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Schweiz
Am Samstag wird Jürg Grossen zum Präsidenten der Grünliberalen gewählt. Im Interview erklärt der Berner, warum die CVP für ihn kein verlässlicher Partner ist und was ihn von Vorgänger Martin Bäumle unterscheidet.
Jürg Grossen: Ja. Mir ist es lieber, als verlässliche, grundsolide Person zu gelten denn als Schaumschläger, der bloss laute Töne spuckt.
Das liest niemand gerne über sich selbst. Der entsprechende Journalist hat aber noch nie mit mir gesprochen, deshalb geht das bei mir zum einen Ohr rein und zum anderen raus.
Lehrer, Polizisten und Fussballschiedsrichter erhalten noch viel weniger Dank als ein Parteipräsident.
Ich bin ehrgeizig, ich mag anspruchsvolle Aufgaben. Und ich bin überzeugt, als GLP-Identifikationsfigur einiges bewegen zu können: Ich will für eine offene, liberale, wandlungsfähige Schweiz kämpfen.
Als Unternehmer bin ich es gewohnt, weit mehr als in einem 100-Prozent-Pensum zu arbeiten. Aber auch ich bin schon an meine Grenzen gestossen: In der Gründungszeit meines Unternehmens, ich war 25-jährig, litt ich monatelang an Magenproblemen, weil ich wegen der immensen beruflichen Belastung kaum mehr dazu kam, als Ausgleich Sport zu treiben. Seither steht mein körperliches Wohlbefinden an erster Stelle, noch vor der Familie und meinem Unternehmen. Wenn ich nicht gesund bin, nütze ich niemandem etwas.
Nein. Zumal ich mich ebenfalls als Alphatier sehe. Wie Bäumle gehe ich gerne voran, wenn ich von einer Sache überzeugt bin.
Jürg Grossen kommt aus dem Berner Oberland, wo andere Parteien als die GLP die Nase vorne haben. Und anders als ein Grossteil der Wählerschaft ist er nicht Akademiker, sondern hat eine Berufslehre absolviert. Führungserfahrung hat Grossen: Der Elektroplaner leitet ein Unternehmen mit 40 Angestellten. Und im FC Nationalrat zieht der Vater dreier Kinder (13-, 17- und 19-jährig) als Regisseur hinter den Sturmspitzen die Fäden. (dbü)
Ich bin vielleicht etwas teamorientierter als er. Und mit Sicherheit kann ich besser Fussball spielen (lacht).
Enorm wichtig. Lösungen, die im Team erarbeitet werden, sind qualitativ besser und haben länger Bestand, das weiss ich als Unternehmer aus eigener Erfahrung. Ich möchte nicht das einzige Aushängeschild der Partei sein, sondern Hand in Hand arbeiten mit Fraktionschefin Tiana Moser und Kathrin Bertschy, der Präsidentin des GLP Lab, sowie den übrigen Fraktions- und Geschäftsleitungsmitgliedern.
(Überlegt lange). Wen meinen Sie?
(Schmunzelt). Pfisters Kurs nützt uns wohl tatsächlich: Unter seiner Führung wurde die Gesellschaftspolitik der CVP noch konservativer, zudem zeigt sie neuerdings Abschottungstendenzen gegenüber Europa. Und auch für eine enkeltaugliche Umweltpolitik ist sie für uns kein verlässlicher Partner.
Doris Leuthard ist die beste CVP-Politikerin, aber auch sie handelt bei weitem nicht ökologisch genug: Ihre Energiewende ist bloss ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Die Schweiz stösst beim Verkehr nach wie vor gleich viel CO2 aus wie 1990 – für ein wohlhabendes Land ein Debakel, das gegenüber kommenden Generationen nicht zu verantworten ist.
Mein Mindestziel lautet, die Fünf-Prozent-Hürde wieder zu übertreffen. Und wir wollen Sitze zurückgewinnen. Ich bin mir jedoch bewusst, dass die Grosswetterlage entscheidender ist für den Erfolg als der Parteipräsident: Nach der von der Atomkatastrophe in Fukushima geprägten Wahl 2011 waren wir im Parlament leicht übervertreten; vier Jahre später waren wir untervertreten, da wir unsere Wählerschaft in einem von Migration dominierten Jahr zu wenig mobilisieren konnten.
Nichts. Meine Aussage war allgemein gemeint: Wenn ich einen Kandidaten und eine Kandidatin für gleich gut erachte, wähle ich die Frau, weil die Frauen im Bundesrat untervertreten sind.
Ich werde mich erst entscheiden, nachdem wir anlässlich eines Hearings alle Kandidaten auf deren Persönlichkeit und unsere grünliberalen Werte geprüft haben. Persönlich hoffe ich, dass die FDP ein Dreier-Ticket präsentiert: Pierre Maudet macht mir in Zeitungsinterviews einen sehr guten Eindruck, ihn würde ich gerne besser kennen lernen.