Pro & Contra
Stärkung des Schweizer Films oder Bevormundung durch den Staat? Martina Munz und Max Slongo sind sich uneins bei der «Lex Netflix»

Am 15. Mai stimmt die Schweizer Bevölkerung über die Änderung des Filmgesetzes ab. Wird die Vorlage angenommen, müssen künftig auch Streamingdienste vier Prozent ihres Schweizer Umsatzes in Schweizer Filme und Serien investieren, wie dies hiesige Sender bereits machen. SP-Nationalrätin Martina Munz setzt sich für eine stärkere Filmförderung ein, der Thurgauer JSVP-Vizepräsident Max Slongo hält dagegen.

Martina Munz und Max Slongo
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Silvan Bucher / Gaetan Bally

PRO: «Für mehr Schweizer Film statt Blockbuster»

Die Schweizer Filme erzählen gesellschaftlich relevante und lokal verankerte Geschichten. Filme wie «Die göttliche Ordnung», «Platzspitz Baby», «Verdingbueb», «Zwingli» oder Serien wie «Frieden» und «Tschugger» rufen uns unsere kulturellen und historischen Eigenheiten ins Bewusstsein, erinnern uns an wichtige Momente unserer Geschichte und unterhalten uns auf hohem Niveau. Ein vielfältiges Angebot in allen vier Landessprachen stärkt unsere Identität. Schweizer Filme wie «Schellen-Ursli» oder «Heidi» werden weltweit gezeigt und prägen das Image der Schweiz und sind für den Tourismus von unbezahlbarem Wert.

Martina Munz, Nationalraetin SP SH

Martina Munz, Nationalraetin SP SH

Gaetan Bally / KEYSTONE

Mit dem neuen Filmgesetz werden in der Schweizer Filmförderung gleich lange Spiesse geschaffen. Vergleichbar wie heute die privaten Fernsehstationen sollen in der Zukunft auch Streamingdienste wie Netflix oder Disney+ 4 Prozent ihres Umsatzes in die nationale Filmproduktion investieren und zu einem Mindestanteil von 30 Prozent europäische Filme zeigen. Damit schaffen wir vergleichbare Wettbewerbsbedingungen für Fernsehstationen und Streamingdienste.

Gleichzeitig hat sich die Filmwirtschaft radikal verändert: Streamingplattformen wie Netflix, Amazon Prime oder Disney+ und ausländische Fernsehsender wie Sat 1, Pro 7 oder RTL dominieren den Markt und verdienen kräftig an der Schweizer Kundschaft. Die Einnahmen fliessen heute ausschliesslich ins Ausland. Das neue Filmgesetz soll das moderat verändern. Mit vier Prozent des Umsatzes sollen diese Firmen hier in der Schweiz Filme produzieren.

Die Unternehmen können frei entscheiden, ob sie in Schweizer Filme investieren, coproduzieren oder ankaufen wollen. In vielen europäischen Ländern gibt es bereits eine solche Investitionspflicht, die viel höher ist und gut funktioniert. In Italien etwa liegt die Investitionspflicht bei 20, in Frankreich gar bei 26 Prozent. Auch die Pflicht, im Angebot mindestens 30 Prozent europäischer Filme aufzunehmen, ist nichts Neues. Es entspricht einer EU-Richtlinie, die von den internationalen Streaminganbietern bereits eingehalten wird. Das Argument der steigenden Preise ist frei erfunden: Einen Film in der Schweiz zu produzieren, kostet nicht mehr, als einen Film in den USA zu produzieren. Es wird also nichts teurer und somit muss auch niemand mehr bezahlen.

Ein Ja zum neuen Filmgesetz ermöglicht mehr Investitionen und eine grössere Auswahl an Schweizer Filmen ohne zusätzliche Steuergelder. Das stärkt die Vielfalt und Identität der Schweiz.

CONTRA: «Die Vorlage ist ein unverständlicher Staatsauswuchs»

Die hierzulande vertretenen Streaminganbieter wie Netflix, Disney+, Amazon Prime, etc. sollen 4 Prozent ihres Umsatzes an die Schweizer Filmschaffenden abgeben. Nur – niemand kauft sich ein solches Streaming-Abo, um Schweizer Filme oder Serien zu schauen. Gleichzeitig werden nicht nur Streamingdienste zur Kasse gebeten: Auch für Privatsender wie Sat.1, Pro 7 oder 3+ gälten dieselben Spielregeln, wobei gerade letztgenannter Unmengen heimische Eigenproduktionen im Programm hat, welche jedoch mit der Vorlage nicht an die zu machenden Abgaben angerechnet würden.

Max Slongo, Vizepräsident JSVP TG

Max Slongo, Vizepräsident JSVP TG

Silvan Bucher

Zudem müssten Netflix & Co. mindestens 30 Prozent europäischer Produktionen im Angebot führen. Wer soll das wollen? Der effektive Wert liegt bei Netflix bei der Hälfte dessen. Nicht die fehlende Investitionslust ist Grund hierfür, sondern die nicht vorhandene Nachfrage: Dass europäische Produktionen zum Hit werden können, haben «Dark», «Haus des Geldes» oder «Black Mirror» unlängst bewiesen – aber keineswegs, weil sie produziert werden sollten, sondern eben wollten!

Was hat eine Annahme der Vorlage zur Folge? Um den engen Vorgaben gerecht zu werden, müssten die Streamingdienste und Privatsender entweder ihr nicht-europäisches Filmangebot verkleinern, was für die Konsumenten absolut nicht wünschenswert wäre – oder aber die Preise erhöhen, um eben mehr Geld für Produktionen, die gar nicht nachgefragt sind, zu investieren. Bei einer Zustimmung zu «Lex Netflix» rechnet 3+ gar damit, inländische Stellen abbauen zu müssen.

Kurzum: «Lex Netflix» ist ein grober Staatseingriff in einen funktionierenden Markt, der den Streamingdiensten, Privatsendern und Konsumenten schadet bei gleichzeitiger «Überförderung» der Schweizer Filmbranche, deren Produktionen auf diesen Plattformen nicht nachgefragt sind. Die Leidtragenden sind alle Abo-Nutzer, welche sich auf ein kleineres Angebot und höhere Gebühren einstellen müssen, was nicht im Sinne der Sache sein kann. Die Vorlage ist ein unverständlicher Staatsauswuchs und gehört abgelehnt!