Aus christlicher Sicht
Heute wirkt dieses Wort aus der Bibel (Apg 5, 29 )auf uns vielleicht befremdlich, denn «gehorchen» ist nicht gerade ein positiv besetztes Wort, sondern es erinnert uns an das Duckmäusertum der Menschen, die die Katastrophen der letzten hundert Jahre erst möglich gemacht haben, an ein blindes Gehorchen gegenüber den Obrigkeiten.
Und doch ist der Bibelvers vor allem von Menschen geschätzt worden, die den Finger in die Wunden ihrer Zeit gelegt haben, die Missstände aufgezeigt und Widerstand geleistet haben.
Martin Luther, dessen Thesenanschlag wir dieses Jahr feiern, gehört ebenso zu den Fans des Verses, wie Dietrich Bonhoeffer, der Pfarrer, der an den Vorbereitungen für den Anschlag der Attentäter des 20. Juli 1944 auf Hitler beteiligt war und dafür von den Nazis hingerichtet wurde.
Beide hatten diesen Vers besonders gern. Denn der Vers handelt bei genauerem Hinhören ja nicht von blindem Gehorsam, sondern vom Hören auf Gott, auf seine Gebote und auf das eigene Gewissen.
Gehorsam sein gegenüber Gott, das bedeutet: sich nicht blenden zu lassen von einer Realität, die vielleicht nur eine Fassade ist, es bedeutet Dinge eigenständig zu hinterfragen, sich ein eigenes Urteil zu bilden, auf die eigene Wahrnehmung zu vertrauen und danach zu handeln.
Gehorchen kommt ja vom Wort «hören».
Auf was hören wir denn gegenwärtig? In unserer komplexen Welt wird es immer schwieriger, sich auf Wesentliches zu konzentrieren, auf das, was uns und anderen dem Leben dient.
Die Menschen der Bibel haben gute Erfahrungen damit gemacht, auf Gott zu hören. Es hat Kriege verhindert, Menschen versöhnt, Gerechtigkeit geschaffen und Frieden gebracht, wenn Menschen in der Bibel auf Gott gehört haben. Und dabei ging es nie um einen blinden Gehorsam, sondern immer auch darum, den eigenen Kopf, die eigene Kreativität einzusetzen, um ans Ziel zu kommen.
Als getaufte Christinnen und Christen sind wir auch heute noch dazu aufgerufen, danach zu fragen, was in diesen hektischen und oftmals unsicheren Zeiten der Wille Gottes für die Welt und die Menschen sein könnte. Dazu müssen wir vor allem eins können: Gut zuhören. Uns. Gott. Und den Menschen um uns herum. – Und dann danach handeln.
Andrea Hofacker
Pfarrerin in Marbach