Was bedeutet es, auf wenig Raum zu wohnen? Welche Lösungen liefert die Tinyhouse-Bewegung gegen den Verschleiss von Boden und Ressourcen? Wem überlassen wir die Gestaltung unserer Wohn(t)räume? Was ist eigentlich ein Mini-Haus und auf welche Hürden stösst, wer ein solches bauen will?
«Wohnst Du noch – oder lebst Du schon?» Das war einst Werbesprech eines Wegwerfmöbel-Konzerns. Der Satz kann aber auch als Aufforderung verstanden werden. Als Appell, unser Wohnen in Zeiten von Digitalisierung, Klimakrise und sich verändernden Familienmodellen neu zu denken.
Gründe gibt es viele um über alternative Wohnformen nachzudenken. Eine davon ist die Kleinwohnform. Ihre Anhänger setzen auf materielle Reduktion. Und seit gut zwei Jahren besitzt sie mit dem Verein «Kleinwohnformen Schweiz» sogar eine eigene Lobby.
Welchen Sinn machen verschärfte Schweizer Energiegesetze, während die Anzahl verbrauchter Quadratmeter Wohnfläche pro Person stetig steigt? Auf was verzichtet, wer in einer Kleinwohnform lebt? Gelingt mit dem «Stöckli 2.0» eine Siedlungsentwicklung nach innen, also die «Verdichtung» des Siedlungsraumes durch effiziente Nutzung statt einer «Zersiedelung»?
Jurte, Bauwagen oder Tiny-Haus: die Kleinwohnform hat viele Gesichter:
«Eine Kleinwohnform ist eine Wohneinheit mit höchstens 40 Quadratmetern Gesamtfläche. Sie steht im Gegensatz zu herkömmlichen Immobilien nicht auf festem Fundament, sondern auf Rädern oder Punktfundamenten. So, dass sie einfach verschiebbar ist. Sie muss alle hygienischen Bedingungen erfüllen (Toilette, Wasch- und Kochgelegenheit), entweder direkt in der KWF selbst oder auf dem genutzten Grundstück. Sie ist als Hauptwohnsitz nutzbar.»
So lautet die Definition des Vereins «Kleinwohnformen Schweiz». Beweglichkeit ohne grossen Aufwand. Keine Versiegelung von Landfläche. Das sind zentrale Aspekte einer Kleinwohnform.
Der Verein wurde 2018 von sieben Personen gegründet. Raumnutzung, Ökologie und Reduktion sind die zentralen Themen. Das Ziel: die Anliegen der Kleinwohnform in der Bevölkerung sichtbar machen. Auch Partnerschaften kommen zustande; am 1. Oktober 2021 wird der Verein auf dem Münsterplatz in Zürich, zusammen mit dem Hauseigentümerverband, ein Tiny-Haus zeigen.
Der Verein sucht den Dialog mit Akteuren der Baubranche und will sie gleichermassen mit ins Boot holen wie Handwerker und Behördenmitglieder. Der Verein will Leuchtturmprojekte unterstützen. Deren Daten lassen sich vergleichen und auswerten. Die Ergebnisse können der Politik als Instrumentarium dienen, beim Abbau rechtlicher Hürden. Ein neu entwickeltes Energielabel für Tiny-Häuser und andere Kleinwohnformen soll es erlauben, das eigene Projekt zu zertifizieren. Und es entstehen Referenzwerte, auf die sich Projekte in der Zukunft beziehen können. In mehreren Kantonen lancierte der Verein bereits Postulate, die das Thema auf die politische Agenda hieven. Bern und Basel zeigen sich den Anliegen gegenüber aufgeschlossen. Der Solothurner Kantonsrat hingegen sah keine Notwendigkeit, technische und bewilligungsrechtliche Hürden für Kleinwohnformen abzubauen.
Heute hat der Verein rund 1 500 Mitglieder. Ihnen steht er beratend zur Seite und versorgt sie mit Informationen. In sieben Arbeitsgruppen werden einzelne Themengebiete vorangetrieben. Nur etwa 15 Prozent der Vereinsmitglieder leben selbst in einer Kleinwohnform, die anderen interessieren sich für das Experiment Wohnen auf kleinem Raum oder haben auf lange Sicht zum Ziel, so zu leben.
