Skandal um Skandal
Weshalb der Credit Suisse eine Psychoanalyse gut tun würde

Die zweitgrösste Bank der Schweiz lässt praktisch keinen Skandal aus. Die krankhafte Rivalität mit der UBS hat sich tief in ihre DNA gefressen.

Daniel Zulauf
Daniel Zulauf
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Viel Schatten wenig Licht bei der Credit Suisse.

Viel Schatten wenig Licht bei der Credit Suisse.

Keystone

Was hat die hochkorrupte Finanzierung einer Thunfischjägerflotte in Moçambique mit der Beschattung von Managern in Zürich oder Singapur zu tun? Beides sind deutliche Anzeichen von Sittenzerfall – ein Phänomen, das unter dem Dach der Credit Suisse leider schon seit langer Zeit zu beobachten ist und immer wieder für Katastrophen sorgt.

Seit Jahren lässt die Bank kaum einen Skandal aus, um ihre Reputation zu beschädigen. Wieso ist sie nicht in der Lage, aus ihren Fehlern zu lernen? Die Frage stellt man sich auf dem Schweizer Finanzplatz schon viel zu lange. Ungenügende Kontrollsysteme, eine unausgegorene Risikokultur oder ganz einfach die falschen Manager – die Antworten sind stets die gleichen, und offensichtlich vermögen sie das Problem nicht in der nötigen Tiefe zu erfassen.

Wäre die Credit Suisse eine Person, würde sie vielleicht eine Psychoanalyse in Angriff nehmen, mit dem Ziel, den im Unterbewusstsein angelegten, gestörten Verhaltensmustern auf die Schliche zu kommen.

Eine juristische Person kann sich zwar nicht auf die Couch des Analytikers legen, aber jedes Unternehmen kann und sollte sich kritisch mit der eigenen Geschichte auseinandersetzen. Der Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann sagt: «Unternehmen haben ein unterentwickeltes Langzeitgedächtnis, aber wie jeder lebendige Organismus tragen sie ein Erbgut in sich. Anhand dieser DNA lassen sich rückblickend viele Wendungen als Zwangsläufigkeiten erkennen.»

Im konkreten Fall des UBS-Debakels in der Finanzkrise stellte Straumann fest:  «Das Problem war nicht, dass die Bankleitung bewusst grosse Risiken eingegangen und sich dabei verspekuliert hat, sondern dass man die Risiken eben genau nicht gesehen hat und sich in falscher Sicherheit wiegte.»

Beim Lesen der internen UBS-Berichte habe man förmlich gespürt, wie die Leute in der Bank «ein wahnsinniges Vertrauen in ihren eigenen Verfahren hatten». Es habe ständig Sitzungen, Gutachten und andere Gelegenheiten gegeben, um sich der vermeintlichen Überlegenheit der eigenen Verfahren vergewissern zu können.

Etwa so, wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen, sollte man sich vermutlich die Psychologie der Credit Suisse vorstellen. Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass das dreiste, ja grobfahrlässige und dem guten Ruf der Bank überaus abträgliche Geschäftsgebaren seinen Ursprung in einer Art kollektivem Minderwertigkeitsgefühl hat.

Seit fünfzig Jahren hechelt die traditionsreiche und einstmals grösste Schweizer Bank der Rivalin UBS hinterher. Diese war in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts aus dem Zusammenschluss wenig glamouröser Schweizer Regionalbanken hervorgegangen und stiess dank des raschen Ausbaus des Filialnetzes in den 1960er-Jahren an die Spitze vor. Die Credit Suisse liess sich scheinbar kampflos überholen. Was die Filialen anbelangte, sagte der seinerzeitige Generaldirektor Heinz Wuffli, man betreibe keine Prestigepolitik und strebe die optimale statt der maximalen Filialdichte an.

Aus der anfänglich gesunden Rivalität der beiden Banken scheint sich bei der Credit Suisse im Lauf der Zeit ein krankhafter Ehrgeiz entwickelt zu haben. Ihre Erfolgsanstrengungen sind primär darauf ausgelegt, das Ansehen der eigenen Firma in den Augen der Konkurrenz zu steigern, statt dem eigentlichen Unternehmenszweck zu dienen. Das ist die Grundlage von «Moral Hazard», wie die Angelsachsen das Verhalten von Wirtschaftssubjekten beschreiben, die notorisch auf besonders riskante Geschäfte setzen. Solche Akteure gewichten die Chancen aufgrund einer einseitigen mentalen Ausrichtung, aber auch aufgrund von fehlgeleiteten finanziellen Anreizen systematisch höher als die Risiken – ein Verhaltensmuster, das im Fall der Credit Suisse leicht zu beweisen ist.