Ratgeber
Sollen wir unsere Tochter im Spiel gewinnen lassen?

Unsere Tochter (6) spielt leidenschaftlich gerne Tischfussball oder Brettspiele wie «Eile mit Weile». Leider verliert sie überhaupt nicht gerne und kriegt in solchen Fällen regelmässig einen Tobsuchtsanfall. Als Eltern sind wir dann versucht, sie einfach möglichst gewinnen zu lassen. Erzieherisch scheint uns das aber nicht optimal.

Dr. phil. Josef Jung*, Hitzkirch
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Josef Jung.

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Spielen ist eine grundlegende menschliche Aktivität, die Kreativität und Kraft freisetzt. Schon Schiller schrieb: «Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.» Der holländische Kulturhistoriker Johan Huizinga prägte den Begriff des «Homo ludens» und zeigte den kulturbildenden Faktor des Spiels auf.

Spielen ist in der kindlichen Entwicklung von grosser Bedeutung. Es fördert die Persönlichkeitsentwicklung via Handeln, Erleben, den Realitäts- und den Zielbezug im Spiel. Geborgenheit ist eine Grundvoraussetzung für das Spielen. Dies gilt sogar im Tierreich. Kein Tier findet zum Spiel, wenn es sich bedroht fühlt.

Spiel als erlebte Realität

Der Verlauf eines Spiels garantiert aber kein kontinuierliches Geborgenheitserleben. Wenn etwas misslingt oder ausgehandelte Rollen und Regeln sich verändern, wird dies meistens mit negativen Emotionen begleitet. Und dann ist mit Geborgenheit schnell Schluss. Spiel ist dann erlebte Realität, die beides beinhaltet: Geborgenheits- und Ungeborgenheitserleben.

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Brettspiele wie «Eile mit Weile» sind Spiele mit klar definierten Regeln, gespickt mit einem grossen Zufallsfaktor. Der Zufall des Würfelresultats wird oft mit magischen Handlungen wie Anblasen der Würfel oder einer genauen Zahl von Schüttelbewegungen zu beeinflussen versucht. Der Mensch liebt es nicht, sich zufälligen Kräften ausgeliefert zu sehen, er hat lieber die Kontrolle.

Für Kinder im Alter Ihrer Tochter stellt das eine grosse Herausforderung dar. Sie kann aber daran wachsen und lernt zu unterscheiden: Die Kontrolle über ihre eigenen Gefühle kann sie erlangen, jene über den Würfel nicht. Sie merken als Eltern, dass es erzieherisch «nicht optimal» ist, wenn Sie ihre Tochter einfach gewinnen lassen. Und die Kinder merken relativ schnell, wenn man schummelt. Dies hat mehrere negative Auswirkungen. Das Spiel wird schnell langweilig, das Kind fühlt sich vielleicht nicht ernst genommen und die wichtigste: Sie nehmen Ihrer Tochter die Möglichkeit, an Niederlagen zu wachsen.

Schrittweise lernen

Führen Sie Ihre Tochter schrittweise ans Spiel heran. Offenbar ist der ganze Spannungsbogen bis zum Schluss noch zu gross. Vereinbaren Sie mit Ihrer Tochter einen bestimmten Abschnitt des Spiels, etwa bis zum ersten oder zweiten Zurückgesetztwerden, um dann eine Pause einzulegen. So kann Ihre Tochter lernen, ihre Gefühle schrittweise zu regulieren und wird nicht von ihnen überflutet, wenn es am Ende eine bittere Niederlage absetzt.

Die Beispiele mancher Sportler, die bei Misserfolg den Gegenspieler oder Schiedsrichter beschimpfen, Gegenstände herumwerfen oder Teile der Infrastruktur demolieren, zeigen, dass die Frustrations­toleranz auch im Erwachsenenalter manchmal noch mangelhaft ist. Wenn Sie die Frustrationstoleranz Ihrer Tochter im Spiel «trainieren», lernt sie etwas für das ganze Leben.

*Dr. phil. Josef Jung, Hitzkirch Fachpsychologe für Psychotherapie FSP
www.psychotherapie-jung.ch