Bildung
Viele Flüchtlinge sind im schulpflichtigen Alter: Jetzt kommt die Task Force Ukraine

Die Thurgauer Schulen stehen nach zwei Jahren Coronapandemie vor der nächsten Herausforderung. Es gilt, die jungen Flüchtlinge aus der Ukraine in die Schulklassen zu integrieren. Erste Kinder aus dem osteuropäischen Land besuchen bereits Schulklassen. Ihre Zahl dürfte in den nächste Wochen deutlich ansteigen.

Silvan Meile
Drucken
Kinder auf dem Weg zur Schule.

Kinder auf dem Weg zur Schule.

Bild: Chris Iseli

Die Frage kam aus der Bevölkerung. «Dürfen die Kinder in die Schule kommen?» Nachdem Einwohner aus Eschlikon geflüchtete Verwandte aus der Ukraine bei sich zu Hause aufgenommen haben, traten sie an die Schule im Dorf heran.

«Die Situation in der Ukraine ist unbestritten», sagt Thomas Minder. Im Vordergrund stünden Menschen in Not, die ihr Land wegen des Kriegs verlassen mussten. Deshalb integrierten die Eschliker die drei Kinder aus der Ukraine unkompliziert in ihren Schulklassen. Sie sind zwischen fünf und zwölf Jahre alt. «Kinder haben ein Recht auf Bildung», sagt Minder mit Verweis auf die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen, «unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus».

Viele Flüchtlinge sind im schulpflichtigen Alter

Die Lage ist unübersichtlich. Wie viele Kinder aus der Ukraine derzeit die Schule im Thurgau besuchen, weiss niemand genau. Für die Schulgemeinden bestehe keine Meldepflicht an den Kanton, sagt Beat Brüllmann, Chef des Amts für Volksschule. Er schätzt die Zahl auf 25 bis 50 Schülerinnen und Schüler, die derzeit privat im Thurgau untergebracht sind und eine Regelklasse besuchen. Das ist ein Wert, den er aufgrund der Anfragen an sein Amt ableitet. Das dürfte die Schulen noch vor keine allzu grossen Probleme stellen. Anders sehe es aus, wenn plötzlich einige hundert Kinder neu eingeschult werden müssten, sagt Brüllmann:

Beat Brüllmann, Chef des Thurgauer Amts für Volksschule.

Beat Brüllmann, Chef des Thurgauer Amts für Volksschule.

Bild: Ralph Ribi
«Wir arbeiten mit verschiedenen Szenarien, überlegen uns, wie wir allenfalls reagieren können.»

In einem aktuellen Rundschreiben des Thurgauer Amts für Volksschule werden die Schulen auf einen Anstieg an Kindern aus der Ukraine eingestellt. «Es ist davon auszugehen, dass in den nächsten Wochen und Monaten die Zahl von Flüchtlingen in die Schweiz ansteigen wird», heisst es im Schreiben.

«Viele der Flüchtlinge dürften Kinder im schulpflichtigen Alter sein, deren Beschulung in der Schweiz auf eine sinnvolle Art und Weise sichergestellt werden muss.»

Nach zwei Jahren Coronapandemie stellt der Krieg in der Ukraine die Schulen vor die nächste Herausforderung. Beim Amt für Volksschule war geplant, die Task Force Corona aufzuheben. Nun müssen sich die gleichen Leute voraussichtlich bald als Task Force Ukraine treffen.

Schutzstatus S bringt Sicherheit

Einige Schulgemeinden zögerten bisher mit der Aufnahme von geflüchteten Kindern aus der Ukraine. Weil sie ohne Visums- und Meldepflicht in die Schweiz einreisten, blieben etwa Fragen bezüglich Versicherungen oder Krankenkasse offen. Womöglich wären in einem Härtefall die Sozialämter der Gemeinden in der Pflicht gewesen. Diese Unsicherheit hat der Bundesrat am Freitagnachmittag mit der Einführung des «Schutzstatus S» für die Menschen aus der Ukraine entschärft. Dieser tritt ab Samstag in Kraft. Bundesrätin Karin Keller-Sutter betonte an der Medienkonferenz unter anderem: «Die Kinder sollen in die Schule können.»

Im Fokus steht Deutsch - aber es gilt auch, Traumas zu erkennen

Die Integration fremdsprachiger Kinder in die Schulklassen sei ein gewohnter Vorgang, sagt Minder. Seit 15 Jahren ist er Schulleiter in Eschlikon und er präsidiert den Schweizer Berufsverband. Immer wieder sind auch an seiner Schule Kinder ohne jegliche Deutschkenntnisse aufgenommen worden, etwa als Flüchtlinge oder als Familiennachzug. Im Fokus stehe dabei vor allem, dass sie rasch Deutsch lernen. «Das ist unter diesem Aspekt für uns keine ausserordentliche Situation», sagt Minder. Eine solche könnte es aber werden, wenn die Anzahl an Flüchtlingskindern dereinst ungebremst ansteigen würde.

Thomas Minder, Schulleiter in Eschlikon und Präsident des Verbands Schulleiter Schweiz.

Thomas Minder, Schulleiter in Eschlikon und Präsident des Verbands Schulleiter Schweiz.

Bild: Tobias Garcia

Nebst den Bemühungen, die Kinder Deutsch zu lehren, muss ihnen auch gut zugehört werden. «Diese Kinder müssen die Möglichkeit erhalten, ausserhalb ihrer Familie in ihrer Muttersprache zu sprechen», sagt Minder. Entsprechende Netzwerke gelte es zu schaffen, damit sie sich frei darüber äusseren können, was sie erlebten. Es gelte dabei auch, Traumas zu erkennen.