Deutschlandwahl 2021
Schweizer Botschafter in Berlin: «Eine Richtungsänderung erwarte ich nicht»

Der Schweizer Botschafter in Berlin, Paul Seger, über die Sorge vor einer langen Hängepartie nach den heutigen Wahlen. Und warum es mit einem SPD-Kanzler Scholz etwas «straffer» werden könnte.

Christoph Reichmuth, Berlin
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Paul Seger (62) ist seit August 2018 Schweizer Botschafter in Berlin.

Paul Seger (62) ist seit August 2018 Schweizer Botschafter in Berlin.

Christoph Reichmuth

Paul Seger, was wünscht sich der Schweizer Botschafter? Eine neue Regierung mit CDU-Chef Armin Laschet an der Spitze - oder doch lieber die Genossen mit Olaf Scholz im Kanzleramt?

Paul Seger: Ein frommer Wunsch wäre das, könnten wir wählen, wen wir wollen. Wir müssen mit der Regierung am Ende arbeiten, die gewählt wird.

Kanzlerin Angela Merkel hat, so war der Eindruck, ein bisschen gefremdelt mit dem europaskeptischen Schweizer Volk. Wird das Verhältnis zu Deutschland jetzt wieder enger?

Seger: Deutschland ist an guten Beziehungen zu uns interessiert. Berlin unterstützt unsere Position in Brüssel, wo das möglich ist. Aber klar: Deutschland sieht sich als einen Motor und Garant von europäischer Solidarität. Wenn es zu einer Güterabwägung kommt zwischen Freundschaft zur Schweiz und europäischer Solidarität, wird jede neue Regierung - ob CDU- oder SPD-geführt - sich für die europäische Solidarität entscheiden. Aber: Ich glaube nicht, dass es im Verhältnis Schweiz-EU mit einer neuen Bundesregierung zu fundamentalen Richtungsänderungen kommen wird.

Olaf Scholz steht eher für eine Vertiefung der EU als Armin Laschet. Also doch lieber eine CDU-Regierung, aus Schweizer Sicht?

Seger: Scholz wirkt auf mich als der dezidiertere Europäer von den beiden Kandidaten. Von ihm stammt der Satz, Europa sei das wichtigste nationale Interesse Deutschlands. Das zeigt, wie hoch er das Thema Europa hängt. Mit einer SPD-geführten Regierung würde das Thema Europa wohl noch etwas straffer behandelt als mit einer CDU-geführten Regierung. So oder so: Wir müssen unsere Hausaufgaben im Verhältnis zur EU selber machen. Wie gesagt: Eine Richtungsänderung erwarte ich nicht. Deutschland hat ein grosses wirtschaftliches Interesse daran, dass sich das Verhältnis Schweiz-EU nicht substantiell verschlechtert. Der Brexit hat in Deutschland eine wirtschaftliche Delle hinterlassen. Berlin kann kein Interesse daran haben, dass ein anderer wichtiger Wirtschaftspartner wie die Schweiz in Schwierigkeiten gerät.

Nun könnte die Regierungsbildung eine monatelange Hängepartie werden - und Merkel bleibt noch länger kommissarisch im Amt. Fürchten Sie sich vor einer nicht handlungsfähigen Regierung in Berlin?

Seger: Sie haben Recht, eine lange Regierungsbildung könnte ein Problem sein. Kommt hinzu, dass auch in Frankreich nächstes Jahr Wahlen anstehen. Ich bin schon besorgt, dass wichtige aussenpolitische Entscheidungen - etwa in der Klimapolitik - in der Schwebe bleiben, wenn bis nächsten Frühjahr in Berlin noch keine neue Regierung gebildet werden konnte. Daher hoffe ich, dass in Berlin bald eine handlungsfähige Regierung stehen wird. Aber: Ich bin sicher, dass in Deutschland kein Chaos und keine Verunsicherung ausbricht.

Erst wenn die Regierung steht, können Sie als Botschafter damit beginnen, Kontakte zur neuen Regierung zu knüpfen. Das könnte sich nochmal hinziehen.

Seger: Wir haben schon seit längerer Zeit guten Kontakt zu Armin Laschet und seinem engsten Umfeld. Ich habe Armin Laschet auch schon persönlich getroffen. Auch zur SPD haben wir sehr gute Kontakte, auch wenn ich selbst Olaf Scholz noch nicht persönlich sprechen konnte.

Haben Sie Armin Laschet das System der direkten Demokratie erklärt? Er hat sich dazu ja eher kritisch und skeptisch geäussert.

Seger: Unser System wird in Deutschland nur zum Teil verstanden. Nach dem Brexit-Votum sehen deutsche Politikerinnen und Politiker das Instrument der direkten Demokratie noch kritischer. Deutschland wird sich mit unserem System kaum anfreunden - aber wichtig ist vor allem, dass Berlin unser System respektiert.