SCHÖNENBERG
Der Mittelthurgau wehrt sich an zwei Fronten: Ja zur BTS und Nein zur Abtretung von Kantonsstrassen an Gemeinden

Die Delegiertenversammlung der Regionalplanungsgruppe Mittelthurgau fordert eine Realisierung der Bodensee-Thurtal-Strasse und den Verzicht auf den Kantonsstrassen-Netzbeschluss.

Georg Stelzner
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Thomas Weingart, Präsident der Regionalplanungsgruppe Mittelthurgau, spricht zu den Delegierten.

Thomas Weingart, Präsident der Regionalplanungsgruppe Mittelthurgau, spricht zu den Delegierten.

Bild: Georg Stelzner (Schönenberg, 21. April 2022)

Die Regionalplanungsgruppe Mittelthurgau möchte sich in diesem Jahr hauptsächlich mit der Regionalen Entwicklungsstrategie beschäftigen. Die Handlungsschwerpunkte sollen priorisiert und die Optionen für eine Kooperation zwischen den Gemeinden analysiert werden. An dieser Zielsetzung wird man auch festhalten, wenngleich derzeit andere Themen die Gemüter erhitzen.

Es sind Strassenthemen, welche die Wogen hochgehen lassen: einerseits die Absicht des Bundesrates, das Projekt Bodensee-Thurtal-Strasse (BTS) im aktualisierten Entwicklungsprogramm für die Nationalstrassen zurückzustellen, anderseits das Vorhaben der Thurgauer Regierung, Kantonsstrassen an die Gemeinden abzutreten. Beides stösst im Bezirk Weinfelden auf Widerstand, wie sich an der kürzlich in Schönenberg durchgeführten Delegiertenversammlung der Regionalplanungsgruppe (RPG) Mittelthurgau zeigte.

BTS-Befürworter sammeln Unterschriften

«Die BTS ist zwischen Stuhl und Bank gefallen», stellte Thomas Weingart, Stadtpräsident von Bischofszell und Präsident der RPG, bedauernd fest.

«Es ist wichtig, dass wir uns als betroffene Region für die BTS engagieren.»

Weingart räumte ein, dass es mit dem Klimaschutz und der Bodenpolitik mittlerweile Themen von übergeordnetem Interesse gebe.

Nichtsdestotrotz begrüsste er es, dass sich im Lager der BTS-Befürworter ein Komitee zur Bündelung der Kräfte gebildet habe und dieses von Regierungsrätin Carmen Haag nach Kräften unterstützt werde. Andreas Opprecht, Gemeindepräsident von Sulgen, erklärte, dass das Komitee 6000 Unterschriften sammeln und diese am 9. Mai im Bundeshaus in Bern hinterlegen wolle.

Der Mittelthurgau hat eine Brückenfunktion

Weingart fasste vor den Delegierten die Vernehmlassungsantwort der RPG Mittelthurgau kurz zusammen. Er äusserte die Befürchtung, dass sich die Verkehrsengpässe ohne BTS weiter ausdehnen könnten, was sich auch nachteilig auf das nachgelagerte Strassennetz auswirken würde. Auf einen Punkt wies Weingart mit Nachdruck hin:

«Das Schweizer Verkehrssystem kann nur leistungsfähig bleiben, wenn es die einzelnen Agglomerationen gescheit miteinander verbindet.»

Weingart beklagte in diesem Zusammenhang, dass die Region Mittelthurgau respektive der Bezirk Weinfelden raumplanerisch nicht als Agglomeration definiert werde. Und dies, obwohl diese Region diverse Agglomerationen miteinander verbinde. «Dieser Brückenfunktion muss Rechnung getragen werden», erklärte der RPG-Präsident. Weingart sprach sich gegen lokale Umfahrungen aus und plädierte für eine gesamtheitliche Lösung in Gestalt der BTS. Die Vernehmlassungsantwort der RPG Mittelthurgau wurde von den Delegierten einstimmig gutgeheissen.

