Otti hat die Welt ein bisschen besser gemacht

Der Kommentar: Otto Stich hat es seiner Partei nicht immer einfach gemacht. Aber seine Partei ihm auch nicht.

SaW Redaktion
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Hier der Sozialdemokrat alter Schule aus dem Arbeitermilieu. Geprägt von der sozialen Not seiner frühen Kindheit, kämpfte er sein Leben lang für die zeitlosen sozialdemokratischen Werte. Dort seine Partei im Aufbruch. Massgeblich geprägt von zornigen jungen Männern und Frauen aus dem Bildungs- und Besitzbürgertum. Unter dem Eindruck vermeintlich grenzenlosen Wachstums wollten sie die Welt aus den Angeln heben.
Hier der Realpolitiker, gestählt im jahrzehntelangen Kampf als Minderheitsvertreter in politischen Gremien. Dort die Visionäre, beflügelt von klugen Analysen, mutigen Projekten und hochfliegenden Plänen im trauten Kreis Gleichgesinnter.
Hier der tägliche Nahkampf für ein bisschen mehr Gerechtigkeit und soziale Sicherheit und gegen kleinlichen Egoismus und arrogante Privilegienwirtschaft für wenige. Dort die langfristig angelegte Schlacht um eine bessere Gesellschaftsordnung und eine gerechtere Welt.
Hier der Macher in politischen Gremien, der – so war zu lesen – lieber Revisor geworden wäre.
Dort die Denker in gelegentlich etwas abgehobenen Parteigremien, die lieber den globalen Hebel angesetzt hätten. Beide wollten sie die Welt verbessern.
Otto Stich hat damit in der Rechnungsprüfungskommission seiner Heimatgemeinde Dornach begonnen und schliesslich als Bundesrat in den Leitungsgremien der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds fortgesetzt. Andere sind in internen Konzeptgruppen stehen geblieben.
Mit der Bundesratswahl prallten am 7. Dezember 1983 diese recht unterschiedlichen Lebenswelten heftig aufeinander. Dass da die Fetzen flogen, war unvermeidlich.
Die Nomination einer Frau hatte für die SP hohen symbolischen Wert. Endlich sollte der alten Forderung nach gleichen Rechten für Frauen und Männern zum Durchbruch verholfen werden. Dass dies von der Parlamentsmehrheit abgeschmettert wurde, machte alle Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten zornig. Und dass nach Hanspeter Tschudi und Willi Ritschard nun zum dritten Mal in Folge der Wahlvorschlag der Partei übergangen wurde, empfand man als erneute Demütigung der Partei! Das verletzte tief und machte wütend.
Otto Stich wusste sehr genau, dass er mit der Annahme der Wahl seine Partei vor den Kopf stossen und mit ihr einen Riesenkrach bekommen würde. Das muss ihn enorm belastet haben, hatte er doch ein sehr inniges, wenn auch nicht feuriges Verhältnis zu seiner Partei.
Er wusste aber auch, dass eine Ablehnung der Wahl für die SP unweigerlich zu einem Sitzverlust und dann folgerichtig zum Rückzug des verbliebenen Bundesrates und somit zum Austritt der SP aus dem Bundesrat geführt hätte.
Das konnte Otto Stich nicht wollen. Aufgrund bürgerlicher Provokationen und Demütigungsversuche gibt man nicht einfach mühsam erkämpfte Positionen preis! Das hätte noch gefehlt.
Wer Otto Stich nur ein bisschen gekannt hat, wusste, dass er auf Demütigungsversuche störrisch reagiert. Er musste die Wahl annehmen und konnte gar nicht anders – dafür nahm er sogar den Krach mit seiner Partei in Kauf.
Otto Stich hat unter dem Liebesentzug seiner Partei zweifellos gelitten. Seine ersten Erfahrungen als Sohn eines politisch und gewerkschaftlich engagierten Vaters im bürgerlichen Dornach liessen ihn die Sozialdemokratie als emotionale Heimat erleben. Solidarität und Gemeinschaftssinn waren hier viel wichtiger als Differenzen im ideologischen Feintuning. Mit der Partei wieder ins Reine zu kommen, muss deshalb zuoberst auf seiner politischen Agenda als Bundesrat gestanden haben. Nicht weil er sich damit beträchtlichen Ärger ersparen konnte, sondern ganz einfach, weil es ihm ein Herzensanliegen war.
Das ist ihm toll gelungen. Otto Stich hat sich mit seiner soliden Arbeit, seiner unerschütterlichen Grundsatztreue, seinem tapferen Kampf für mehr soziale Sicherheit und mehr Gerechtigkeit sowie seinem feinen Humor und seiner warmherzigen Art die Herzen der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten zurückerobert.
Und zuerst die Wut und dann den Respekt der politischen Konkurrenz dazu!
Das hat er gut und damit die Welt ein bisschen besser gemacht, unser Otti! Und darum wird er uns fehlen.
Die Nachricht: Otto Stich, SP-Bundesrat und Finanzminister von 1984 bis 1995, starb am Donnerstag im Alter von 85 Jahren.
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