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Im Altersheim Kursana haben acht Zehnjährige vier Seniorinnen zur ihrem Leben ausgefragt. Die Schüler kamen mit einem Strauss voller Fragen.
Die sonst gediegene und ruhige Atmosphäre der Seniorenresidenz Kursana am Spisertor vibriert vor Energie. Bunte Jacken hängen an der Garderobe, laute Kinderstimmen hallen durch die Gänge. Acht Primarschülerinnen und Primarschüler vom Schulhaus St.Leonhard stehen vor der Tür zum zugehörigen Restaurant und warten gespannt.
«Das heute ist fast wie Weihnachten für die Bewohnerinnen», sagt Kurt Kaufmann, Leiter der Kursana Residenz. Die Lebhaftigkeit der Kinder bringe Abwechslung in den Alltag. Und für diesen speziellen Tag hätten sie Seniorinnen ausgewählt, die «Plaudertaschen» seien und gerne von sich erzählten.
Die vier Damen warten im Restaurant auf die Schüler, die viele Fragen im Gepäck haben. «Die Kinder haben sich in der Schule vorbereitet», sagt Denise Weder, die Lehrerin der Klasse. Die Tochter einer Residentin sei mit der Idee auf sie zugekommen, dass die Zehnjährigen die Senioren interviewen könnten.
«Die Klasse war sofort Feuer und Flamme.»
Im Unterricht haben sie sich überlegt, was man ältere Menschen fragen könnte. Heraus kamen fünfseitige, fein säuberlich geschriebene Dossiers voller Fragen nach dem Leben, der Schulzeit, den Hobbys und der Technik von damals.
Jede Dame setzt sich an einen eigenen Tisch. Je zwei Schüler setzten sich dazu, dann legen die Kinder los. Eine Schülerin fragt, welche Handyregeln es damals in der Schule gab. Schnell besinnt sie sich aber eines besseren. «Ah stimmt, das gab es ja noch gar nicht.» Erstaunen zeigt sich auf den Kindergesichtern, als das Thema Pizza angesprochen wird. «Wenn es noch keine Pizza gab, was war dann Ihr Lieblingsessen?» Mit der Antwort «Dessert» der 97-Jährigen sind aber alle am Tisch einverstanden und notieren es mit Kopfnicken.
Schnell finden sich andere Gemeinsamkeiten, wie sich an einem anderen Tisch zeigt. Die Tochter einer Bewohnerin ging ebenfalls im St.Leonhard-Schulhaus zur Schule und schon zur Schulzeit der heute über 90-Jährigen spielte man Völkerball und «Räuber und Poli».
Bald schon streckt ein Kind die Hand in der Luft. «Sie, Frau Weder, dürfen wir noch weiter Fragen stellen, die nicht auf dem Blatt stehen?» Es sei so spannend, was die ehemalige Sekretärin alles erzähle. Gewissenhaft schreiben die Zweiergruppen mit, auch wenn manchmal nachgefragt werden muss – auf beiden Seiten des Tisches. Plötzlich bricht das Mädchen am hintersten Tisch in lautes Gelächter aus. Sie sagt:
«Jetzt kommt meine Lieblingsfrage.»
Die 88-Jährige solle von ihrem schlimmsten Streich aus der Kindheit erzählen. Sie habe von einer Treppe gespuckt und versucht, die Glatze des Pfarrers zu treffen, sagt die ältere Dame. Gebannt versammeln sich alle Kinder um den Tisch. «Und ich habe auch getroffen», sagt sie und die ganze Gruppe lacht.
Als die vorbereiteten Fragen erschöpft sind, sind es die Gespräche aber noch lange nicht. «Wir dachten anfangs, wir müssten vielleicht ab und zu kleine Anstösse geben», sagt Denise Weder. Doch das ist nicht nötig: Jung und Alt erzählen sich aus dem Leben, von Freunden und Haustieren. Sie vergleichen Gärten, Schulwege und Kleider. «Ist bei Ihnen auch die Farbe vom Schulthek abgeblättert?», will ein Junge wissen. Es habe damals noch keine farbigen Schultheks gegeben, die seien aus Leder gewesen, sagt die 90-Jährige und lächelt.
Nachdem die Kinder vorbildlich allen anwesenden Erwachsenen die Hand geschüttelt haben, ziehen sie die bunten Jacken wieder an und gehen zurück Richtung St.Leonhard-Schulhaus. Doch nicht für lange. «Nächsten Donnerstag kommen wir wieder vorbei und spielen zusammen», sagt Denise Weder. Dazu werden Bewohnerinnen und Bewohner der Kursana Spiele vorbereiten. In der darauffolgenden Woche dürfen auch die restlichen zehn Schülerinnen und Schüler der Klasse für ein Interview mit den Senioren in der Residenz vorbeikommen.