Im Empfangs- und Verfahrenszentrum in Altstätten beteiligen sich Asylsuchende an der Zubereitung der eigenen Mahlzeiten. Das Pilotprojekt soll nun national Schule machen.
Hannah Göldi
In der Küche des Empfangs- und Verfahrenszentrums für Flüchtlinge liegt zarter Pouletgeruch in der Luft. Auf den Kücheninseln stehen mit Gemüse gefüllte Schüsseln. Auf dem Menuzettel stehen neben gebratenem Poulet auch Ofenkürbis mit Zitrone, Basmatireis und Taboulésalat. «Ein Asylbewerber aus Syrien hat mir beigebracht, wie man den Salat zubereitet», sagt Marc Müller, seit eineinhalb Jahren hier Küchenchef.
Das Projekt «Selber Kochen» ist im April erfolgreich zu Ende gegangen. Ziel war es, die Asylbewerber ihr eigenes Essen zubereiten zu lassen. Inzwischen ist das Kochen eine der Beschäftigungen, denen die Asylsuchenden während ihres Aufenthalts regelmässig nachgehen können. Vor allem die Frauen freuen sich darüber. Neben der Arbeit in der Waschküche gab es für sie bisher nur begrenzte Arbeitsmöglichkeiten im «EVZ», wie das Zentrum intern genannt wird. «Dieses Programm hat viele Vorteile. Die Asylbewerber wissen, was im Essen ist. Es entsteht eine Gruppendynamik und es wird eine Tagesstruktur geschaffen», sagt Bernd Hammerer, Leiter der Betreuung. Jeden Tag warteten die Asylsuchenden auf ihren Verfahrensentscheid. «Mit dem Kochen kehrt mehr Normalität in ihrem Alltag ein.» Ausserdem lernten sie so mitteleuropäische Werte wie Pünktlichkeit und die hier üblichen Standards für Hygiene kennen.
Das Eidgenössische Staatssekretariat für Migration betreibt das EVZ in Altstätten. Zu den wichtigsten Herkunftsländern der Asylsuchenden gehörten im September Eritrea, Syrien, Afghanistan, Sri Lanka und Somalia. Im Moment kochen eine Mongolin, eine Syrerin, eine Afghanin aus dem Iran und ein Türke. Zwei Wochen lang stehen sie zu viert in der Küche, zusammen mit Profiköchen. Sakineh Teimouri ist erst seit zwei Wochen hier. «Ich bin mit meiner Familie aus dem Iran geflüchtet», sagt die Afghanin. «Jetzt sind wir alle in Altstätten.» Zu Hause habe sie nie gekocht. Die 17-Jährige hat sich aus eigenem Antrieb zum Kochen gemeldet. «Beim Zwiebelschneiden brennen meine Augen in den ersten zwei Minuten, aber dann habe ich mich dran gewöhnt», sagt sie lachend.
Vor dem Projekt hatten die Bewohner ihr Essen von einem Cateringservice erhalten. «Seit wir aber selber kochen, haben wir 85 Prozent weniger Abfall und sparen bei den Entsorgungskosten», sagt Hammerer. Allgemein seien die Ausgaben für die Verpflegung gesunken. Als Pilotprojekt hätte sich das EVZ Altstätten bestens geeignet, da es bereits über eine gute Kücheninfrastruktur verfügt habe. Marc Müller initiierte das Projekt zusammen mit Bernd Hammerer. Bis 2019 sollen schweizweit 5000 neue Plätze für Asylsuchende geschaffen werden. Nachdem das Projekt in Altstätten erfolgreich war, sollen die zwölf neu geplanten Asylzentren nun auch mit einer Küche ausgestattet werden.
Mit dem eigenständigen Zubereiten der Speisen könnten diese individueller auf die Flüchtlinge zugeschnitten werden. So könne man beispielsweise Kindermenus und Gerichte für Diabetiker zubereiten, sagt EVZ-Mitarbeiterin Susanne Lenherr. Die effektive Auswahl der Gerichte erfolge aber durch den Küchenchef unter Berücksichtigung der Ernährungspyramide, aber auch der Vorschläge der Bewohner.
Die Vorlieben beim Essen unterscheiden sich je nach Herkunft. «Interessant ist aber, dass alle Bewohner besonders auf Rahmgerichte fliegen. In den meisten Herkunftsländern der Asylbewerber sind Rahm und Butter Luxusprodukte», sagt Müller. Am auffallendsten seien unterschiedliche Präferenzen bei den Nudeln. So mögen die Syrer lieber lange Pasta und Bewohner aus den Magreb-Staaten oder aus Zentralafrika lieber kleine. «Spaghetti mögen sie aber alle», sagt Müller mit einem Augenzwinkern.
Kurz nach halb zwölf ist das Essen bereit. Ein Securitas öffnet die Türe zum Aufenthaltsraum. Draussen stehen die Bewohner Schlange. Im Saal wird geschöpft. Rasch wird’s still: Von klein bis gross, von Ost bis West sitzen alle zusammen an den Tischen.