Im Gespräch mit Menschen, die bereits Erfahrungen mit einer Kleinwohnform haben, wird klar: Das Leben darin bedeutet Agilität. Ein solches Gebäude wird rasch errichtet und bindet weniger Investitionen, als es gewöhnliche Häuser tun. Die Kleinwohnform lässt sich schnell zurückbauen und hinterlässt kein Loch in der Erde. Eine Kleinwohnform verändert die Sicht ihres Bewohners auf die eigenen Ansprüche ans Wohnen.
Die Kleinwohnform kommt ohne Keller aus und setzt in der Regel auf nachhaltige Baustoffe. Anstatt bei der Errichtung inflationär Beton zu mischen, der wegen seiner Herstellung eine ökologische Katastrophe darstellt, kommt nachwachsendes Holz zum Zug. Dieses bindet erst noch CO2 aus der Atmosphäre.
Und statt auf synthetische Dämmstoffe kann auf Schafwolle zurückgegriffen werden. Wände aus Lehm schaffen ein angenehmes Raumklima und ersetzen – in Ergänzung mit moderner Haustechnik – den Kachelofen. Oder es sorgt eine Bodenheizung für warme Füsse.
Dabei bleibt zeitgemässes Design nicht auf der Strecke, im Gegenteil:
Erste Prototypen und aufwändig illustrierte Bildbände erzählen von preisgekrönten Architektur-Arbeiten. Gekonnt inszeniert am Waldrand oder inmitten eines idyllischen Sumpfgebiets, sprechen sie unser Bedürfnis nach Unabhängigkeit, den Wunsch nach Autarkie an.
Doch zu einer ökologisch sinnvollen Bauweise tragen diese Exemplare kaum bei. Wer eine Kleinwohnform raum- und ressourcenschonend bauen will, errichtet sie in einem Hinterhof, auf einem bestehenden Flachdach oder nutzt eine verwaiste Brache in der Industriezone.
Auch der Garten einer befreundeten Grundstücksbesitzerin oder kleine Baulandparzellen mitten in Dörfern kommen dafür infrage. Der Verein Kleinwohnformen Schweiz führt auf seiner Website eine Karte mit möglichen Stellplätzen auf und setzt sich für deren Vermittlung ein.
Wer einen der genannten Plätze oder Bauland – beispielsweise in Form eines Pachtvertrages mit Baurecht – gefunden hat, kann sich Gedanken zur Realisierung machen. Weil viele Normen des Schweizer Baurechts kaum auf Kleinwohnformen anwendbar sind, gilt es, einige wichtige Dinge zu beachten.
Am Telefon erzählt der Zürcher Architekt und Bauleiter Alesch Wenger von seinen Erfahrungen als Vorstandsmitglied im Verein Kleinwohnformen Schweiz.
Interessierten rät er, sich für erste Abklärungen professionelle Unterstützung zu holen: «Eine Architektin zeichnet Pläne und nimmt die nötigen Eingaben bei der lokalen Baubehörde vor. Zusammen mit einem Geomatiker wird das Grundstück vermessen und abgesteckt. Dann braucht es einen Bauphysiker, der die vorausgesetzten energetischen Nachweise erbringt.» Hinzu kommen die Pläne für die Haustechnik. Wenger erklärt: «Das sind die minimalen Partner.»
Klar könne man die Baueingabe selbst übernehmen, doch lohne es sich in der Regel, dabei auf die Erfahrung von Spezialistinnen zu setzen. «Das Wissen, das diese Leute mitbringen, lässt sich nicht in ein paar Stunden aneignen.» Wenger sagt:
«Es ist einfacher wenn das Ergebnis, der Wunsch oder das Produkt schon feststeht.»
Damit spricht Wenger Konzepte von Mini-Häusern an, welche von verschieden Anbietern vorgefertigt werden. Diese lassen sich besser planen, die Baubehörde kann sich vorab ein klares Bild vom Objekt machen.
