Während eines Spaziergangs in einer Apfelplantage kam Apple-Gründer Steve Jobs einst auf die Idee für den Namen seiner Firma. Das heisst aber noch lange nicht, dass sich der Thurgau zwischen einer Zukunft als Apfelkanton oder boomender Industrie- und Gewerberegion entscheiden müsste, findet unsere Kolumnistin.
Ja, die Sache mit den Äpfeln, irgendwo lauert da doch immer die Schlange eines Imageproblems im Astwerk. Man denke nur an die biblische Sündenfallerzählung, die dem Menschen wegen eines einzigen Apfels das ärgerliche Image eines ungehorsamen Gierschlunds eingetragen hat: Hätte Eva nicht das göttliche Verbot missachtet, vom Baum der Erkenntnis zu essen, weil sie unbedingt wissen wollte, was der Unterschied zwischen Gut und Böse ist, dann hätten wir heute nicht das Problem, uns beim Essen von Ostschweizer Äpfeln entscheiden zu müssen, ob sie aus einem Apfelkanton oder aus einer boomenden Industrieregion stammen. Andererseits: Wenn Eva gehorcht und auf den Apfel verzichtet hätte, dann gäbe es heute weder Apfelwirtschaft noch Industrie und Gewerbe, denn dann wäre der Mensch nie aus dem Paradies geworfen worden, um sich fortan seinen Lebensunterhalt im Schweisse seines Angesichts selber zu verdienen.
Was aber ein rechter Apfel-Fan ist, der kann auch aus diesem Widerspruch Most machen, wie das Beispiel des Apple-Gründers Steve Jobs zeigt. Seine von ihm selbst autorisierte Biografie berichtet, Jobs, zu dieser Zeit auf Obstdiät, sei eben von einer Apfelplantage gekommen, als sich 1976 die Frage stellte, unter welchem Namen das neue Unternehmen in das Handelsregister eingetragen werden sollte. Jobs tat, was Genies so gern tun, indem er kurzerhand das Unerwartete vorschlug: «Äpfel und Computer passen nicht zusammen», befand er, weil das Wort «Apfel» «freundlich, schwungvoll und nicht einschüchternd» klinge. Als Teil der Marke «Apple Computer» gleiche es damit nicht nur das offenbar unfreundliche, schwunglose und einschüchternde Image des Computers aus, sondern «es zwingt das Gehirn, darüber nachzugrübeln», und bereichere damit das menschliche Erkenntnisvermögen. Und ausserdem «würden wir künftig vor Atari im Telefonbuch stehen».
Na also – kaum beschneidet man mal ein paar Apfelbäume – in Jobs` Fall Gravensteiner –, findet man im Astwerk auch schon die perfekte Marke für einen bis heute boomenden Weltkonzern.
Nicht ganz ohne Schlange allerdings, denn die aufmerksame Leserschaft lässt sich am Ende doch nicht so leicht veräppeln. Hübsch ist die Anekdote von der Apfelplantage und der Obstdiät ja, aber sie ist nur die eine Hälfte der Geschichte, sozusagen die Apfel-Seite. Die andere, die Computer-Seite, tendiert in ihrem unternehmerischen Kalkül eher zum Einschüchternden, zeigt das Apple-Logo doch eine unmissverständliche Bissspur und damit eine ebenso unmissverständliche Markenbotschaft: Wer einen Apple-Computer kauft, der beisst damit in einen Apfel vom Baum der Erkenntnis und kann fortan zwischen Apfelkanton und boomender Industrie- und Gewerberegion unterscheiden, um den Preis natürlich, aus dem Paradies einer Vision ausgeschlossen zu werden, in der Apfelplantagen in Innovationsparks stehen können und umgekehrt.
Wäre Jobs Schweizer gewesen, hätte er seinen Apple zweifelsohne mit einem Pfeil dekoriert, aber dieses Logo bleibt im Astwerk unserer hiesigen Apfelplantagen noch immer zu entdecken. Ich für mein Teil, als bekennender Fan beider Aspekte der Ostschweiz, halte es jedenfalls mit Herrmann Hesse und seiner lyrischen Vision einer paradiesischen Bodenseeregion (nebenbei bemerkt: die Farbgebung des Gedichts ist nicht politischer, sondern rein ästhetischer Natur): «Komm mit! Ich fasse die Zügel -/Komm mit in mein rotes Schloss./Dort wachsen blaue Bäume/Mit goldenen Äpfeln dran,/Dort träumen wir silberne Träume,/Die kein Mensch sonst träumen kann.»
Ulrike Landfester ist Professorin für Deutsche Sprache und Literatur an der HSG. Sie schreibt diese Kolumne immer montags im Turnus mit Toni Brunner, Samantha Wanjiru und Walter Hugentobler.