Apropos
So treiben sie uns den Schiller aus

Eine hohe Meinung vom Mitmenschen haben - und dann tritt man auf die Strasse. Oder setzt sich in die S-Bahn.

Max Dohner
Max Dohner
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Friedrich Schiller

Friedrich Schiller

AZ

Was man täglich auf der Strasse hört, treibt jeden Rest von Schiller in uns aus. Schiller war zeitlebens entschieden der Meinung, dass am hohen Bild vom Geist des Menschen festgehalten werden soll. Auch dort, wo der reale Ausfluss dieses Geistes roh, trüb, trivial erscheint. Und viel zu laut. Könnten die Leute nicht wenigstens mal die Stimme senken bei dem, was sie in die Luft blasen?

Der Sängerpoet Joaquín Sabina, in seiner Heimat Spanien eine Supernova, bei uns ein schwarzes Loch, schrieb ein Lied namens «Ruido» (Lärm). Da erzählt er Folgendes: «Sie wollte, dass er sie ans Ende der Welt führt. Er ergänzte ihren Namen mit allen Wellen des Meeres. Sie wollte ein Boot, er wusste nicht, wie man fischt. Zudem gab’s so viel Lärm, dass am Ende das Ende kam. Lärm der Bahnhöfe, Lärm von zerbrochenem Geschirr, verlorenen Jahren, abgenutzter Lärm, Lärm des ‹Was hast du getan?›, Lärm des ‹Das war gar nicht ich!›, Lärm wie Säbelrasseln, Lärm kreischender Bremsen, kratzender Nägel, Lärm des ‹Wieso bis du überhaupt da?›»

Die Hälfte der Passanten brabbelt allein vor sich hin. Früher untrügliches Zeichen für Wahnsinn. Heute führt ein dünnes Kabel von ihrem Mund in eine Tasche; drum halten wir das für normal. Nie nie mehr ist es draussen ruhig. Und die Sintflut steigt.