Kulinarik
Mehr als nur Süssmost – sortenreiner Apfelsaft ist eine kulinarische Entdeckung

Süssmost aus nur einer Apfelart gepresst, kommt gut an und bietet ein Geschmacksvielfalt fast wie Wein. Wer einmal einen sortenreinen Boskoop getrunken hat, weiss warum.

Katja Fischer De Santi
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Süssmost ist nicht gleich Süssmost, die Unterschiede in Farbe und Aroma sind je nach Apfelsorte markant. Im Bild drei Bärenmoste aus Revena-, Opal- und Pinova-Äpfeln aus dem Thurgau.

Süssmost ist nicht gleich Süssmost, die Unterschiede in Farbe und Aroma sind je nach Apfelsorte markant. Im Bild drei Bärenmoste aus Revena-, Opal- und Pinova-Äpfeln aus dem Thurgau.

Bild: zvg

Die Bohnäpfel sind zum Mosten bereit. Der fertige pasteurisierte und gefilterte Saft.

Es sind die letzten Äpfel dieses Jahres, die leuchtend rot-grün an den kahlen Ästen hängen. Auffallend klein und etwas länglich in der Form. «Bohnäpfel sind das», sagt Hans Oppikofer, «eine wunderbare alte Sorte, gut zum Lagern und noch besser zum Mosten, wegen ihres milden, süss-säuerlicher Geschmacks.» Sagt es und kippt eine Kiste davon in die Mostpresse.

Es ist Freitagmorgen und freitags wird auf dem Mausacker-Hof gemostet, von Juli bis in den November hinein. Das ist anstrengend und aufwendig, zumal mit einer kleinen Packpresse, die richtig viel Handarbeit verlangt. Doch wenn man, wie der Thurgauer Biobauer, über 20 verschiedene Apfelsorten kultiviert und daraus 20 verschiedene Apfelsäfte presst, dann dauert das ein paar Monate. «Jede Sorte ist zu einem anderen Zeitpunkt reif, und es ist wichtig, ihn abzuwarten, sonst bekommt man das volle Aroma des Apfels nicht in die Flasche.»

Bio-Bauer Hans Oppikofer aus Steinebrunn

Bio-Bauer Hans Oppikofer aus Steinebrunn

Bild: Walter Schwager

Auf dem Mausacker-Hof ist Süssmost nicht gleich Süssmost. Aus jeder Apfelsorte wird ein eigener Saft gemacht – sortenrein nennt sich das. Und wer einmal einen sortenreinen Boskoop- mit einem sortenreinen Gravensteiner-Saft verglichen hat, der versteht, warum Hans Oppikofer so eine Sache daraus macht. Die beiden Säfte unterscheiden sich in Farbe, in Säure- und Zuckergehalt, ja selbst in der Textur auf der Zunge massiv.

Mosten mit viel Handarbeit, und das monatelang

Vor 12 Jahren hat Hans Oppikofer seinen ersten sortenreinen Gravensteiner-Saft gepresst. «Aus Jux eigentlich, um ihn an einer Messe anzubieten.» Die Leute waren begeistert, und so machte er daraus im Laufe der Jahre ein Standbein seines Biohofs, auf dessen Land viele alte Hochstämmer-Sorten wachsen. Most-Liebhaber aus der ganzen Ostschweiz kommen in Steinebrunn vorbei und kaufen seine Säfte.

Mausackerim November 2021: Die Bohnäpfel werden gewaschen und sortiert.
7 Bilder
Nachdem die Äpfel maschinell gerieben werden, portioniert Hans Oppikofer die Meische auf einem Tuch und wickelt sie ein.
15 solcher Maischkuchen stapelt er mit Zwischenbrettern aufeinandern.
Die Apfelmeische wird von der Presse gleichmässig mit viel Druck gemostet, der Saft wir aufgefangen.
Übrig bleibt ein trockener Apfeltrester, den Hans Oppikofer wird von Hand auspackt.
Der Saft wird gefiltert und dann pasteurisiert.
 Je nach Jahr kann man im Mausacker bis zu 20 verschiedene Apfelsäfte probieren und kaufen.

