Startseite
Meinung
Kommentare BZ
Landwirtschaftsminister Guy Parmelin soll die Veröffentlichung eines Faktenblatts des zur ETH gehörenden Wasserforschungsinstituts Eawag verhindert haben. Im Faktenblatt steht, dass die Landwirtschaft mit dem Einsatz von Pestiziden das Trinkwasser in der Schweiz gefährdet. Die Richtwerte werden gemäss der Eawag in Schweizer Gewässern regelmässig und lang anhaltend überschritten. Den Wasserforschern soll Parmelin zudem einen Maulkorb verpasst haben, weil es ETH-Forschern im Solde des Bundes nicht anstehe, bundesrätliche Entscheide zu kritisieren. Die Wissenschafter hatten erklärt, dass der Pestizidaktionsplan des Bundes ungenügend sei, weshalb Handlungsbedarf bestehe.
Im Umfeld zweier einschneidender Volksinitiativen, die eine Beschränkung oder sogar ein Verbot des Pestizideinsatzes fordern, muss dieses Vorgehen von zwei Seiten aus betrachtet werden: von der Politik wie von der Wissenschaft aus.
Fraglos gilt auch in diesem Fall die Freiheit der Wissenschaft, die sich nach den Fakten zu richten hat und dabei unabhängig von politischer Einflussnahme bleiben muss. Aufgrund der wissenschaftlich erarbeiteten Resultate soll sich die Bevölkerung ein Bild über den wirklichen Zustand der Schweizer Gewässer und des Trinkwassers machen können. Auch wenn diese Studienresultate der Wasserforscher den Initianten der Pestizideinschränkungen in die Hände spielen. So einigt man sich leicht darauf, dass ein Bundesrat sich nicht in die Forschung einmischen und deren Resultate unter Verschluss halten darf. Sonst zerstört er das Vertrauen in die Politik wie auch in die Wissenschaft.
Doch wie steht es umgekehrt? Inwieweit darf sich die Wissenschaft in die politische und gesellschaftliche Meinungsbildung einmischen? Denn genau das unterstellt Parmelin den ETH-Wissenschaftern, in deren Faktenblatt er eine politische Einflussnahme sieht. Tatsächlich muss ein Wissenschafter sich einzig und allein an die Fakten halten: an Messungen, Studienresultate, Berechnungen, Beobachtungen und Experimente. Und diese unter veränderten Zeit- und Rahmenbedingungen immer wieder überprüfen und wenn nötig korrigieren. Lehnt er sich bei der Interpretation der wissenschaftlichen Resultate zu weit nach draussen, untergräbt das unter Umständen seine Glaubwürdigkeit.
Er macht sich und damit auch die wissenschaftlichen Fakten angreifbar von jenen, die sich durch diese bedroht fühlen. Denn wenn es schliesslich darum geht, aufgrund wissenschaftlicher Fakten Konsequenzen zu ziehen, welche Land und Leute betreffen, kommen viele Interessenvertreter ins Spiel. Ökonomische Aspekte können dann zur Instrumentalisierung des Forschers und seiner Studien führen. In Zeiten von Fake News ist sein neutraler Standpunkt deshalb entscheidend.
Im aktuellen Fall der Eawag sind reine Fakten publiziert worden. Die Messresultate in den Schweizer Gewässern sind eindeutig, und auch der Ursprung der Pestizide in der intensiven Landwirtschaft ist nicht abzustreiten. Da darf die Wissenschaft erklären, dass aufgrund dieser Resultate Handlungsbedarf besteht, um die chemische Verunreinigung zu reduzieren. Mit welchen Mitteln ist dann wieder Sache der Politik und der Gesellschaft, wenn sie über die Trinkwasser-Initiativen entscheiden wird.
Den Vorwurf der politischen Einmischung müssen sich vor allem die Klimaforscher oft anhören. Da stellt sich die Frage, ob ein Wissenschafter über Jahre reglos mit ansehen muss, wie seine Resultate missachtet oder gar missbraucht werden. Oder ob er sich zum Wohle der Gesellschaft nicht doch äussern muss, wenn in sozialen Medien und Netzwerken durch Unwissenheit oder gezielt verzerrte Fakten gestreut werden, um mit Zweifeln Politik und Gesellschaft zu beeinflussen. Denn Entscheidungen gründen bekanntlich nicht nur auf Fakten, sondern werden auch aus dem Bauch heraus gefällt – und der ist anfällig für Zweifel. Deshalb braucht es Einordnungen der Fakten, Aufklärung über allfällige Instrumentalisierungen und die Diskussion über die Folgen von Massnahmen. Denn diese führen oft zum Verzicht auf gewohnte Bequemlichkeiten. Das gilt vor allem bei komplexen Problemen wie Klima, Umwelt, soziale Gerechtigkeit und Migration. Da ist wissenschaftliche Expertise notwendig.