«Die Schweiz hat Zukunft» – so der Titel des neuen Buchs von Gerhard Schwarz. Der grosse Liberale räumt in seinem Werk ein, dass sich der Erfolg der Schweiz in den letzten 150 Jahren vor allem ihrem politischen System verdankt, das einzigartig ist; ein Staat, «durch die Zufälle von Geographie und Geschichte» zu dem geworden, was er heute ist.
In der aktuellen Debatte über ein Rahmenabkommen mit der EU kommt immer wieder die Frage auf, wie die Schweiz ohne dieses Abkommen überleben könne. Aus meiner Sicht als überzeugter Europäer verlangt dies eine grosse Reformbereitschaft. Dazu gehören:
Der Historiker Joseph Jung hat sein Buch über die Schweiz im 19. Jahrhundert «Das Laboratorium des Fortschritts» betitelt. Er zielt damit auf den grossen Wurf der Verfassung von 1848, der nur möglich war, weil die Politiker damals fast auf der grünen Wiese agieren konnten. Solche Konstellationen gibt es selten. Heute unterliegt die Schweiz mehr Sachzwängen als damals. Trotzdem könnte sie auch heute ein Laboratorium des Fortschritts sein, weil sie sich sowohl eine gewisse Unabhängigkeit als vor allem auch ihre spezifischen Institutionen bewahrt hat.
Eine solche zukunftsorientierte Schweiz weist drei Charakteristika auf:
Das Besondere an einer solchen Labor-Schweiz ist, dass in ihr kein Mastermind grosse Pläne umsetzt und keine starke Regierung forsch Risiken eingeht. Ihre Qualität, ihr Beitrag zum Erkennen, Verstehen und Bewältigen der Zukunft liegt in ihrem Anderssein, liegt darin, dass sie in einer angeblich alternativlosen Welt eine Alternative bietet, mit non-zentraler Organisation und Ernstnehmen der Bevölkerung, skeptischem Pragmatismus und misstrauischer Distanz gegenüber Visionärem. So entsteht evolutiv, demokratisch und nachhaltig Zukunft.
Mit dieser Strategie erreicht man mehrere Ziele: Das Land bewahrt sich seine Identität und Eigenständigkeit, die Bürgerinnen und Bürger können mehr mitbestimmen und mitgestalten als anderswo, und der Wohlstand nimmt dank marktwirtschaftlichen Reformen weiter zu. Zugleich macht sich die Schweiz damit aber auch nützlich. Sie beobachtet nicht einfach, wie Max Frisch einst schrieb, vom sicheren Ufer aus den Strom der Geschichte, und sie ist nicht nur ein unbequemer Stachel, sondern sie ist ein Widerspruch gegen die sich verflachende und damit auch kulturell verarmende Welt. Man kann von ihr lernen, von ihren Fehlern ebenso wie von ihren Erfolgen. Coco Chanel meinte einst, wenn man unersetzbar sein wolle, müsse man immer anders sein. Die Schweiz könnte mit ihrem bewussten Anderssein auch für die Nachbarn und die EU als Ganzes unersetzbar sein – oder werden.
Gerhard Schwarz: Die Schweiz hat Zukunft. Von der positiven Kraft der Eigenart. Verlag NZZ Libro, 168 Seiten, Fr. 29.– (UVP)
* Gerhard Schwarz (70) war Direktor von Avenir Suisse und leitete während 16 Jahren die Wirtschaftsredaktion der NZZ. Dieser Text basiert auf dem Schlusskapitel seines neuen Buchs «Die Schweiz hat Zukunft», das bei NZZ Libro erschienen ist.