Mausackerim November 2021: Die Bohnäpfel werden gewaschen und sortiert.

Tobias Garcia

60 bis 70 Tonnen Äpfel presst Oppikofer pro Jahr – in einem aufwendigen Verfahren. Von Hand packt er die maschinell an einer riesigen Röstiraffel geriebenen Apfelstücke in Tücher, wuchtet 15 je vier Zentimeter dicke Schichten auf einen Stapel und lässt ihn von der Presse langsam ausdrücken (siehe Bildreihe). «Mit dieser Packpresse bekommen wir am meisten Saft aus den Äpfeln», erklärt er und schüttelt den trockenen Apfeltrester aus den Tüchern. Der Saft wird danach gefiltert und schonend pasteurisiert. Das Resultat sind unglaublich frisch und differenziert schmeckende Apfelsäfte.

Was man hierzulande sonst als Süssmost zu trinken bekommt, ist fast immer ein Gemisch aus allen möglichen Apfelsorten, mit bis zu 10 Prozent Birnensaft abgemischt. Ein zuverlässiger und feiner Durstlöscher. Für Genussmenschen war Apfelsaft aber bisher eher uninteressant.

Bärenmost, benannt nach der Ururgrossmutter

Bärenmost

Bärenmost

Bild: zvg

Das könnte sich nun langsam ändern, auch dank Bauernfamilien wie den Bärs. Zusammen mit ihrem Mann Christoph hat Debora Bär vor zwei Jahren ihren «Bärenmost» lanciert. Drei sortenreine Apfelsäfte, benannt nach charakterstarken Vorfahrinnen der Thurgauer Familie. «In einem Weinglas können unsere Apfelsäfte locker als Speisebegleitung aufgetischt werden», sagt die Bäuerin. Nächstes Jahr sollen zwei weitere Sorten dazukommen, in Bioqualität. «Noch sind sortenreine Apfelsäfte in der Schweiz ein Nischenprodukt», sagt Bär. Ihre eigene Abfüllmenge mit einigen tausend Flaschen ist klein.

Ein Grund dafür ist der Preis: 7.50 Franken kostet eine Flasche Bärenmost. Bei Hans Oppikofer sind es 3.50 Franken pro Liter. Debora Bär hofft, dass sortenreine Apfelsäfte in der Schweiz irgendwann den gleichen Stellenwert haben wie in Süddeutschland oder im Vorarlberg. In Restaurants dort werden sie auf der Karte neben den Weinen aufgeführt, mit Empfehlung, zu welchen Speisen sie harmonieren.

Eigene Presse und Hochstämmer sind Voraussetzung

Der Effizienz ist es geschuldet, dass in der Schweiz sortenreine Apfelsäfte ein Nischenprodukt sind. Nur wer selber mostet, kann das überhaupt gewährleisten – die meisten Obstbauern bringen ihre Früchte zu Verarbeitern wie Ramseier oder Möhl. Und nur für Bauernbetriebe, die alte Hochstämmer-Sorten kultivieren, ist es attraktiv, sortenreine Apfelsäfte anzubieten.

50 verschieden Apfel- und Birnensorte angepflanzt

Hochstämmer hat Familie Tobler in Liestal mehr als genug. 500 stehen in ihrem Obstgarten, 50 verschiedene Apfel- und Birnensorten bauen sie an. Die Auswahl an sortenreinen Säften auf ihrer Website ist riesig: von Ananasreinette über Edelchrüseler bis Marmorapfel gibt es viel zu degustieren.

Apfelsäfte von Hochstamm Liestal

Apfelsäfte von Hochstamm Liestal

Bild: zvg

Einen Eindruck davon, wie ernsthaft man die Sache mit den Säften betreiben kann, bekommt man auch auf der Website der deutschen Privatkellerei Van Nahmen. Seit 100 Jahren wird dort Obst zu Saft gepresst. Seit 15 Jahren sortenrein. Eine Fruchtsaft-Sommelière beschreibt jede der neun Sorten auf der Website ausführlich. Und wüsste man es nicht, man wäre sich sicher, die fachkundige Dame beschreibt einen charaktervollen Wein.