Gemeinden müssten für Strassenunterhalt aufkommen

Als ob die Causa BTS nicht schon genug Kopfzerbrechen bereiten würde, gibt es auch auf kantonaler Ebene ein Vorhaben, welches den Stadt- und Gemeindepräsidenten tiefe Sorgenfalten in die Stirn gräbt: Im Zuge des sogenannten Kantonsstrassen-Netzbeschlusses möchte die Regierung den Kommunen Strassen mit einer Gesamtlänge von rund 172 Kilometer abtreten.

Fast die Hälfte davon, nämlich 78,2 Kilometer, entfiele auf den Bezirk Weinfelden, in dem 17 der 18 Gemeinden betroffen wären. Einzig Amlikon-Bissegg käme nicht in den Genuss eines solchen «Geschenks». Die ausgewählten Kantonsstrassenabschnitte würden zu Gemeindestrassen mutieren und die Standortgemeinden wären inskünftig für den Unterhalt und die Sanierung zuständig. Das in Aussicht gestellte finanzielle Goodie vermag geschmacklich offensichtlich nicht zu überzeugen. Auch an der DV der RPG Mittelthurgau konnte sich niemand für den Plan des Regierungsrates begeistern – im Gegenteil.

Der Bezirk Weinfelden wäre besonders stark betroffen

Weingart gab zu bedenken, dass der Mittelthurgau vom Netzbeschluss überdurchschnittlich stark betroffen wäre und gewissermassen dafür abgestraft würde, dass in den 1990er-Jahren mit Fusionen Hand geboten worden sei für eine Optimierung der kommunalen Strukturen. Insbesondere finanzschwache Gemeinden drohen nach Einschätzung Weingarts unter die Räder zu kommen. Zudem betonte der RPG-Präsident: «Der Mittelthurgau profitiert nicht von Agglo-Programmen wie die Regionen rundherum.»

Heinz Keller, Gemeindepräsident von Kradolf-Schönenberg und Mitglied der vorberatenden Kommission, wagte aufgrund der bisherigen Beratungen und Stellungnahmen die Prognose, dass der Plan der Regierung scheitern könnte, zumal der Grosse Rat seine Zustimmung erteilen müsste.

Dieser Meinung schloss sich Ruedi Zbinden an. Der Gemeindepräsident von Bussnang richtete an die Kantonsrätinnen und Kantonsräte aus dem Bezirk Weinfelden den eindringlichen Appell, für die Interessen ihrer Gemeinde einzustehen. Sollte es zu einem Behördenreferendum kommen und am Ende das Volk über diese Frage abstimmen können, wäre die Chance laut Zbinden gross, den Netzbeschluss zu kippen. Er sei überzeugt, dass die vorberatende Kommission und das Kantonsparlament «richtig» entscheiden werden.

Regionalplanungsgruppe Mittelthurgau

Die 18 Gemeinden des Bezirks Weinfelden bilden die Regionalplanungsgruppe (RPG) Mittelthurgau. Deren Funktion besteht darin, regionale Aufgaben wahrzunehmen. Die RPG erfüllt in erster Linie Aufgaben, die ihr aufgrund des Bundesgesetzes über die Raumplanung und des kantonalen Richtplans zufallen oder die sich aus der Regional- und Agglomerationspolitik sowie weiteren raumwirksamen Bereichen der Politik ergeben. Unter Wahrung der Zuständigkeit der  beteiligten Gemeindebehörden kann die RPG regionale Richtpläne erlassen. Im Mittelthurgau kommt eine gemeinsame Räumliche Entwicklungsstrategie zur Anwendung. Die Anzahl der Delegierten richtet sich nach der Einwohnerzahl: Gemeinden bis 2500 Einwohner stellen einen Delegierten, Gemeinden bis 5000 Einwohner zwei und grössere Gemeinden drei Delegierte. (st)