Die Gemeinden haben zu Baueingaben eigene Leitfäden. Diese sind bei der Bauverwaltung online oder vor Ort einzusehen und helfen bei der Planung.
In der Schweiz kommt man um eine ordentliche Baueingabe nicht herum. Wenger stellt aber keine generelle Ablehnung der Behörden gegenüber solchen Projekten fest: «Oft sind ihnen solche Kleinwohnformen einfach fremd.» In letzter Zeit hätten aber immer mehr Ämter bereits solche Anfragen bearbeitet.
In seiner Arbeit für den Verein erlebt Wenger immer wieder grosses Interesse, das Verwaltungsangestellte solchen Projekten entgegenbringen. Denn Kleinwohnformen stellen für Gemeinden eine Möglichkeit dar, sich ein offenes und modernes Gesicht zu verleihen. Wenger verneint auch, dass es Interessengruppen oder Verbände gebe, die gegen die Bewegung lobbyieren würden. Er sagt: Sogar der Hauseigentümerverband zeigt sich interessiert an unserer Arbeit.»
2021 ist eine Zusammenarbeit mit der Zürcher Sektion des HEV geplant; im Rahmen dessen 100-jährigen Bestehens soll am 1. Oktober dem Publikum auf dem Zürcher Münsterplatz ein Tiny-Haus vorgestellt werden.
Die Menschen werden mehr, Boden und Ressourcen aber sind begrenzt. Gleichzeitig wächst die beanspruchte Wohnfläche pro Person in der Schweiz laufend: Das Bundesamt für Statistik weist für das Jahr 1980 einen durschnittlichen Wohnflächenverbrauch pro Person in der Schweiz von 34 Quadratmeter aus. 2019 waren es bereits 46 Quadratmeter. Gegen diese Entwicklung kann die Kleinwohnform einen wichtigen Platz einnehmen.
Geringe Heizkosten, wenig Strom- und Platzverbrauch: Der schonende Umgang mit Energie und Ressourcen ist die Stärke der Kleinwohnform.
Doch die hohen energetischen Anforderungen für Neubauten in der Schweiz lassen sich auf Kleinwohnformen schlecht anwenden. Eine vorgeschriebene Wanddicke würde unnötig viel Platz rauben. Dabei liegt auf der Hand, dass ein kleiner Raum bedeutend weniger Energie in Form von Wärme benötigt als ein weitläufiger Loft oder ein mehrstöckiges Einfamilienhaus.
Noch fehlen sinnvolle Vergleichswerte.
Dem BFS ist lediglich die Belegung von Ein- und Mehrfamilienhäusern bekannt, also wie viele Personen in einem Gebäude wohnen, aufgeschlüsselt nach Zimmern und Quadratmetern:
Weil es noch wenig Mini-Häuser gibt, sind sie von keiner Statistik erfasst. Es existieren kaum Zahlen, die einen Vergleich der energetischen Standards solcher Bauten erlaubt.
Der Verein Kleinwohnformen Schweiz will das ändern. Zu diesem Zweck hat er 2020 vier Menschen und ihre unterschiedlichen Kleinwohnformen porträtiert. Die vier Objekte (Mini-Haus, Tiny-Haus, Jurte und Zirkuswagen), wurden auf ihre Energieeffizienz hin untersucht, in Bezug auf die Wohneinheit. Die Basiswerte orientierten sich an den Zielen einer 2000-Watt Gesellschaft.
Anhand der vier vorgestellten Wohnformen soll der Diskurs mit der Konferenz Kantonaler Energiedirektoren (EnDK) gesucht werden. Das Ziel des Vereins ist eine erleichterte Bewilligungspraxis für nachhaltige Kleinwohnformen zu erreichen, die der 2000-Watt Gesellschaft entsprechen.
Die 2000-Watt Gesellschaft ist ein energie- und klimapolitisches Konzept, welches zwei gesamtgesellschaftliche Herausforderungen adressiert: die Knappheit nachhaltig verfügbarer energetischer Ressourcen und den Klimawandel.
