Corona
Härtefallgelder: Jetzt legt der Kanton Thurgau den Fokus auf mögliche Missbräuche

Im Thurgau sind 93,6 Millionen Franken an A-fonds-perdu-Beiträge an Firmen bezahlt worden. Weitere 266,5 Millionen flossen aufgrund der Kurzarbeit. Nun soll sich die Wirtschaft wieder vom Tropf des Staates lösen. Speziell nimmt der Kanton nun unter die Lupe, ob ungerechtfertigte Beiträge bezogen worden sind.

Silvan Meile
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Daniel Wessner, Leiter Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Thurgau.

Daniel Wessner, Leiter Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Thurgau.

Tobias Garcia

Der Patient habe die Medizin erhalten, als sein Fieber am höchsten war. Nun sollte er versuchen, wieder auf den eigenen Beinen zu stehen. Für Daniel Wessner, Chef des Thurgauer Amtes für Wirtschaft und Arbeit, ist die Zeit gekommen, die wirtschaftlichen Stützungsmassnahmen aufgrund der Coronapandemie zu beenden. «Die Rückkehr zu einer freien und liberalen Marktwirtschaft ist angezeigt», sagt er an einer Medienorientierung am Montag.

Die Wirtschaft sei nun gefordert, «losgelöst vom Tropf des Staats», eigenverantwortlich zu handeln und sich der neuen Realität anzupassen. Für Wessner der richtige Zeitpunkt, über die grösste Wirtschaftshilfe seit dem Zweiten Weltkrieg ein Thurgauer Fazit zu ziehen.

Schutzschirm für Open Air Frauenfeldli

Von den rund 19'000 Thurgauer Unternehmen hätten seit 1. März des vergangenen Jahres 4233 Firmen Kurzarbeit abgerechnet, sagt Wessner. Dadurch flossen insgesamt 266,5 Millionen Franken. Als coronabedingte Erwerbsersatzzahlungen erfolgten Auszahlungen in Höhe von rund 24,4 Millionen Franken an Selbstständige – was 5772 Anmeldungen entspreche.

Beim letzten Auffangnetz, den kantonalen Covid-19-Überbrückungskrediten, sind lediglich in sieben Fällen Gelder gesprochen worden. Die Kredithöhe beträgt insgesamt rund 1,3 Millionen Franken. In einem Fall, dem kurzfristig abgesagten Open Air Frauenfeldli, bestehe ein Entschädigungsanspruch aufgrund der Schutzschirm-Regelung.

Keine Konkurswelle, kaum Massenentlassungen

Dass es der Thurgauer Wirtschaft trotz der Pandemie erstaunlich gut geht, gründet gemäss Daniel Wessner vor allem auf dem kantonalen Härtefallprogramm. 93,6 Millionen Franken an A-fonds-perdu-Beiträgen sind im Thurgau an 748 Firmen ausbezahlt worden. Wessner sagt:

«Trotz der schwierigen Wirtschaftssituation hatten wir während der Pandemie bedeutend weniger Konkurse als in den Vorjahren.»

Auch sei es zu keinen Massenentlassungen gekommen. Natürlich gebe es tragische Einzelfälle, sagt Wessner. Es könne aber gesagt werden:

«Die Beiträge haben ihr Ziel erreicht.»

Den Unternehmen gehe es gesamthaft gut, der Arbeitsmarkt habe sich stark erholt und im Kanton werde sogar über eine Steuersenkung diskutiert.

75 Prozent der Gesuche bewilligt

Von den eingegangenen 999 Gesuchen um Härtefälle wurden 251 abgelehnt. Oft sei dies aufgrund fehlender oder unvollständiger Unterlagen geschehen, sagt Marcel Räpple, Leiter Wirtschaftsförderung beim Kanton Thurgau:

«Wir mussten Gesuchstellenden teils klarmachen, dass ein Foto einer handgeschriebenen Notiz nicht ausreicht als seriöses Dokument.»

Bei nicht plausiblen Zahlen habe man das Gespräch gesucht, was aufwendig gewesen sei und Verzögerungen verursacht habe.

Wegen Kurzarbeit-Schwindel in Untersuchungshaft

Auch wenn beim Amt für Wirtschaft und Arbeit die Meinung vorherrscht, der Patient Wirtschaft sei nach den Finanzspritzen wieder im Stande, auf den eigenen Beinen zu stehen, will man ihn weiter beobachten. Mit einem Monitoring und mittels Stichproben soll nun ein spezielles Augenmerk auf mögliche Missbräuche gelegt werden.

Marcel Räpple, Leiter Wirtschaftsförderung des Kantons Thurgau.

Marcel Räpple, Leiter Wirtschaftsförderung des Kantons Thurgau.

Tobias Garcia

Im Austausch mit anderen Ämtern und Stellen soll bei Auffälligkeiten in den finanziellen Kennzahlen von Firmen genau hingeschaut werden. Zusätzlich würden Experten des Wirtschaftsprüfers Ernst & Young Stichproben durchführen. «Es wird eine Stichprobengrösse von 20 Prozent der entschädigten Anträge angestrebt», sagt Daniel Wessner. «Wir sind das dem Steuerzahler schuldig.»

Wer ungerechtfertigt Beiträge bezog, muss diese nicht nur zurückzahlen, es kann auch eine Strafanzeige drohen. Marcel Rapple rechnet aber mit wenigen Missbrauchsfällen. Bei der Kurzarbeit, die mit mehr als 4200 Firmen abgerechnet wurde, bestünden derzeit 50 Fälle von vermutetem Missbrauch. Erste Strafverfahren seien eingeleitet worden. In einem Fall sei gemäss Wessner ein Geschäftsleiter deswegen kurzzeitig in Untersuchungshaft genommen worden.