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Ihre Eltern schickten sie mit 17 Jahren fort. Danach arbeitete Klara Oppliger auf diversen Bauernhöfen als Magd und kam nie ins Ausland. Trotzdem sagt sie: «Ich hatte es recht.» Im Rahmen einer Sommerserie erzählt sie ihre Geschichte.
Ich bin am 15. Februar 1916 in Seedorf im Kanton Bern geboren worden. Als ich sechs Jahre alt war, zog meine Familie in den Thurgau nach Mauren, wo meine Eltern einen Hof mit Kühen, zwei Pferden und viel Ackerland übernahmen. Meine drei Brüder, vier Schwestern und ich mussten anpacken. Ich selber half meinem Vater oft im Stall und auf dem Feld.
Als ich 17 Jahre alt war, schickten mich meine Eltern weg. Sie sagten mir, es sei Zeit zu gehen und auf eigenen Beinen zu stehen. Auf einem Landwirtschaftsbetrieb zwischen Märstetten und Hugelshofen fand ich eine Anstellung. Dort lernte ich haushalten. Am Anfang hatte ich grosses Heimweh, doch mit der Zeit verging es. Meine ältere Schwester hielt es anfänglich nicht aus. Sie musste auch fort, nach Illhart. Eines Tages stand sie einfach wieder vor der Tür.
Meine nächste Station war ein grosser Bauernhof in Zihlschlacht, wo ich zweieinhalb Jahre blieb. Morgens um halb sechs musste ich jeweils mit zwei Knechten an die Arbeit. Der Bauer war sehr streng, seine Frau aber sehr gut zu mir.
Klara Oppliger musste sich als Kind wegen eines Kropfes operieren lassen. Damit war sie in guter Gesellschaft. Bei Anfangs der 1920er Jahren durchgeführten Schuluntersuchungen im Kanton Bern wurde bei 94 Prozent der Kinder eine vergrösserte Schilddrüse festgestellt. Die häufigste Ursache für ein so genanntes Struma ist ein Mangel an Jod, mit dem heute Salz angereichert wird. (mso)
Es war die Zeit, als mir ein Kropf am Hals wuchs, den ich in Rorschach operieren liess. Er war so gross wie eine Baumnuss und sass auf der Speiseröhre. Ich erinnere mich noch gut: Als ich zum Arzt ging, sassen dort elf Personen im Wartezimmer, und alle hatten einen Kropf wie ich.
Bereits sieben Tage später trat ich eine neue Stelle in Felben auf dem «Stationshof» an. Dort arbeitete ich auf dem Landwirtschaftsbetrieb mit und half in der Wirtschaft. Am Abend wusch ich mich nach der Arbeit, zog etwas anderes an und stand im Service. Nach einem Jahr schickte mich der Bauer weg. Seine beiden Söhne hatten Krach wegen mir. Ich kehrte nach Hause zu meinen Eltern zurück, denen ich half.
Zudem ging ich zum Obsten nach Zihlschlacht, wo ich zuvor Magd war. Eines Tages holte mich der Bauer in die Stube und fragte mich, ob ich nicht bleiben wolle. Ich antwortete, ich hätte bereits gepackt, zudem habe er doch die Marie. Die schicke er weg, wenn ich komme, meinte der Bauer. Und so kam es dann auch.
Auf dem Hof lernte ich meinen späteren Mann kennen, der dort als Knecht arbeitete. Der Meister hatte keine Freude an unserer Beziehung. Er sagte uns, einer von beiden müsse gehen. Hans fand in Romanshorn Arbeit bei einem Bauern, für den er Langholz transportierte. Später wechselte er zur Bahn ins Lagerhaus in Romanshorn, wo er bis zur Pensionierung rund 40 Jahre lang blieb.
Vom Zweiten Weltkrieg habe ich nicht viel gemerkt. Wir hatten schon vorher nicht viel und waren uns gewohnt zu verzichten. Als der Vater im Militärdienst war, ging ich taglöhnern. Schwierig war die Situation zeitweilig, weil der Vater mit einem Ross einrückte, das uns daheim als Arbeitstier auf den Feldern fehlte. Später bekamen wir es wieder.
Mein Mann und ich heirateten 1947. Das Geld für die Aussteuer hatte ich auf einem Büchlein, auf das meine Eltern einzahlten, wenn ich ihnen einen Teil meines Lohnes schickte. Wir haben vier Kinder: Margrit, Hans, Maya und Werner.
Wir sind oft umgezogen. Zuerst wohnten wir in Romanshorn, dann in Hungerbühl, Fehlwies, Salmsach und dann wieder in Romanshorn im Gebäude der Raiffeisenbank, wo ich bis Anfang Jahr zuletzt alleine lebte, da mein Mann vor zwölf Jahren verstorben ist. Er war ein Guter.
Ich habe den Haushalt bis zum Schluss selber gemacht, aber meine Kindern hatten Angst, es könne mir etwas passieren, nachdem ich zweimal gestürzt bin. Jetzt bin ich im Haus Holzenstein. Zuerst hat es mir nicht gefallen, ich hatte wahnsinnig Heimweh. Jetzt ist es besser.
Ich weiss auch nicht, warum es mir immer noch so gut geht. Alle meine Geschwister sind bereits gestorben. Ich war nie krank, nur das Hüftgelenk ist künstlich. Vielleicht ist es, weil ich nie viel Geld hatte. Wir mussten kratzen. Doch ich hatte es recht in meinem Leben. Trotz der vielen Arbeit. Ich hatte auch schöne Zeiten, als ich gedient habe.
Die meisten Kleider meiner Kinder habe ich selbst gelismet und das Gemüse im eigenen Garten gezogen. Fleisch kam selten auf den Teller, und es reichte auch nicht für alle. Im Ausland war ich nie. Wenn wir Ferien hatten oder freie Tage, sind wir in die Berge gefahren, aufs Schilthorn, die Alp Sellamatt, den Iltios oder nach Grindelwald.
Mein erstes eigenes Bankkonto hatte ich, als ich bei der Firma Häberli in Egnach arbeitete, nachdem die Kinder draussen waren. Das hat mich stolz gemacht.
Mein Leben lang habe ich gerne gejasst. Und noch heute nehmen wir die Karten zur Hand, wenn meine Kinder zu Besuch sind. Aber jetzt machen Sie bitte bald fertig. Amen. Nein, mir ist noch etwas Lustiges eingefallen.
Ich war einmal zwei Jahre auf einem grossen Hof zwischen Bischofszell und Hauptwil. Wir hatten auch einen Landdienstler, einen rassigen jungen Mann. Am dritten Tag kam die Bäuerin zu mir und sagte. Du Klärli, du musst nachts die Tür deiner Kammer abschliessen. Der Landdienstler hat zwar eine Frau, aber die lässt ihn nicht ins Bett.