Die 2000-Watt-Gesellschaft vereint Energie- und Klimaziele. Sie integriert politische Zielsetzungen und wissenschaftliche Erkenntnisse, unter anderem: die nationalen Energieeffizienzvorgaben der Energiestrategie 2050, die Zielsetzungen des Übereinkommens von Paris 2015, die Erkenntnisse der IPCC sowie die Zielsetzung des Bundesrates vom August 2019 einer klimaneutralen Schweiz bis 2050.
Sie übersetzt die nationalen Energie- und Klimaziele auf die kommunale Ebene und sie stellt einen standardisierten, kommunalen Bilanzierungsrahmen zur Verfügung. Sie bietet eine Definition von «Netto-Null» für Städte und Gemeinden.
Das 2000 Watt-Modell stellt einen Gesamtwert dar, des permanenten Energieverbrauchs einer Person. Dazu gehören die Sektoren Wohnen, Mobilität und Dienstleistung/Industrie. Der Energiebedarf für den Sektor Wohnen sollte dabei 420 Watt nicht übersteigen.
Alle vier Einheiten konnten mit einer zum Vergleich herangezogenen neuen Musterwohnung aus dem gehobenen Standard mithalten. Drei schneiden dabei sogar besser ab:
Unter Berücksichtigung verbauter Materialien, Wohnfläche, Wärmequellen, Fenster und weiteren Faktoren, wurde für alle ein Watt-Verbrauchswert berechnet. Auch der durchschnittliche Stromverbrauch für Licht, Laptop und andere elektronische Geräte wurde in die Berechnungen mit einbezogen.
Diese Daten lassen sich in Zukunft für Bewilligungsverfahren nutzen; der Verein Kleinwohnformen Schweiz arbeitet an einem Label, welches der energetischen Zertifizierung von Kleinwohnformen dient.
Es wird Zeit für die Frage nach dem Preis. Denn Wohneigentum in der Schweiz ist teuer. Heute sind rund zwei Drittel der Menschen in der Schweiz Mieterinnen. Die anderen nennen sich Eigentümer. Auch wenn ihr Haus (noch) einer Bank gehört.
Für eine erste Studie zur Machbarkeit eines Projekts, eine Beurteilung zu Grundstück und Objekt gemeinsam mit der betroffenen Gemeinde, rechnet Alesch Wenger mit Ausgaben von 1 000 bis 2 000 Franken. «Diese Kosten variieren und setzen sich zusammen aus der Beschaffenheit des Grundstücks und des geplanten Objekts.»
Die Anschlüsse an eine bereits auf dem Grundstück bestehende Fernwärmepumpe oder an eine Erdsonde, an Frisch- und Abwasserleitungen sowie der Anschluss ans Stromnetz kosten zwischen 10 000 und 50 000 Franken. Auch hier fallen Topografie, Distanz und bereits vorhandene Infrastruktur stark ins Gewicht.
In ihrer Konstruktion vorgefertigte Lösungen gibt es ab gut 100 000 Franken zu kaufen. Es bleibt dann noch die Ausstattung auszuwählen, Farben und Einrichtung zu bestimmen. Wer das Doppelte ausgibt, kann damit ein geräumiges Mini-Haus aus lokalen Materialien und mit solider Ausstattung bauen lassen, nach eigenen Vorstellungen.
Wer an seiner Kleinwohnform selbst bauen möchte, spart Geld, aber kaum Zeit.
Die Gebäudekosten für eine Kleinwohnform belaufen sich so auf 150 000 bis 250 000 Franken. Für viele ein hoher Betrag. Doch im Vergleich zu den Kosten, die beim Bau eines herkömmlichen Einfamilienhauses anfallen, ist er um ein vielfaches kleiner. Wer sich nicht über viele Jahre mit einer Hypothek an eine Bank binden will oder kann, findet in der Kleinwohnform eine preiswerte Lösung.
Auch wer monatlich 1 400 Franken Miete bezahlt, gibt so während zehn Jahren 168 000 Franken aus – der Preis für ein Tiny-Haus.
