ST. GALLEN. Das St.Galler Amt für Soziales verwehrt sich gegen Vorwürfe im «Blick», die Behörden verweigerten einem Behinderten aus Bronschhofen angeblich seit Jahren einen Heimplatz.
«Es ist ein Drama. Niemand will meinen behinderten Bruder aufnehmen», sagt Regula Hager aus Bronschhofen in einem grossen Artikel gestern im «Blick». Seit Jahren suche die Frau einen Heimplatz für ihren geistig behinderten, pflegebedürftigen 35jährigen Bruder, heisst es da, «doch im ganzen Kanton gibt es keine Einrichtung, die einen entsprechenden Platz bietet – und verfügbare Einrichtungen in anderen Kantonen will das Amt für Soziales nicht zahlen.» Zuletzt habe das St.Galler Amt für Soziales einen in Aussicht gestellten Heimplatz in Kreuzlingen abgelehnt. Für das Boulevardblatt ist der Fall klar: «Behörden-Schikane».
Davon könne keine Rede sein, verwehrt sich Andrea Lübberstedt, Leiterin Amt für Soziales, gegen die Vorwürfe. Zwar darf sie aufgrund des Amtsgeheimnisses nicht auf den Fall eingehen. Jedoch betont sie, dass der Mann nach «eingefädeltem Support» ihrer Behörde von Fachleuten betreut werde und er bereits «verschiedene Aufenthalte und Betreuungssituationen» erhalten habe. Den Platz in Kreuzlingen habe man ablehnen müssen, weil jene Institution einen Sonderpreis verlangt habe, der nicht den interkantonal geregelten Tarifen entspräche.
Der zur Empörung publizierte Einzelfall ist laut Andrea Lübberstedt eine seltene Ausnahme: «Unsere Praxis wird damit nicht abgebildet. Während meiner bald zweijährigen Amtsleitungszeit ist dies erst der dritte Fall, mit dem wir uns intensiver befassen müssen, bis <es passt>.»
Anders als beschrieben hätten die St.Galler Behörden mit privaten Verbänden und Institutionen in und ausserhalb des Kantons ein «gutes Einvernehmen», betont die Amtsleiterin. Und belegt dies in Zahlen: Nebst 2500 Kostenübernahme-Garantien für Menschen mit einer Behinderung im Kanton werden 1000 St.Gallerinnen und St.Galler in ausserkantonalen Einrichtungen unterstützt, «ohne Wenn und Aber». Die Kostenübernahme für einen Platz in einem anderen Kanton sei «kein Problem», bestätigt Lübberstedt die Aussagen ihres Controllers im «Blick», doch müssten die Kosten den zwischen den Kantonen vereinbarten Finanzierungsgrundsätzen entsprechen. «Es darf nicht sein, dass eine Institution einen Schicksalsschlag ausnützt und einen Sondertarif verlangt. Dagegen müssen wir uns wehren.»
Ist die Finanzierung ausserkantonaler Plätze aufgrund der Sparmassnahmen in Frage gestellt? «Keineswegs», sagt Andrea Lübberstedt. «Am Grundsatz der offenen Grenzen wird nicht gerüttelt.» Ebenso wenig könne man von Wartelisten sprechen, wie es sie bei Alters- und Pflegeheimen gibt. Zwar bestünden «gewisse Wartezeiten», aber im Gegensatz zu andern Kantonen habe St.Gallen noch nie ein Moratorium beschlossen
Von einer tendenziellen «Unterversorgung» im Bereich begleiteter Wohn- und Arbeitsplätze spricht Peter Hüberli vom OVWB, dem Ostschweizer Verein zur Schaffung und zum Betrieb von Wohnmöglichkeiten für Körperbehinderte. «Jedoch haben wir in akuten Fällen eigentlich immer Platz», sagt der Geschäftsleiter, der mit seiner Organisation seit 1994 etwa das Imbode- und das Quimby-Huus anbietet. Einen Überblick über die privaten Institutionen gibt es noch nicht; gemäss neuem Behindertengesetz wird derzeit die Angebotsplanung systematisiert.
Auch Hüberli nennt das Beispiel aus Bronschhofen einen «besonders schwierigen Einzelfall», der ein «falsches Licht» auf die Gesamtsituation werfe. «Wir versuchten mitzuhelfen», sagt er, aber die Familie, die zunächst keine fachliche Hilfe wollte, habe andere Vorstellungen über die Betreuung und den Heimplatz für den 35-Jährigen als die Fachleute, die eine offene Einrichtung bevorzugten. Doch ist Hüberli zuversichtlich, dass bald eine Lösung gefunden wird.
Auch finanziell – allerdings mit der Obergrenze von 500 bis 600 Franken pro Tag: 800 Franken wie im Fall von Kreuzlingen «liegen einfach nicht drin».