit acht Jahren habe ich meinen ersten Chemiekoffer geschenkt bekommen. Ich war fasziniert davon, wie das viele Jungs sind, und habe mir mit der Zeit ein richtiges kleines Labor zu Hause eingerichtet. Das Experimentieren mit chemischen Flüssigkeiten wurde zu meiner Passion. Mit 17 ging ich in die USA und beendete meine Schulzeit an einer Highschool mit naturwissenschaftlichem Schwerpunkt.
Laut Lebenslauf sind Sie aber Ökonom?
Das stimmt, an amerikanischen Universitäten ist es aber üblich, mehrere Studienfächer zu kombinieren. Nebst Ökonomie habe ich deshalb in Harvard auch acht Semester Mathematik und sieben Semester Chemie studiert und habe auch im Universitätslabor gearbeitet.
Haben dann aber als Investmentbanker für JP Morgan gearbeitet?
Ja, bei Hedgefonds im Bereich Windkraft und Gas. Da kamen mir meine naturwissenschaftlichen Kenntnisse zugute. Zu Hause experimentiert habe ich aber weiterhin. Als ich dann nach einer Anstellung bei einer Investmentbank in Genf nach Oberägeri zog, um mich im Kanton Zug selbstständig zu machen, habe ich in die neue Wohnung deshalb auch gleich wieder ein eigenes Labor eingebaut.
Um zu experimentieren?
Ja, aber natürlich anders als kleiner Junge, da hatte ich mich mit einfachen Reaktionen beschäftigt, also beispielsweise damit, ein kleines Feuerwerk hinzubekommen.
Und als Erwachsener?
Ich konzentrierte mich in den letzten Jahren auf Phenylethylamine, eine Stoffgruppe, die weit in der Natur verbreitet ist, auch Adrenalin gehört dazu. Mit dieser Gruppe habe ich experimentiert, mit dem Ziel herauszufinden, was für Reaktionen rund um die Stoffe stattfinden können und was es für synthetische Substitute gibt. Vor allem hat mich interessiert, wie man die Reaktionen, also beispielsweise durch Adrenalin schnell an Energiereserven heranzukommen, modifizieren kann. So, dass diese schon früher oder intensiver ablaufen.
Wie sind Sie an die Chemikalien gekommen?
Die habe ich ganz legal bei Fachhändlern gekauft. Diese verkaufen das auch nicht jedem, man muss glaubhaft machen können, dass man damit nichts Illegales vorhat, das konnte ich.
Auch synthetisch hergestellte Metamphetamine, bekannt als Crystal Meth, sind Phenylethylamine.
Das sind die simpelsten und am besten erforschten Varianten dieser Gruppe. Das Wissen darüber ist elementar, um sich mit komplexeren Stoffen auseinandersetzen zu können. Ich habe deshalb im Betäubungsmittelgesetz nachgeschaut und auch einen Anwalt konsultiert und es so verstanden, dass es keine rechtlichen Konsequenzen hat, wenn man ohne kriminelle Absicht und nur in kleinen Mengen produziert. Ich habe aber nicht nur mit sogenannt psychoaktiven Substanzen experimentiert, sondern etwa auch mit Nanoteilchen. Ich bin eben Wissenschaftler und sicher kein Drogendealer.
Aber Sie haben Crystal Meth hergestellt und konsumiert?
Abhängig davon, wie man die Stoffe modifiziert, haben sie unterschiedliche Reaktionen. Das kann man nur herausfinden, indem man sie auch selbst testet. Ich habe aber nur sehr wenig produziert und nie etwas davon verkauft.
Dann ging aber Ihr Unternehmen Pleite, Ihr Auto und die Wohnung wurden gepfändet und der Strom abgeschaltet.
Bei der Firma handelte es sich um einen Investmentfonds für Beteiligungen an Windparks. Anfänglich ging auch alles gut, einer der Beteiligten aber, der für die Betreuung von Investoren zuständig war, hat uns gewissermassen angelogen und einen Teil der Investoren nur erfunden, dadurch hat der Fonds viel Glaubwürdigkeit am Markt verloren, brach zusammen und das Geld war weg.
Und das war kein Grund, doch einmal für andere zu produzieren?
Ich weiss seit Jahren, wie man Crystal Meth herstellt, hätte ich dieses verkaufen wollen, hätte ich das viel früher gemacht und meine Wohnung wäre gar nicht erst gepfändet worden. Ich habe im Zug meiner Experimente nur einmal das, was man unter Crystal Meth versteht, wirklich hergestellt, das war vor zirka zweieinhalb Jahren. Deshalb hat die Polizei auch keines bei mir Zuhause gefunden, sondern nur Rückstände. Ehrlicherweise habe ich einmal daran gedacht, als letzte Option, mehr zu produzieren, mich aber klar dagegen entschieden. Wenn man einmal in diese Spirale käme, wäre es sicher schwer, wieder rauszukommen und ich habe viel zu viel zu verlieren – meine wundervolle Frau und meine zwei Kinder. Da will ich nicht Jahre meines Lebens im Gefängnis verbringen.
Wo ist Ihre Familie jetzt?
Meine Frau war mit unserem vierjährigen Sohn gerade im Urlaub bei ihrer Familie in Argentinien, als ich festgenommen wurde – meine elfjährige Tochter lebt bei meiner Exfrau. Da meine ganzen Konten momentan blockiert sind, hat es keinen Sinn, dass meine Frau in die Schweiz zurückkommt. Sie hätte hier nichts. Wir telefonieren zweimal pro Woche. Es geht ihr aber nicht gut.
Und wie geht es Ihnen?
Auch nicht gut. Mein Gesuch auf Haftentlassung bis zur Verhandlung wurde abgelehnt, da bei mir als Ausländer Fluchtgefahr gelte. Ich müsste, um die Existenz meiner Familie zu retten, so viel regeln, sonst wird es noch schlimmer. Ich habe beispielsweise Bonusgelder aus meiner Anstellung in Genf zugute, um deren Auszahlung ich mich kümmern müsste. Aber hier im Gefängnis sind mir die Hände gebunden. Bisher wurde auch keine Anklage erhoben, es findet nun noch eine letzte Einvernahme statt. Ich hoffe, dass dann das Gericht die Faktenlage richtig und unvoreingenommen beurteilt. Falls ich mich geirrt habe und die Experimente nicht machen durfte, bin ich übrigens auch gerne bereit, rechtliche Verantwortung zu übernehmen. Wichtig ist aber: Ich habe weder gedealt noch hatte ich kriminelle Absichten.
Das Interview ist zu Ende. Zwei Türen führen aus dem Besucherraum der Strafanstalt. Carl Velve ruft nach dem Sicherheitspersonal: «Die raus, ich rein», sagt er mit einem verschmitzten Lächeln.