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Im Zusammenhang mit dem Millionenloch bei der Schweizer Hochseeflotte hatte die Eidgenössische Finanzkontrolle 2016 Strafanzeige bei der Bundesanwaltschaft eingereicht, doch diese wurde nicht aktiv. Das könnte sich noch ändern
Der Festakt ging am 7. Juni 2000 über die Bühne oder besser über die Hafenstrasse. In Rotterdam wurde das neuste Mitglied der Schweizer Hochseeflotte feierlich getauft. Der Name, den der Mehrzweckfrachter erhielt: MV «Sabina». Auf der spezialisierten Website swiss-ships.ch ist noch heute zu lesen: «Am selben Tag fand die Schiffstaufe durch Frau Sabina Eichmann statt.»
Pikant: Sabina Eichmann ist die Tochter von Michael Eichmann. Jurist Eichmann war damals der Mann im Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL), über den die Bürgschaften der Eidgenossenschaft für Hochseeschiffe liefen. Auch die Bürgschaft für die «Sabina».
Der Taufakt aus dem Jahr 2000 wirkt bis heute nach. Die «Sabina» ist einer jener acht Frachter, die den Bund nun viel Geld kosten. Bis zu 200 Millionen Franken, so ein von der «Nordwestschweiz» kürzlich enthülltes Geheimpapier des zuständigen Wirtschaftsministers Johann Schneider-Ammann, muss die Eidgenossenschaft aufwerfen. Denn der Eigentümer der «Sabina» und elf weiterer Schiffe der subventionierten Flotte ist in Schieflage. Nun muss der Bund die Bürgschaften, die er stellte, einlösen.
Bern behandelt es als Geheimsache, aber CVP-Ständerat Pirmin Bischof (SO) wusste früh Bescheid über Pläne von Wirtschaftsminister Schneider-Ammann, unrentable Hochseeschiffe zu verkaufen. In einer bis heute nicht beantworteten Interpellation vom 18. März 2016 fragte Bischof: «Warum sollen Schweizer Reeder gegen ihren Willen und entgegen den Empfehlungen der involvierten Banken gezwungen werden, Schiffe, die mit Bundesbürgschaften finanziert worden sind, vorzeitig zu verkaufen?» Was Bischof genau weiss, ist offen. Er antwortete nicht auf eine E-Mail-Anfrage.
Aber es wird noch abenteuerlicher. Michael Eichmann wurde Anfang 2012 beim Bund pensioniert. Heute arbeitet er aber just für die Reederei, die in Schieflage ist und zu der die «Sabina» gehört. Eichmann wirkt unter anderem als Pressesprecher des Unternehmens. Er ist auch Verwaltungsratspräsident der Aktiengesellschaft der SCL Anita AG, der das gleichnamige Schiff gehört. Auch die «Anita» ist einer der Frachter, die den Bund nun viel Geld kosten dürften.
Seltsame Seilschaften um Bürgschaften. Ging alles mit rechten Dingen zu? Recherchen der «Nordwestschweiz» zeigen: Die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) bezweifelt dies. EFK-Direktor Michel Huissoud persönlich hat am 6. Juni 2016 eine Strafanzeige direkt bei Bundesanwalt Michael Lauber eingereicht, wie die Bundesanwaltschaft (BA) auf Anfrage bestätigt.
Die BA hat der EFK-Anzeige letztendlich zwar nicht stattgegeben: Sie hat im letzten Oktober Nichtanhandnahme verfügt. In der Verfügung der BA, die der «Nordwestschweiz» anonymisiert vorliegt, werden als Gründe etwa genannt: Einerseits seien Tatbestände verjährt, andererseits habe die EFK trotz wiederholter Nachfrage keine «weiteren notwendigen, sachdienlichen Unterlagen» eingereicht.
Aus der Verfügung geht aber auch hervor, welche Straftaten die EFK vermutete: Organe einer Schiffsgesellschaft hätten «im Zusammenhang mit der Verlängerung einer Bürgschaft deliktische Handlungen begangen». Die EFK vermutete, dass «falsche Angaben zum Kaufpreis» eines Schiffes gemacht wurden, was «Leistungsbetrug» bedeuten würde.
Zudem zeigte die EFK einen BWL-Mitarbeiter «wegen ungetreuer Amtsführung im Zusammenhang mit der Bewilligung von Stundungen der Amortisationen verbürgter Schiffe zugunsten einer Finanzierung nicht verbürgter Schiffe» an, steht in der BA-Verfügung.
EFK-Direktor Huissoud will sich derzeit nicht zum Fall äussern. Aber bald wird es mehr Klarheit geben: Im Auftrag von Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann hat die EFK letztes Jahr eine Administrativuntersuchung zum BWL durchgeführt. Die dürfte bald publiziert werden. Die EFK hatte Auftrag, auch mögliche Straftatbestände auszuleuchten. Also muss die BA eventuell über die Bücher.
Es ist unklar, ob die EFK mit dem BWL-Mitarbeiter Michael Eichmann meint. Er selbst hält das für wahrscheinlich, wie er auf Anfrage sagt, zumal die Fälle über seinen Tisch liefen. Aber der Ex-BWL-Mann betont mit Nachdruck seine Unschuld. Er habe sich in seiner ganzen über 30-jährigen Amtszeit beim Bund nie irgendwelche Vorteile zukommen lassen, sagt er zur «Nordwestschweiz». «Beim BWL lief in meiner Zeit nie etwas unter dem Tisch. Ich kann nicht nur für mich reden, sondern fürs ganze Amt. Ob nicht der eine oder andere Fehler begangen wurde, ist eine andere Frage.»
