Auch wenn es im Gespräch mit dem Fricker Thomas Zographos fast so scheint: Sympathie für die Piraten hat er nicht. «Für Gewalt habe ich nie Sympathie», sagt er. «Aber ich habe ein gewisses Verständnis für diese Menschen.»
Von Andreas Krebs
«Es hätte tatsächlich schiefgehen können», erinnert sich Thomas Zographos aus Frick an jene Samstagnacht am 25. April. Bei den Seychellen wurde die MSC «Melody» von Piraten beschossen. In den Medien sei übertrieben worden, sagt Zographos. «Bleiben wir auf dem Boden der Tatsachen.»
Die EU geht künftig auch im Indischen Ozean auf Piratenjagd. Die EU-Verteidigungsminister einigten sich am 18. Mai auf eine Ausweitung der Marinemission «Atalanta». Die Anti-Piraten-Mission operiert seit sechs Monaten vor der Küste Somalias. Trotzdem weiteten die Piraten ihre Angriffe in den Indischen Ozean bis zu den Seychellen aus. Entsprechend soll das Operationsgebiet «Atlanta» vergrössert werden. Zudem ist eine Verlängerung des bis Dezember laufenden Mandats geplant. Im Gespräch sind sechs oder zwölf weitere Monate. Die deutsche Marine ist bei dem EU-Einsatz am Horn von Afrika mit bis zu 1400 Soldaten grösster Truppensteller. Im weiteren beteiligen sich Frankreich, Spanien, Griechenland, Grossbritannien, Russland und China am Kampf gegen die Piraten. Auch Spezialkräfte der Schweizer Armee sollen zum Einsatz kommen. Der Bundesrat will, dass rund 30 Angehörige der Armee Schiffe des Welternährungsprogramms und Schweizer Frachtschiffe schützen. Der Einsatz erfordert die Zustimmung des Parlaments. (krea)
Um zirka 23.30 Uhr wurde die MSC «Melody» überfallen, weit entfernt vom Festland in somalischem Gewässer. 991 Passagiere und 536 Crew-Mitglieder waren an Bord des Luxusliners - Menschen aus 40 Nationen vereint in einem Boot.
«Wenn die Piraten nur zwei, drei von uns hätten als Geiseln nehmen können . . . Es wäre den Piraten beinahe gelungen», sagt Zographos. «Der Plan war gut, aber das Timing hat nicht gepasst. Zwei Stunden später hätten sie Erfolg gehabt. Ganz sicher.»
An jenem Abend fand auf dem Heck der MSC «Melody» ein Konzert statt; rund 200 Menschen lauschten der klassischen Musik. «Das hat ihren Plan durchkreuzt», sagt Zographos. «Pech für sie, Glück für uns.» Zographos genoss den lauschigen Abend, lauschte der Musik. Auf einmal Geräusche wie von einem Feuerwerk. Er habe gedacht, jemand habe Geburtstag, und das sei jetzt unanständig: Feuerwerk während des Konzerts. Dann eine zweite Salve. Aufregung. Piraten!
Passagiere haben den Alarm ausgelöst. Nie zuvor hatte es vor Somalia einen Angriff auf ein Passagierschiff gegeben. Laut Medienberichten warfen Passagiere Stühle und Flaschen auf die Angreifer. Das hat Zographos nicht beobachtet.
Er sah hinter einer Fensterscheibe zehn Meter tiefer, unten auf dem blauen Meer, sechs schwarze Männer, mit Kalaschnikows bewaffnet, auf einem zirka acht Meter langen Boot. «Eine Nussschale. Im Prinzip lächerlich.» Dennoch Aufregung. «Ein mulmiges Gefühl war es schon», erinnert sich Zographos, «aber man hat in dem Moment keine Zeit, Angst zu haben. Die Angst kommt erst später. Dann wenn man realisiert, was hätte passieren können.»
Am Morgen danach stiess ein spanisches Kriegsschiff zum Traumschiff. Es begleitete die MSC «Melody» drei Tage lang. «Das war eine Riesenerleichterung», berichtet Zographos. In diesen drei Tagen flog der Helikopter des Kriegsschiffs immer wieder Kontrolltouren, und die Passagiere durften nachts nicht an Deck. Danach ging die Reise wie geplant weiter.
«Vielleicht werden Kreuzfahrtschiffe künftig immer von Kriegsschiffen begleitet. Früher oder später werden die Piraten mit grösseren Schiffen kommen. Das kann doch nur zur Eskalation der Gewalt führen.»
Heute, mit etwas Abstand zum Überfall, sagt Zographos: «Vielleicht hätten wir den Piraten besser Brot zugeworfen.» Wenn man bedenke, welch grosses Risiko sie eingegangen sind. Man müsse sich vorstellen, in was für einer Situation diese Menschen sind. «Und wir haben sie so weit getrieben.» Nein, Sympathie habe er nicht für die Piraten, sagt Zographos. «Für Gewalt habe ich nie Sympathie. Aber in gewisser Weise habe ich Verständnis.»
Viele Piraten waren einst einfache Fischer. Aber die internationale Fische-reiindustrie fischt ihre Gewässer leer. «Sie hungern, und wir auf den Luxusschiffen vor ihren Küsten bekommen sechs Mahlzeiten am Tag. Wir provozieren sie. Dieser Überfall ist nur eine Nebenerscheinung unseres Systems. Wir müssen das System ändern!»
Kapitalismus sei gut und recht, sagt Zographos, «aber wir übertreiben es. Wir brauchen Rahmenbedingungen, denn die Gier der Menschen kennt keine Grenzen. So werden Verbrecher gemacht. Statt Kriegsschiffe sollten wir besser Hilfe dorthin bringen.»