In einer Kleinwohnform darf zudem ungefragt ein Nagel in die Wand geschlagen oder ein Loch in den Boden gebohrt werden. Es braucht keine Bewilligung des Vermieters. Von Beginn weg lebt man in den eigenen vier Wänden.
Einmal geplant und bewilligt, ist die Kleinwohnform rasch gebaut. Beides ist in 12 bis 18 Monaten zu schaffen. Und dann? Ein Fest mit Freunden! Doch in bequemer Haltung finden kaum mehr als eine Hand voll Leute darin Platz.
Eine, die mehr als zwei Jahre in einem ausgebauten Bauwagen lebte, ist Doro Bauhofer. Die 44-jährige Sozialpädagogin aus dem Baselbiet erzählt bei einem Telefongespräch von dieser Zeit: «In den kalten und nassen Monaten lud ich nie eine Gruppe Freunde zu mir ein. In einigen wenigen Momenten fehlte mir solches Zusammensein, bei mir Daheim.»
Ausgestattet war ihr Wagen mit Holzofen und Kompost-Toilette. Wasser und Strom bezog Bauhofer mit Schlauch und Kabel, durch einfache Leitungen über dem Boden. «Wenn es zu kalt wurde, musste ich die Wasserleitung abstellen.» Um warm zu duschen ging Bauhofer ins Elternhaus nebenan. «Darauf wollte ich nicht verzichten, das Haus, in dem ich aufgewachsen bin, war quasi mein Backup.»
«Ich hatte Glück, meine Eltern kauften neben ihrem Haus ein Grundstück direkt am Waldrand. Dort stellte ich meinen Wagen hin.»
Bauhofer lebte früher in WGs und eine Zeit lang in der eigenen Mietwohnung. Beides stimmte für sie nicht mehr. Als der Bauwagen einer Freundin frei wurde, ergriff sie die Chance und probierte diese Wohnform aus. Die Erfahrungen aus der Zeit im Wagen seien für sie wertvoll: «Ich liebte es, wenn ich nachts aufwachte und direkt in den Himmel blickte.» Auch Holzhacken gehörte für sie zu den schönen Beschäftigungen. «Klar, solche Aufgaben lassen sich nicht mit jeder Arbeitsstelle vereinen. Man muss vorausschauend denken und es so wollen», sagt sie.
«Ein paar Mal kam ich am Abend spät heim, zurück in den kalten Wagen. Weil ich dann keine Geduld hatte um auf die Wärme aus dem Holzofen zu warten, ging ich direkt ins Bett. Obwohl ich eigentlich noch Lust hatte, aufzubleiben.»
Dass sie mit weniger, aber ausgewählten Dingen auskommen musste, sei befreiend gewesen. «Verzicht erfuhr ich darin, dass ich im Wagen weniger gebacken habe oder keine Lebensmittel wie Kompott in Gläser einmachte.» Dafür war nicht genug Platz. Als Gewinn benennt Bauhofer die unmittelbare Nähe zur Natur: «Ich war öfter und bei jedem Wetter draussen, das genoss ich sehr.»
Ihren Wagen meldete Bauhofer bei der Gemeinde an. Die Bauverwaltung stellte ihr eine Kleinbaubewilligung für Fahrnisbauten aus. Darunter fallen auch Gartenhäuser und Unterstände. Diese musste sie einmal im Jahr erneuern.
Wem würde Bauhofer das Leben in einem Bauwagen nicht empfehlen?
«Allen die nicht bereit sind, Zeit und Energie in die Basics zu investieren.»
Gleichzeitig seien es genau diese Dinge, die den Reiz dieser Lebensform ausmachen.
Die Zeit im Bauwagen war für Bauhofer ein Test: «Ich habe durch das Experiment gemerkt, dass mir diese Art zu leben entspricht.» Und doch wünscht sie sich etwas mehr Platz. Darum soll nun auf dem Grundstück ein Mini-Haus entstehen, auf zwei Etagen, gebaut aus Mondholz. Dieses wird im Winter, während der von November bis Januar dauernden Saftruhe, bei abnehmendem Mond geschlagen. So kommt es ohne chemische Holzschutzmittel oder andere Behandlungen mit Zusatzstoffen aus.
