Seine Karriere in St.Gallen und Bern war steil, seine Stimmenzahlen bei den Bundesratswahlen traumhaft. Dann aber stolperte Arthur Hoffmann 1917 über seinen eigenen Ehrgeiz.
Rolf App
Was bleibt in Erinnerung von der Amtszeit von Bundesrätin Elisabeth Kopp? Richtig, ihr Rücktritt im Januar 1989. Ähnlich liegt der Fall bei Arthur Hoffmann, der, als Schweizer Aussenminister belastet, am 19. Juni 1917 zurücktreten muss und in seine Heimatstadt St.Gallen zurückkehrt. Die Karriere eines Mächtigen, vielleicht sogar Übermächtigen kommt da abrupt an ihr Ende. Wohl in keinem andern Fall liegen Höhen und Tiefen so weit auseinander wie bei Arthur Hoffmann. Mit 186 (von 195) Stimmen wird der Freisinnige am 4. April 1911 in den Bundesrat gewählt, sogar einstimmig wird er 1914 am Ende seines Präsidialjahres wiedergewählt. Den Bundesrat dominiert er weitgehend, wenn er ihn nicht ganz übergeht. Und: Durch die vom Parlament beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs ihm übertragenen, umfassenden Vollmachten verfügt er über eine beispiellose Machtfülle. Umso erstaunlicher, dass dieser «mächtigste Bundesrat, den die Schweiz je hatte», so lange keinen Biografen gefunden hat. Bis jetzt.
Paul Widmer, selber Ostschweizer und Jahrzehnte selber als Diplomat tätig, nimmt sich des Mannes an, der über eine diplomatische Affäre gestürzt ist. Und obwohl neben ein paar Briefen an seine Frau kein Nachlass über seine persönlichen Beweggründe Auskunft gibt, ist Widmer in den heute offenen Archiven in reichem Mass fündig geworden. In der gerade erschienenen Biografie erzählt er die Geschichte eines Mannes, der auf der Weltbühne eine grössere Rolle spielen wollte, als es der neutralen Schweiz zustand. «Wenn sein Ehrgeiz angestachelt war, schien er das Augenmass zu verlieren.»
Macht hat in der Familie Hoffmann Tradition. Der 1857 geborene Arthur Hoffmann ist der Spross einer einflussreichen St.Galler Advokatendynastie. Zusammen mit seinem Vater Karl sitzt er schon im Grossen Rat, als Ständerat wird dieser Vater sogar in den Bundesrat gewählt, nachdem der Thurgauer Fridolin Anderwert sich am Weihnachtsabend 1880 das Leben genommen hatte. Doch Karl Hoffmann nimmt die Wahl nicht an, wohl mit Rücksicht auf den Gesundheitszustand seiner Frau.
Der Sohn ist ähnlich ehrgeizig wie der Vater. Und ebenso verschlossen. Die Kinder beschreiben ihn in einer Gedenkschrift so: «Er war ein Müssender, ein Getriebener, ohne sich deutlich darüber bewusst zu sein. Jede Stunde des Tages war für ihn ein: Hier stehe ich und kann nicht anders.» Rasch steigt er auf, im Zivilen und im Militär, wo er den umstrittenen Korpskommandanten Ulrich Wille kennen und schätzen lernt. Anerkannt wird er weit über die Parteigrenzen hinweg. «Wenn je einmal der Mann nicht das Amt, sondern das Amt den Mann gesucht hat, so ist es hier der Fall», kommentiert denn auch Emil Buomberger in der katholischen «Ostschweiz» Hoffmanns ganz unbestrittene Wahl in den Bundesrat.
Der neue Mann weiss, was er kann. Zur Höchstform läuft er 1914 auf, als Bundespräsident. In einem gewagten Manöver überredet er seine Bundesratskollegen, Ulrich Wille als General vorzuschlagen, und setzt dann das Parlament unter Druck an einem langen Verhandlungstag, der an Dramatik schwer zu übertreffen ist. Wohl auf Hoffmanns Rat hin bringt Wille seinen ungleich beliebteren Konkurrenten, Generalstabschef Theophil Sprecher von Bernegg, dazu, auf eine Wahl zu verzichten. «Bundesrat Hoffmann ist derjenige, mit dem ich alles immer durchbespreche», beschreibt Wille in einem Brief an seine Frau die Beziehung, «und wenn ich schon weiss, dass der kleine kluge Mann ebenso kalt ist wie ich warm, so weiss ich doch, dass er mich versteht.»
Warum hat Hoffmann diesen Mann um jeden Preis durchgedrückt? Weil sie beide deutschfreundlich sind? So lautet der Vorwurf. Widmer geht davon aus, dass Hoffmann, der 1912 in der Ostschweiz in den «Kaisermanövern» auch dem deutschen Kaiser Wilhelm II. begegnet, durchaus eine Nähe zum grossen Nachbarn im Norden empfindet. Er stellt aber auch fest, dass Hoffmann sich, als er von 1914 an als Aussenminister amtet, um strikte Unparteilichkeit bemüht.
Öffentlich verteidigt Hoffmann die Neutralität in allen Debatten. Insgeheim aber sucht er nach Wegen, einen Friedensschluss anzubahnen. Aus zwei Gründen wohl, einem politischen und einem persönlichen. Der politische: Die Schweiz hat immer grössere Schwierigkeiten, Lebensmittel zu importieren. Sogar eine Hungersnot droht. Und der persönliche: Hoffmann will eine bedeutendere Rolle auf der weltpolitischen Bühne spielen. Das eine Mal konferiert er mit französischen Oppositionellen, das andere Mal düpiert er den amerikanischen Präsidenten. Worauf der Generalsekretär des französischen Aussenministeriums Aesops Fabel vom Frosch zitiert, der so gross sein will wie der Ochse, sich aufbläst – bis er platzt.
Doch Arthur Hoffmann lernt nichts daraus. Als SP-Nationalrat Robert Grimm 1917 ins revolutionäre Russland reisen will, unterstützt er dieses Anliegen und verknüpft damit einen Versuch, zwischen der deutschen und der neuen russischen Regierung einen Separatfrieden ins Gespräch zu bringen. Als die Geheimaktion öffentlich wird, muss Hoffmann den Hut nehmen – am Tag nach seinem im Bundeshaus lebhaft gefeierten 60. Geburtstag. Deutschlands Gegner sind erzürnt, die Schweizer Aussenpolitik ist diskreditiert. So endet jäh, was so glanzvoll begonnen hat. Ein Betriebsunfall war es nicht. Denn, schreibt sein selber davon überraschter Biograf: «Was ihm zustiess, lief eher nach dem Motto ab: Der Krug geht zum Brunnen, bis er bricht.»
Paul Widmer: Bundesrat Arthur Hoffmann – Aufstieg und Fall, NZZ Libro 2017, 373 S., Fr. 52.90.