Analyse
Neuer Bundesanwalt Stefan Blättler: Er steht für den Kulturwandel in der Strafjustiz

Die Bundesversammlung wählte den Nachfolger des gescheiterten Michael Lauber. Der Neue könnte sich als Glücksfall erweisen.

Henry Habegger
Henry Habegger
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Stefan Blättler, neu gewählter Bundesanwalt, nach Bekanntgabe seiner Wahl auf der Tribüne des Nationalrats. Rechts seine Tochter und seine Ehefrau. Hinten Ruedi Montanari, schon unter Vorgänger Michael Lauber Nummer 2 in der Bundesanwaltschaft.

Stefan Blättler, neu gewählter Bundesanwalt, nach Bekanntgabe seiner Wahl auf der Tribüne des Nationalrats. Rechts seine Tochter und seine Ehefrau. Hinten Ruedi Montanari, schon unter Vorgänger Michael Lauber Nummer 2 in der Bundesanwaltschaft.

Peter Klaunzer / KEYSTONE

Ein Anfang ist gemacht. Mit 206 Stimmen wählte die Bundesversammlung den Berner Polizeikommandanten Stefan Blättler zum neuen Bundesanwalt. Der 62-Jährige wird sein Amt im Januar antreten. Blättler zeigte sich überrascht und gerührt über das sehr gute Resultat. Es sei ein Vertrauensbeweis für ihn und auch die Bundesanwaltschaft. Blättler erhielt sogar drei Stimmen mehr als 2011 sein Amtsvorgänger Michael Lauber bei seiner ersten Wahl. Lauber galt vielen lange als Überflieger, bevor der jähe Absturz kam. Die Fallhöhe in diesem Amt ist also beträchtlich.

Doch mit Blättler wählte die Bundesversammlung einen ganz anderen Typen Mensch als noch vor zehn Jahren.

Lauber interessierte sich kaum für sein Personal, man sah ihn nie in den Büros seiner gewöhnlichen Angestellten. Sein Antrieb schien nicht die Strafverfolgung zu sein, der Kampf gegen Geldwäscherei, Wirtschaftskriminalität, Mafia, Korruption. Lauber war mehr ein Manager (er kam aus dem Bankensektor), der sich in seinem Amt inszenierte. Er war über die Köpfe seiner Leute hinweg verschwiegener Ansprechpartner vermeintlich wichtiger Figuren wie dem Fifa-Boss. Alles ohne Protokoll, entgegen allen Regeln, wie die nach wie vor ungeklärten «Schweizerhof»-Geheimtreffen, die ihn den Job kosteten.

Lauber war in vieler Hinsicht ein Missverständnis. Blätter ist das Gegenprogramm.

«Verbrechen sollen sich nicht lohnen», zitierte Blättler nach seiner Wahl, perfekt dreisprachig: Deutsch, Französisch, Italienisch. Es ist ein ganz einfacher Satz, der aber den Kern der Sache trifft. Verbrechen sollen sich nicht lohnen, und es darf niemanden geben, der über dem Gesetz steht, der sich im geheimen Austausch mit dem Bundesanwalt Vorteile erwirkt. Vor dem Gesetz sind alle gleich.

Spricht man mit Blättler, kommen rasch und nüchtern seine Schwerpunkte: Organisierte Kriminalität, Geldwäscherei, Wirtschaftskriminalität, Mafia, Korruption. Der Kampf gegen diese Verbrechen sei für den Schweizer Finanzplatz enorm wichtig, sagt er.

Man braucht kein Prophet zu sein, um zu merken: Blättler ist kein Wolkenschieber, es wird bei ihm keine Spektakel- und keine Klientel-Justiz geben. Er ist ein Pragmatiker, der sich auf sein Handwerk, die Strafverfolgung, konzentriert.

Denn 30 Jahre Polizei, das prägt. Der Jurist hat in Bern gezeigt, dass er Gesetze konsequent durchsetzt, ohne Rücksicht auf Rang und Namen, im politisch aufgeladenen Umfeld der Bundesstadt. Gibt es Kritik, hält er die aus. Gebe es zu viel Kritik, stelle er den Medienkonsum vorübergehend ein, sagt er. Das helfe. Der parteilose Blättler hat ein Korps von 2500 Leuten jahrelang ohne grosse Nebengeräusche geführt, er hört seinen Leuten zu, und er hört auch der Bevölkerung zu.

Mit der Wahl von Blättler hat das Bundesparlament einen Anfang gemacht, den Sittenzerfall zu stoppen, der sich in Teilen der Bundesjustiz breitmachte. Vor allem am Bundesstrafgericht in Bellinzona wurde deutlich, dass sich nicht wenige Richterinnen und Richter zunehmend Selbstherrlichkeiten und Intrigen leisteten, dass sie ihr Personal abschätzig behandelten, weil sie sich für unantastbar hielten.

Auch das ändert jetzt. Zwar wählte das Parlament alle 18 erneut kandidierenden Richterinnen und Richter wieder. Aber Einzelne erzielten schlechte Resultate. So Präsidentin Sylvia Frei (SVP) und Olivier Thormann (FDP), die beiden wiederkandidierenden Mitglieder der auch intern umstrittenen dreiköpfigen Gerichtsleitung. Gewisse andere Personen, die schlecht abschnitten, wurden von der Geschäftsprüfungskommission abgemahnt, ihre Intrigen einzustellen.

Das Parlament zieht, endlich, die Schraube etwas an in der Strafjustiz. Die Wahl des nüchternen und sachlichen Bundesanwalts Blättler kann Glücksfall und Vorbild sein. Sie ist Auftakt zum dringend nötigen Kulturwandel in der Strafjustiz des Bundes hin zu mehr Demut und weniger Egotrips. Zu mehr Gerechtigkeit! Ein Anfang ist gemacht, aber es ist erst ein Anfang.