Um das neuste Objekt des Architekten Thomas Furter zu besichtigen, muss man einige Höhenmeter überwinden. Das Dorf Mathon liegt auf einer Sonnenterasse, hoch über dem Hinterrhein und unterhalb des Piz Beverin, im Kanton Graubünden.
Auf einem kleinen Hügel, eingebettet zwischen anderen Wohnhäusern, steht heute das kleine Haus mit seiner noch hellen Schindelfassade. Hier wird es starkem Wind, viel Schnee, greller Sonne und manchmal dem Regen ausgesetzt sein. Auf rund 1 500 Meter über Meer.
Das Tiny-Haus gehört zur Pensiun Laresch und wurde für Feriengäste gebaut. Es erweitert das Haupthaus, von dem es rund sieben Meter entfernt steht. «Das war die feuerpolizeiliche Vorgabe», erklärt Lukas Hug, im lichtdurchfluteten Tiny-Haus am Tisch sitzend, bei einem Besuch Ende 2020. Zusammen mit Marianne Peyer führt er die Pensiun Laresch.
Im Video zeigt Lukas Hug auf, wie die Idee entstand, hier ein Tiny-Haus zu bauen.
Hug sagt: «Unsere Pensiun zog viele Gäste an und daneben lag noch leeres Bauland. Wir spürten, dass da noch mehr möglich ist.»
Die Form des Gebäudes ist dem Terrain angepasst. So wird die Parzelle verdichtend genutzt. «Wir liessen uns von anderen Kleinwohnformen inspirieren. Für uns war bei der Planung die Verwendung lokaler Materialien zentral.»
Etwas weiter unten am Hang markierten Hug und Architekt Furter zusammen die Bäume, die nun – von ortsansässigen Handwerkern hochwertig verarbeitet – den Gästen Wohn- und Schlafraum sind. Hug hat spürbar Freude am fertigen Tiny-Haus, schwärmt von der grossartigen Raumatmosphäre. Selbst drin übernachtet hat er noch nicht. Doch es stimmt; auf Anhieb fühlt man sich hier drin wohl.
Und wie lief die Zusammenarbeit mit der Gemeinde ab? «Eigentlich ohne Schwierigkeiten.» Wichtig sei, so früh als möglich mit den Verantwortlichen das Gespräch zu suchen. So könne abgeschätzt werden, ob das Gesuch einem Bewilligungsverfahren standhalte, noch bevor es formell eingereicht werde, erklärt Hug.
Die Planung dauerte knapp ein Jahr. Im letzten Juni war Baustart, im November war das Tiny-Haus fertig. «Wenn ich nicht auch selbst Arbeiten ausgeführt hätte, wäre es vermutlich noch schneller gegangen», sagt er und schmunzelt. Man merkt; er hat es gerne gemacht. Besonders am aufwändigen Verlegen der Schindeln-Plättchen hat Hug Freude gefunden. Und damit viele Stunden zugebracht. «Ich fand es schön, diese alte Technik zu erlernen. Die Hausecken und Fassadenabschlüsse waren besonders diffizil.»
Etwas auf wackligen Beinen stand zu Beginn die Finanzierung. Hug beziffert die Gesamtkosten für das Projekt auf 220 000 Franken. «Dann hatten wir die Idee, das Tiny-Haus zum Teil durch Crowdfunding zu finanzieren.» Das habe funktioniert und sei gleichzeitig auch Werbung gewesen. Wer sich auf diese Weise mit einer Spende beteiligte, erhielt dafür beispielsweise einen Gutschein für eine Übernachtung im fertigen Haus.
Einer der engagierten Handwerker habe sich so für das Tiny-Haus begeistert, dass er sich kurzum selbst mit einem Betrag am Crowdfunding beteiligte, erzählt Hug.
Thomas Furter, der Architekt, der das Tiny-Haus Laresch konzipierte, baute schon Ein- und Mehrfamilienhäuser. Doch bereits in seiner Studienzeit an der ETH befasste er sich mit Konzepten für Mini-Häuser. Er sagt:
«Man wohnt nicht in einem Tiny-Haus, man lebt aus ihm heraus.»
