Die anstehende Reform der gymnasialen Maturität birgt wegen der grossen kantonalen Unterschiede Konfliktpotenzial. Im Grossen und Ganzen steht die Thurgauer Bildungsdirektorin Monika Knill aber dahinter. Die im schweizerischen Vergleich unterdurchschnittliche Maturitätsquote im Thurgau will sie indes nicht erhöhen.
Das Schulwesen ist alles andere als einfach. Richtig kompliziert kann es werden, wenn landesweit vergleichbare Massstäbe gelten sollen. Wie bei der gymnasialen Maturität. Hier sind der Bund und die Kantone gemeinsam verantwortlich.
Die massgebenden Regelwerke – die Maturitätsanerkennungsverordnung (MAV) des Bundesrats und das Maturitätsanerkennungsreglement (MAR) der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) – stammen aus dem Jahr 1995 und sollen deshalb aktualisiert werden. Dies mit dem Ziel, die Qualität der gymnasialen Maturität schweizweit und auf lange Sicht zu sichern. Insbesondere soll der prüfungsfreie Zugang zu den universitären und den pädagogischen Hochschulen gewährleistet bleiben.
Unumstritten ist, dass die Mint-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) leicht mehr Gewicht erhalten. Zu reden gibt hingegen die angestrebte Ausweitung der Wahl- und Maturafächer. So sollen neu Informatik sowie Wirtschaft und Recht in allen Kantonen zu Grundlagenfächern werden. Und beim Schwerpunktfach, das jeder Gymnasiast selbst wählt und ebenso zur Maturanote zählt, gibt es mehr Wahlmöglichkeiten. Neu sollen hier auch Sport, Religion, Theater, Informatik, Geografie oder Geschichte gewählt werden können. Für das Bestehen der Matura, die neu aus 15 statt wie bisher 12 oder 13 Fächern gebildet werden soll (inklusive Maturaarbeit), würde diese Note gleich zählen wie Deutsch, Englisch oder Mathematik. Kritisiert wird, dass damit die Anzahl der Maturitätsnoten erhöht und die Bedeutung der einzelnen Fächer reduziert würde.
Wie sieht die Thurgauer Bildungsdirektorin Monika Knill die angestrebten Reformen? «Ich begrüsse die laufenden Bestrebungen, die gymnasiale Ausbildung an gesellschaftliche Entwicklungen anzupassen. Seit der letzten Revision der MAR/MAV 1995 hat sich doch einiges verändert», sagt sie. Die gymnasiale Maturität habe zwei zentrale Ziele: Die grundlegenden Kenntnisse und die persönliche Reife für die Studierfähigkeit sicherzustellen sowie die Vorbereitung auf anspruchsvolle Aufgaben in der Gesellschaft. «Beides verweist auf gesellschaftliche Bereiche, die Veränderungen und Entwicklungen unterliegen. Das zeigt sich exemplarisch an der Bedeutung von IT-Kompetenzen in zahlreichen Lebensbereichen.»
«Die Stossrichtung der Weiterentwicklung unterstütze ich vollumfänglich», sagt Monika Knill. Namentlich nennt sie «Stärkung der beiden Bildungsziele der gymnasialen Maturität, Stärkung der Zukunftsfähigkeit der gymnasialen Ausbildung, Verbesserung der Vergleichbarkeit der Maturitätszeugnisse und Klärung der Rahmenbedingungen für den Maturitätslehrgang».
Die Mittelschullandschaft sei kantonal sehr unterschiedlich aufgestellt. Die Reform müsse das berücksichtigen und dennoch die zentralen übergeordneten Anliegen verwirklichen. «In den vorgelegten Entwürfen wird dies grundsätzlich umgesetzt», urteilt Monika Knill. Im Zentrum der anstehenden Diskussion in der EDK stünden die Anzahl der Grundlagenfächer, die Wahlfachbereiche und die Kriterien für den Prüfungserfolg. «Obwohl es gute Gründe gibt für bestimmte zusätzliche Grundlagenfächer, stellt es eine Herausforderung dar, wenn gleichzeitig die Fächerzahl bestehen bleibt», äussert sich die Thurgauer Bildungsdirektorin kritisch. Die Schaffung des Forums gymnasiale Maturität, um insbesondere die Anerkennung von Maturitätszeugnissen inhaltlich-fachlich sicherzustellen, begrüsse sie hingegen sehr.
Mit einer Reform, die bestehende Strukturen und Besitzstände von Fachgruppen weitgehend zu wahren versuche, sind in den Augen der Thurgauer Bildungsdirektorin aber keine grösseren Veränderungen möglich. «Es kann daher als Schwäche gesehen werden, dass Fragen, die solche grundlegenden Änderungen nötig machen würden, vermutlich offenbleiben. Dazu gehört, dass eine Erweiterung der Fächer, wie dies mit den beiden neuen Grundlagenfächern Informatik sowie Wirtschaft und Recht geschieht, bereits heute die Ressourcen zu sprengen droht.»
«Der Kanton Thurgau hat eine differenzierte Stellungnahme zum neuen Entwurf abgegeben und vertritt die Ansicht, dass die Anzahl der Maturitätsfächer und der Prüfungsfächer zu reduzieren und kompakt zu halten ist», sagt Monika Knill. Einen möglichen Lösungsansatz sieht sie darin, die traditionellen Fachgrenzen teilweise aufzulösen und zu neuen, in sich thematisch und didaktisch stringenten Kombinationen zusammenzufügen – ähnlich, wie dies im Kombinationsfach Wirtschaft und Recht bereits realisiert sei. «Kombinationsmöglichkeiten und Gewichtungen müssten allerdings fundiert geprüft werden, um beispielsweise eine generelle Nivellierung der Noten oder eine Überbetonung einzelner Fachbereiche zu verhindern.»
Bei der gymnasialen Maturitätsquote liegt der Thurgau unter dem Schweizer Durchschnitt von 20 Prozent. Sieht die Thurgauer Bildungsdirektorin hier Handlungsbedarf? «Tatsächlich weist der Kanton Thurgau für das Jahr 2020 eine gymnasiale Maturitätsquote von 15,7 Prozent auf», bestätigt sie. Und relativiert zugleich:
«Wichtiger als die Zahl als solche ist, dass die Jugendlichen diejenige Ausbildung besuchen, für die sie sowohl das kognitive Potenzial als auch die Interessen und Neigungen mitbringen.»
Allgemeinbildende Mittelschulen und berufsbildende Bildungswege – welche ihrerseits ebenfalls mit einem weiterführenden Berufsmaturitätsabschluss ergänzt werden können – sollten daher weniger als Konkurrenz angesehen werden. «Dass im Thurgau die richtigen Jugendlichen eine Mittelschule besuchen, zeigt sich an den hohen Erfolgsquoten der thurgauischen Mittelschulabgängerinnen und -abgänger an den Hochschulen», sagt Knill. «Entsprechend besteht bezüglich der Maturitätsquote aus meiner Sicht kein Handlungsbedarf.»