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Region (LiZ)
Limmattal
Innerhalb von gut 60 Jahren hat sich die Einwohnerzahl Birmensdorfs mehr als verdreifacht. Käthi Keller und Bruno Hutter haben den Wandel selbst miterlebt und zeigen in einem neuen Bildband, wie stark das Dorf sich verändert hat.
Ende Januar begrüsste Gemeindepräsident Bruno Knecht (parteilos) die 7000. Birmensdorferin zusammen mit ihren glücklichen Eltern im Gemeindehaus. Gut 60 Jahre früher wohnten im beschaulichen Dorf gerade einmal 1900 Menschen. «Viele Birmensdorferinnen und Birmensdorfer können sich kaum mehr vorstellen, wie unser Dorf früher ausgesehen hat, und ältere Bewohner erinnern wehmütig an die vergangenen Zeiten.» Die einführenden Worte in der neusten Publikation der Heimatkundlichen Vereinigung Birmensdorf (HVB) dürften vielen langjährigen Bewohnern aus der Seele sprechen.
Deshalb bietet die Vereinigung, die seit 1976 das Ortsmuseum betreut, Alteingesessenen genauso wie Neuzugezogenen die Gelegenheit, einmal innezuhalten und ihren Blick zurück zu richten. In der neu erschienenen Broschüre «Birmensdorf – einst und jetzt» werden die grossen Veränderungen auf einem fotografischen Streifzug durchs Dorf festgehalten.
Auf 40 Seiten werden alte Aufnahmen aus dem Archiv jeweils neueren Fotos vom ungefähr gleichen Standort gegenübergestellt. Federführend waren beim Werk die HVB-Präsidentin Käthi Keller und Bruno Hutter, der sich schon seit 39 Jahren in der Vereinigung engagiert und als leidenschaftlicher Fotograf viele Bilder in der Broschüre selbst geknipst hat.
«Wir haben diese Entwicklung miterlebt und kennen viele der verschwundenen Häuser und einen Teil ihrer ehemaligen Bewohner noch.»
Das sagt die ehemalige Lehrerin Keller, die vor 55 Jahren nach Birmensdorf zog und sich insgesamt 26 Jahre in Behörden engagierte – davon zwölf als Gemeinderätin.
Die Neuerscheinung war ursprünglich ein Vortrag. Als Hutter und sie die bildlichen Zeitvergleiche erstmals vor zwei Jahren an der HBV-Generalversammlung zeigten, hätten sie noch viele zusätzliche Stühle im Saal aufstellen müssen, weil so viele Besucher zuschauen wollten, erinnert sich Keller. Auf das grosse positive Echo folgte die Anfrage des Alterszentrums am Bach, den Vortrag auch dort zu zeigen für alle, die ihn verpasst hatten. Daraufhin sei vielerorts der Wunsch aufgekommen, das Ganze als Schrift herauszugeben, sagt Keller.
Etwa alle fünf Jahre veröffentliche die Heimatkundliche Vereinigung eine neue Schrift über das Leben im Dorf, sagt Hutter. Vergangene Publikationen liessen etwa Dorfbewohner in einer mehrteiligen Serie aus ihrem Leben erzählen oder thematisierten die Textilindustrie im Reppischtal.
Im Vorwort der Broschüre beschreibt die Heimatkundliche Vereinigung den Wandel vom richtigen Bauerndorf zur modernen Zürcher Agglomerationsgemeinde. «Noch 1963 brachten 41 Landwirte ihre Milch jeden Morgen und Abend in die ‹Milchhütte›.» Das Dorfbild sei neben der reformierten Kirche auf dem Hügel von Bauernhäusern, Ställen und kleinen Wohnhäusern geprägt worden. Und im Zentrum boten sich viele Einkaufsgelegenheiten bei zwei Lebensmittelläden, zwei Bäckern, zwei Metzgern und verschiedenem kleinerem Gewerbe. «In diversen Wirtshäusern konnte man sich treffen, trinken und essen.»
Über die Jahre wichen viele Grünflächen neuen Wohnquartieren. Viele kleinere Gebäude wurden durch grosse Überbauungen ersetzt. Die Dorfläden wurden von Grossverteilern verdrängt und mehrere Wirtshäuser mussten ihre Türen schliessen. Heute sind in der Gemeinde noch sechs Milchbauern in Siedlungen ausserhalb des Dorfkerns aktiv.
«Es ist eindrücklich, wie sich das Dorf innerhalb der letzten 50 Jahre verändert hat. Ich bin noch in ein recht ländliches, dörfliches Birmensdorf gekommen», sagt Hutter, der ab 1971 als Mittelstufenlehrer im Dorf unterrichtete. Weil er zunächst vor Ort keine Wohnung fand, zog er erst 1978 mit seiner Familie in ein neues Haus im Risi-Quartier. «Ich bin auch einer von denen, die hier gebaut haben», sagt er. Das Bevölkerungswachstum habe in den 1960er-Jahren Fahrt aufgenommen, als die ersten Baugenossenschaften in Birmensdorf Wohnprojekte aufzogen, sagt Hutter. Ende 2021 wird im Lettenmattquartier die erste grosse Genossenschaftssiedlung aus den 1960er-Jahren wieder abgerissen und durch 90 neue Wohnungen ersetzt.
Derzeit wird im Gebiet Ämet, der grössten Baulandreserve im Dorf, viel gebaut. «Vor einem halben Jahr stand dort noch ein Stangenwald aus Baugespannen, jetzt entsteht ein Haus nach dem andern», sagt Hutter. «Vielen Leuten tut es weh, dass diese Grünfläche als Naherholungsgebiet verschwindet.» Vor einigen Jahren verschwand zudem ein beliebter Schlittelhügel im Dorf zu Lasten von einer der grössten neuen Überbauungen. Trotz allem sei er froh, dass das Dorf auch als Agglomerationsgemeinde von Zürich immer noch so grün ist und viele schöne Ecken für Spaziergänge biete wie den Hafnerberg, den Stierliberg oder das Gloggenmoos, sagt er.
Einen weiteren Schub verlieh dem Dorf die 2006 eröffnete Autobahnumfahrung, die Teil der 2009 fertiggestellten Westumfahrung ist. «Das war eine grosse Erleichterung. Vorher erstickte das Dorf fast im Verkehr und es gab fast täglich Staumeldungen», sagt Hutter. Auch der ÖV wurde über die Jahre stark ausgebaut. «Heute kann man problemlos ohne Auto hier leben», ergänzt er.
Die gute Verkehrsanbindung steigerte Birmensdorfs Attraktivität als Wohngemeinde, befeuerte allerdings auch die Bodenpreise. Viele Zuzüger seien auf Zürich ausgerichtet, weil sie dort arbeiten und hätten nur wenig Bezug zur Gemeinde, sagt Hutter. Durch die Entwicklung sei es im ganzen Dorf deutlich anonymer geworden, bedauert Hutter. Auch Keller erinnert sich:
«Als ich 1965 nach Birmensdorf gezogen bin, kannten sich alle noch gegenseitig und man grüsste sich immer.»
Das vermisse sie am meisten. Heute kenne man nur noch den kleinen Teil der Leute, die sich für das Dorf engagieren. «Aber das ist unvermeidbar, wenn eine Gemeinde in so kurzer Zeit so stark wächst», sagt sie.
Mit der neuen Schrift wollen Käthi Keller und Bruno Hutter einen Beitrag dazu leisten, dass das ehemalige Bauerndorf nicht in Vergessenheit gerät.