Eigentlich hat sie ihre Sport-Karriere bereits aufgegeben. Doch dann zieht Jenjira Stadelmann mit 16 Jahren von Thailand in die Schweiz und entflammt ihre Leidenschaft Badminton neu. Sechs Jahre später träumt sie von Olympia. Das ist ihre Geschichte.
Etwas ausserhalb von Bern, draussen regnet es in Strömen. Die Schweizer Witterung zeigt sich wieder einmal von ihrer besten Seite. Das regnerische Wetter ist noch lange kein Grund für Jenjira Stadelmann, ihr ansteckendes Lachen zu verlieren. An die bewölkte Schweiz hat sie sich längst gewöhnt. Es ist noch nicht allzu lange her, da lebte die 23-Jährige noch in Thailand und genoss praktisch das ganze Jahr Sommer. Heute ist die schweizerisch-thailändische Doppelbürgerin die beste Badminton-Spielerin des Landes und peilt die Teilnahme an den Olympischen Spielen 2024 in Paris an.
Als Tochter einer thailändischen Mutter und eines Schweizer Vaters wuchs Jenny, wie sie auch genannt wird, in Chiang Mai im Norden Thailands auf. Bereits in jungen Jahren zeigte sich ihr Talent im Umgang mit dem Federball. Im Alter von 14 Jahren verliess sie ihre Familie ein erstes Mal. In einem neuen Verein im neun Autostunden entfernten Bangkok hätte ihr Talent weiter gefördert werden sollen. Wegen Rückenproblemen und dem enormen Leistungsdruck kehrte sie jedoch schnell wieder an ihren Geburtsort zurück. «In Bangkok war ich eine von zehn Jennys und wenn du dich verletzt, bist du sofort weg vom Fenster, das war nicht meine Welt», blickt Stadelmann kritisch auf ihre Zeit in der Metropole zurück.
Weil die Chancen auf eine aussichtsreiche Badminton-Karriere in ihrem Heimatland schwindend gering waren, entschied sie sich dazu, ein Studium in der Veterinärmedizin anzupeilen. Sie wollte Tierärztin werden. Mit dem Leistungssport hatte Jenny eigentlich schon abgeschlossen – bis 2016 Sommerferien in der Schweiz ihr Leben auf den Kopf stellten.
Ursprünglich war sie nur gekommen, um ihren Vater, der mittlerweile wieder in der Schweiz lebte, für vier Wochen zu besuchen. Da ihr Vater aber nur drei Wochen Ferien beziehen konnte, wollte sie sich für die restlichen Tage eine Beschäftigung suchen. Mit einem Badminton-Lager im Appenzellischen fand sie die perfekte Lösung. In dieser einen Woche wusste sie derart zu überzeugen, dass man ihr sogleich ein Angebot unterbreitete, die Sportschule Appenzellerland zu besuchen und das Badminton auf höchstem Niveau weiterzuverfolgen. Die damals 16-Jährige überlegte nicht lange und beschloss, die einmalige Chance zu nutzen. Ohne ein Wort Deutsch sprechen zu können, zog sie in die fremde Schweiz – eine mutige Entscheidung, die sie bis heute nie bereut hat.
Ihre Entwicklung gibt ihr recht, seit ihrer Ankunft ging es stets nach oben. Heuer ist sie Mitglied des Elite-Nationalkaders und die aktuell beste Spielerin der Schweiz, oft trainiert sie mit den Männern. Um auch neben dem Spitzensport eine gewisse Sicherheit zu haben, schloss sie vor ein paar Wochen die Ausbildung zur Fitness- und Bewegungstrainerin erfolgreich ab. Eine Möglichkeit, die sie in Thailand nicht gehabt hätte: «In Thailand musst du dich entscheiden. Entweder Sport oder Studium. Etwas anderes gibt es nicht», so Stadelmann.
Ihr grosses Ziel ist die Teilnahme an den Olympischen Spielen 2024 in Paris. Ein hochgestecktes, jedoch keineswegs unmögliches Ziel. Um sich für Olympia zu qualifizieren, muss Stadelmann ein möglichst gutes Ranking in der Weltrangliste erlangen. Diesen Oktober erreichte sie den 64. Rang – ihre bis anhin beste Platzierung. Um weiter nach oben zu klettern, muss sie sich an internationalen Turnieren beweisen. Eine oftmals nicht nur wegen der sportlichen Aspekte tückische Aufgabe. Die internationalen Turniere finden überall auf dem Globus verteilt statt. So kommt es auch vor, dass sie ganz alleine für ein Turnier nach Kanada, Bahrain oder Singapur reist.
Dass die 23-Jährige über das Potenzial verfügt, mit den Weltbesten mitzuhalten, bewies sie im September eindrücklich. Sie brachte die Spanierin Carolina Marin an den Rand einer Niederlage. Die Olympiasiegerin, dreifache Weltmeisterin und sechsfache Europameisterin ist im asiatisch dominierten Sport die absolute Nummer eins in Europa. «Als ich wusste, ich muss gegen sie spielen, wurden meine Hände ganz kalt und ich wurde richtig nervös. Schliesslich habe ich dann doch sehr gut gespielt, das kam sehr unerwartet für mich», schaut Stadelmann zurück.
Nachdem die Schweizerin den ersten Satz für sich entschieden hatte, fehlte im dritten und entscheidenden Satz nicht viel zum Exploit. Nur zwei Punkte war Stadelmann davon entfernt, eine der weltbesten Spielerinnen zu bezwingen. Schon während dem Spiel gegen Marin wurde ihr bewusst: «Hey, ich kann das ja auch.» Nach dem Spiel war sie gar ein wenig enttäuscht, dass es nicht ganz zum Sieg reichte. Ob Sieg oder Niederlage: Es war das lehrreichste Spiel ihrer noch jungen Karriere. «Die Partie war ein extremer Boost für mein Selbstvertrauen», bilanziert Stadelmann.
Am vergangenen Samstag kam es im Rahmen des Qualifikationsturniers für die Mixed-Europameisterschaften zu einem erneuten Aufeinandertreffen zwischen Stadelmann und Marin. Wie in Kanada wusste Stadelmann auch in Sursee gegen die Spanierin zu überzeugen. Den ersten Satz entschied die Schweizerin erneut für sich, ehe sie sich im Entscheidungssatz geschlagen geben musste.
Spätestens nach den wackeren Leistungen gegen Marin ist Olympia nicht mehr nur ein Traum in weiter Ferne. Beweist Jenny Stadelmann auch in Zukunft so viel Mut auf und neben dem Platz, wird sie ihr ansteckendes Lachen auch in Paris 2024 verbreiten.