In der «Jung & Alt»-Kolumne schreibt unsere Autorin Samantha Zaugg alternierend mit Ludwig Hasler, Philosoph und Publizist, 76. Diese Woche erzählt Zaugg, wo sie sich mehr Nonkonformität abschaut.
Lieber Ludwig
Ich wollte dich nicht verärgern mit meinem Schwank. Mir war nach Schabernack zumute, bitte entschuldige! Ich will mich bessern.
Du fragst, wieso ich für meine Geschichte die Ratte gewählt habe. Schreibst, dass du nicht an Zufälle glaubst, dass etwas dahinterstecken muss. Ich habe also nachgedacht. Und muss sagen, ein Stück weit war’s schon Zufall.
Ich habe mich für die Ratte entschieden, weil es sie wirklich gibt. Natürlich sind wir keine Saufkumpaninnen, das war erfunden. Aber sie lebt am Fluss, ich sehe sie immer mal wieder. Sie ist gross und fett, und das muss heissen, sie ist stark, unerschrocken und kann sich durchsetzen. Du liest die Ratte als Botin der Unterwelt. Ich sehe sie eher als Draufgängerin. Das hat mich wohl zur Räubergeschichte inspiriert.
Genauso gut hätte ich über den Marder schreiben können. Er lebt auch in der Nachbarschaft. Manchmal begegnet er mir auf einem nächtlichen Spaziergang, huscht vor mir über die Strasse. Ich stelle mir vor, wie er sich ein Auto sucht, um die Kabel durchzubeissen. Wie er denkt, lass mal losziehen, einen leckeren Mitsubishi snacken.
Überhaupt gibt es allerhand Tiere, die ich gut finde. Allen voran Füchse. Krähen. Auch ganz gut. Oder Frösche, Igel, Bachstelzen, Katzen und Ziegen. All diese Tiere haben etwas gemeinsam: Sie sind mir irgendwie sympathisch. Füchse zum Beispiel stromern in der Nachbarschaft herum, stehlen sich zusammen, was sie so brauchen, veranstalten eine riesige Sauerei mit Kehrichtsäcken und machen damit alle Leute hässig. Aber das ist ihnen egal. Ich stelle mir vor, wie sie dabei viel Spass haben. Oder Igel! Sie haben die fürchterlichsten Tischmanieren überhaupt. Schmatzen und schlürfen, und die angebissene Schnecke fällt ihnen zum Maul heraus.
Ich beobachte das Verhalten der Tiere und schreibe ihnen Charaktereigenschaften zu. Sie sind unangepasst, eigenwillig. Ich stelle mir vor, wie es ist, ein Fuchs oder eine Ratte zu sein. Sich nicht darum zu scheren, was Leute denken. Sich nicht um Termine, Weltschmerz oder die Steuererklärung zu kümmern. Das stelle ich mir dann ziemlich gut vor. Kurzum: Ich vermenschliche die Tiere, habe eine idealisierte Vorstellung von ihrem Leben, gebe ihnen einen Charakter und projiziere meine eigenen Sehnsüchte in sie hinein. Ist das problematisch? Vermutlich.
Mir scheint, der Umgang mit Tieren hat sich über die Generationen verändert. Früher hat man sie vor allem gegessen. Oder mindestens genutzt. Die Katze fing Mäuse, der Hund bewachte das Haus. Tiere nur zum Spass zu halten, scheint mir ein neueres Konzept. Was hältst du von Tieren? Isst du sie?
Samantha