Zürich
Sie liefern Lebensmittel in schwer erreichbare Regionen in der Ukraine

In der SBB-Werkstätte in Zürich-Altstetten helfen Unternehmen aus unterschiedlichsten Branchen beim Verpacken von Hilfsgütern. Für die Mitarbeitenden ist es ein spassiger Teamevent – für die Ukraine eine dringend benötigte Unterstützung.

Sven Hoti
Drucken
Rund 30 bis 40 Personen helfen jeweils beim Einpacken mit, hier ein Bild von der ersten Päckliaktion im November 2022.

Rund 30 bis 40 Personen helfen jeweils beim Einpacken mit, hier ein Bild von der ersten Päckliaktion im November 2022.

zvg

Es wuselt in der SBB-Werkstätte in Zürich-Altstetten. In der Mitte der Halle D wurden Tische in eine lange Reihe gebracht. Rund 30 Personen stehen verteilt in dieser Reihe und legen verschiedene Waren in Kartonschachteln: Reis, Pasta, Dosenfleisch, Zucker, Teelichter, WC-Papier, Binden, Zahnpasta und vieles mehr. Die Kartons wandern von Person zu Person, diejenige am Ende der Päcklistrasse verschliesst ihn schliesslich und legt ihn auf die Seite.

Die Personen sind nicht Angestellte der SBB – auch ist diese Arbeit nicht Teil ihres Jobs. Sie sind allesamt Angestellte eines Zürcher Umweltberatungsunternehmens. An diesem Donnerstagnachmittag engagieren sie sich freiwillig für die Ukraine. Im Rahmen dieser Päckliaktion füllen sie Schachteln mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln für den Versand in die Ukraine. Am Freitag werden weitere 40 Personen aus unterschiedlichen Firmen aushelfen.

Ein Bedarf von 15 Tagen gedeckt

Organisiert wird die Aktion von der Nichtregierungsorganisation Libereco. Insgesamt 924 solche Pakete wird sie in die Ukraine liefern. Die 33 Paletten zu je 28 Päckli füllen genau einen LKW. Ein solcher wird am Freitagnachmittag in Richtung der ukrainischen Grenzstadt Uschhorod aufbrechen. Dort hat Liberecos Partnerorganisation Vostok SOS ihr Lager. Die Stiftung verteilt die Güter in Gemeinden im Osten der Ukraine.

Die Waren sollen vor allem Ukrainerinnen und Ukrainern zugutekommen, die in schwer erreichbaren Gebieten in unmittelbarer Nähe des Kampfgebietes leben oder körperliche Beeinträchtigungen haben, wie Lars Bünger, Präsident von Libereco Schweiz, sagt. «Der Bedarf vor Ort ist riesig.» Die grossen Hilfsorganisationen könnten nicht alle Bedürfnisse abdecken. Vor allem ältere Menschen und solche, die wenig mobil seien, fielen teilweise zwischen die Maschen. «Diese Lücke wollen wir ausfüllen.»

Jedes Päckli hat den gleichen Inhalt. Dieser ist nach Vorgaben des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen zusammengestellt. Gemäss Libereco deckt ein Paket den Bedarf an Lebensmitteln und Hygieneartikeln einer Person für 15 Tage. Angefragt werden die Pakete von ukrainischen Notunterkünften, Gemeinden und anderen offiziellen Stellen. Sie haben einen Warenwert von rund 80 Franken, mitsamt administrativen Kosten für Libereco sind es 90 bis 100. Die Ankunft der LKW vor Ort und die Warenverteilung werden zur Absicherung fotografisch dokumentiert.

«Man sieht direkt, was mit den Spenden passiert»

Für die Freiwilligen an diesem Donnerstag geht es vor allem darum, Gutes zu tun und mitanzupacken. Gleichzeitig ist die Aktion als Teamevent organisiert: Die Mitarbeitenden des Unternehmens konnten sich freiwillig dafür zur Verfügung stellen. Die Spendenaktion unterscheide sich damit von denen anderer grösserer Organisationen, sagt Bünger. «Man sieht direkt, was mit seinen Spenden passiert.» Zudem vergegenwärtige man sich so auch die prekäre Lage in der Ukraine.

Die «Produktionsstrasse» in der SBB-Werkstätte: An jedem Posten werden andere Güter in die Schachteln gelegt.

Die «Produktionsstrasse» in der SBB-Werkstätte: An jedem Posten werden andere Güter in die Schachteln gelegt.

zvg

Die Päckliaktion von Libereco am Donnerstag und Freitag ist bereits die zweite in Zürich. Die erste fand am 11. und 12. November 2022 statt. Die Idee dahinter: Libereco kauft die Hilfsgüter auf eigne Kosten ein, Unternehmen melden sich, um beim Verpacken mitzuhelfen und/oder Geld dafür zu spenden. Fürs Einpacken benötigt es etwa 30 bis 40 Freiwillige. Schwierigkeiten gebe es keine, Freiwillige zu finden, sagt Bünger. Für dieses Mal hätten sich sogar zu viele gemeldet.

Postauto spendete alte Busse

Libereco unterstützt ihre Partnerorganisation Vostok SOS auch mit finanziellen Mitteln, etwa für Evakuationen – eine Arbeit, die laut Bünger nicht der Staat verrichten kann. Auch Fahrzeuge liefert sie in die Ukraine. So habe Postauto Schweiz ausgemusterte Busse gespendet. Die NGO zählt schweizweit rund 40 Mitglieder. 15 bis 20 davon sind als Aktive ehrenamtlich tätig, so Bünger. Sie nehmen teil an Mahnwachen, unterstützen Kampagnen oder helfen auch bei Engagements wie der Päckliaktion mit.

Finanziert wird Libereco, was Freiheit auf Esperanto bedeutet, durch Spendengelder von Privatpersonen, Unternehmen und Stiftungen. Insgesamt 999'000 Franken standen Libereco 2022 zur Verfügung, wovon der grösste Teil zweckgebunden für die Ukraine-Hilfe sei. Gemäss eigenen Angaben fliessen 85 Prozent der Spenden direkt in die Projektarbeit zur Ukraine und Belarus, 15 Prozent entfallen auf administrative Kosten.

Die dezentral organisierte NGO wurde 2009 in Deutschland und 2010 in der Schweiz gegründet. Der ursprüngliche Fokus galt dem Einsatz für politische Gefangene in Belarus. Dieser Fokus erweiterte sich mit den Maidan-Protesten 2013 und dem Kriegsbeginn im Donbass 2014 hin zur Ukraine. Seither habe sich der Arbeitsaufwand vervielfacht, sagt Präsident Bünger, der sein Amt inzwischen im 20-Prozent-Pensum ausführt.

Für die derzeit laufende Aktion habe Libereco viele motivierte Freiwillige gefunden, sagt Bünger. Es soll noch weitere Aktionen geben, die nächste voraussichtlich im März. Bedarf vor Ort gibt es zuhauf. «Die Ukraine wird uns noch viele Jahre beschäftigen.»