Das mit der «Sabina» lief laut Eichmann so: Der Eigner der Flotte habe nach einem Frauennamen für das neue Schiff gesucht. «Er fragte mich: Haben Sie eine Tochter? Ich sagte: Ja, sie heisst Sabina.» Er, Eichmann, habe danach seinen Vorgesetzten, den damaligen Delegierten für wirtschaftliche Landesversorgung, Andreas Bellwald um sein Einverständnis für die Namensgebung gefragt.
Dieser habe eingewilligt unter der Bedingung, dass er am Festakt eine Ansprache zum Thema Landesversorgung halte. Das habe er getan, so Eichmann. Als dann Gerüchte aufkamen, habe er eine Untersuchung gegen sich selbst verlangt, sagt Eichmann. Und diese habe ihn entlastet. Dass die Sache jetzt aber dumm aussehe, räumt er ein. «Heute würde ich es nicht mehr machen», sagt der Jurist, der auch als militärischer Untersuchungsrichter aktiv war.
Dass er nun für die Gruppe arbeite, die in Schieflage ist, sei ebenfalls einfach zu erklären, so Eichmann: Der Inhaber habe ihn kurz vor seinem Austritt 2012 beim Bund gefragt, ob er der Firma mit seinem Fachwissen in der Krise helfen könne.
Geht es nach Eichmann, ist einzig die seit 2008 tobende globale Krise der Schifffahrtsbranche verantwortlich für die Misere. Dass Amortisationen gestundet wurden, sei nötig gewesen: Firmen, die operativ nichts verdienen, könnten logischerweise auch keine Schulden zurückzahlen.
Eichmann ist der Ansicht, man suche jetzt einen Sündenbock. Dabei hätten er und das BWL nur Vorgaben der Politik umgesetzt. Die Finanzkontrolle habe ihn nie befragt, auch sonst keine Behörde, sagt Eichmann. «Ich hätte alles erklären können, da bin ich mir sicher.»
Politiker in Bern behaupteten 2008, die Schweiz habe mit ihrer Flotte noch nie Verluste erlitten. Eine Falschbehauptung, wie Recherchen zeigen.
Ende 2007 hatte der Ständerat bereits mit 22 zu 0 Stimmen vorgespurt. Am 3. März 2008 war der Nationalrat am Zug. Es ging um die Erhöhung des Bürgschafts-Rahmenkredits für die Hochseeschifffahrt um 500 Millionen auf 1,1 Milliarden. SVP-Nationalrat Max Binder sagte als Kommissionssprecher: Mit der Flotte habe seit «1948 respektive 1959 noch kein einziger Franken Verlust hingenommen werden» müssen. «Ein tatsächliches Risiko ist also verschwindend gering bei einem auf der anderen Seite sehr hohen Mass an Versorgungssicherheit.»
Wirtschaftsministerin Doris Leuthard (CVP) sagte: «Diese Vorlage zu unserer Schweizer Hochseeschifffahrt ist ein Routinegeschäft.» Und: «Seit 1948, als der Bund mit der Schifffahrtsförderung begonnen hat, haben wir noch nie – noch nie! – einen Verlust erlitten.» Unter diesem Eindruck stimmte das Parlament zu.
Rückblende ins Jahr 1957: Der Nationalrat lag am 20. März in den Nachwehen der Affäre um die vier Schiffe starke Hochseeflotte der Nautilus-AG. Die Nautilus hatte ab 1950 Bundesdarlehen von rund 24 Millionen sowie eine Bundesbürgschaft von 5 Millionen erhalten. Die Gesellschaft geriet in Schieflage, und der Bund musste einspringen. Genau wie heute. Bundespräsident und Finanzminister Hans Streuli (FDP) rechnete im Nationalrat vor: «Die Abrechnung ergab, einschliesslich des Unternehmensverlustes für 1954 von über 2 Millionen Franken, einen Sanierungsverlust des Bundes von 19,2 Mio Franken.» Immerhin handelte der Bund mit dem Käufer der Nautilus-Flotte aus, dass dieser in den folgenden Jahren 12 Millionen zurückzahlen sollte. Streuli hoffte: «Der Verlust des Bundes könnte damit schliesslich auf etwa 7 Mio. Franken beschränkt werden.» Das wären heute etwa 29 Millionen.
Die Mär wurde nicht 2008 erfunden. Sie wurde schon ab den 90er-Jahren immer wieder verbreitet.
Nur zwei Parlamentarier stimmten 2008 gegen den Kredit. Walter Müller und Georges Theiler (je FDP). Theiler erinnert sich: «Es hiess, der Bund habe nie mit der Flotte verloren. Dabei war klar: Jede Bürgschaft ist ein echtes Risiko.» Er sieht sich bestätigt: «Ich hatte wohl die richtige Nase.» Und für ihn als Liberalen sei stets klar gewesen: «Der Transport zur See ist keine Staatsaufgabe.» (hay)