Das von ihm entworfene Tiny-Haus in Mathon basiert auf den Grundlagen der «Cauma», eine von Furter vor einigen Jahren entworfene Wohn-Box.
An seinem Arbeitsort in Wald (ZH) schildert Furter seine Faszination für kleine Wohnformen.
Gefragt, wer sich für ein Leben in der Kleinwohnform eigne, antwortet er:
«Im Moment ist das noch eine Möglichkeit für ein paar Wenige, sich in materieller Hinsicht zu reduzieren.»
Der Architekt glaubt, dass viele Menschen sich diese Frage aber bald nicht mehr stellen können. Sondern, dass die Reduktion des eigenen Konsums zum einzigen gangbaren Weg für die Menschen werde. Damit meint Furter die sich dem Ende neigenden Ressourcen der Erde. Er meint auch das Aussterben vieler Arten und die Unbewohnbarkeit ganzer Landstriche, die immer mehr Menschen zu einer Umsiedlung zwingt.
«Kleinwohnformen stellen die Basis dar für ein gesellschaftliches Umdenken.» Vorausgesetzt, man nutze sinnvolle Materialien und verzichte auf lange Lieferwege.
Welches gesellschaftliche Umdenken meint er?
«Es geht darum, wieder einen Bezug zur Natur herzustellen»
Furter weist darauf hin, dass nicht alle Akteure der Baubranche an einer Drosselung der Bautätigkeit interessiert sind. «Deren Ziel ist es, gross zu bauen und dabei Renditen zu maximieren.» In der Zukunft sei dieses Modell aber nicht mehr zielführend. Kleinwohnformen stützen ein neues System. «Bei diesem neuen System geht es nicht mehr darum, dass des einen Schuld des anderen Kapitals ist.» Dieses Konstrukt sei zum Scheitern verurteilt, glaubt Furter. Er verweist auf schlingernde Börsen und Wirtschaftskrisen.
Auf architektonischer Ebene läute die Kleinwohnform ein neues Zeitalter ein. Für Leute, die diese Idee teilen, schaffe die Kleinwohnform eine Möglichkeit, sich zusammenzuschliessen. «Solche Gemeinschaften tauschen sich aus, teilen Gegenstände miteinander.»
Furter sagt: «Nicht jede Familie braucht ein Racletteöfeli, welches neun Monate im Jahr auf dem Estrich neben dem Fonduegeschirr rumsteht.» Vielmehr gehe es darum, solche Dinge gemeinsam zu kultivieren. «Auch neue Geld- und Wirtschaftsformen werden sich zuallererst in solchen Gemeinschaften durchsetzen», ist Furter überzeugt.
Wer nach diesem Besuch wieder durch eine Tür und auf die Baustelle Leben tritt, sich Sägespäne von der Schulter klopft und auf die Strassenseite vis-à-vis blickt, sieht eine Reklametafel. Darauf prangt der Slogan einer nordischen Interior-Design-Manufaktur:
«Nachhaltigkeit darf kein Luxus sein.»
Genau. Doch nach diesem Einblick in die Kleinwohnform stellt sich die Frage: Was ist Luxus? Ist es das stetige Kaufen von immer neuen Produkten? Oder ist Luxus die Möglichkeit, einen Streit um Thuja-Hecke und Wegerecht vor einem Gericht auszutragen? Wohl kaum.
Luxus ist die Chance, sich mit den Dingen, mit sich selbst und der Umwelt befassen zu können, statt unaufhörlich zu konsumieren.
Bau- und Wohngenossenschaften müssen nicht die einzige Antwort auf profitorientierte Immobilienspekulanten und globale Investment-Konstrukte bleiben. Nachhaltig wird – wer Gewohnheiten überwindet.
Das Buch: «TINY HOUSE» von Kevin Rechsteiner, 2020 im at-Verlag.
Der Verein: «Kleinwohnformen Schweiz»
Schweizer Hersteller fertiger Konzepte: hier & hier
Dieser Artikel entstand im Rahmen einer MAZ-Diplomarbeit.