In der «Jung & Alt»-Kolumne schreibt unser Autor Ludwig Hasler, 76, alternierend mit Samantha Zaugg, Journalistin, 26. Diese Woche denkt Hasler aber die tiefere Bedeutung von Ratten nach.
Liebe Samantha
Es ist Sommer, und du brauchst Ferien, auch von unserem Gespräch, ziehst lieber mit der Ratte durchs Quartier, durch die Beizen. Verstehe ich, es kann anstrengend werden, jeden Samstag zum Briefwechsel mit einem Alten anzutreten, mit dem du sonst nichts zu tun, nichts vorhast – ausser dieser Kolumne «Jung & Alt», die nicht schlecht in Schwung gekommen ist, nur dass die altersmässig penetranten Züge des Alten mit der Zeit unübersehbar werden: Es ist mässig lustig mit ihm, sogar wenn es um Humor geht, er zu allem und jedem etwas weiss, mit ihm kann man sich nur mühsam anlegen, auch weil er für fast alles Verständnis hat, das kann besonders nerven, wie soll man ihn da schachmatt setzen?
Also Pause – mit Ratte, Schnaps, Zigarette. Ist das Leben nüchtern überhaupt zu ertragen? Das Kolumneschreiben? Oft mehr Arbeit als Vergnügen. Was wir Alten gewohnt sind. Uns steckt das Motto «Erst die Arbeit, dann das Vergnügen» in den Knochen. Euch weniger, nehm ich an. Euch sollte noch die Arbeit zum Vergnügen werden? Ja, warum auch nicht? Wäre super für die Arbeit. Aber geht das? Lass uns darüber ein anderes Mal sprechen.
Für mich ist unsere Kolumne Arbeit, interessante Arbeit, weil dabei häufig etwas auftaucht, das mir sonst nie auffiele (es begann mit deiner Attacke auf «Alte & Rotwein»). Sie bleibt jedoch Arbeit, ich streng mich ja auch an, das Publikum nur am Ergebnis teilnehmen zu lassen, nicht am Ackern.
Du bist sicher dabei, wenn ich sage: Eine klassische «Brieffreundschaft» haben wir nicht im Programm, auch wenn Leserbriefe sie vermissen. Nein, keine Herzensergiessungen, keine Tröstungen. Wir kennen uns flüchtig, zwischen uns liegen 50 Jahre, wir wollen sehen, ob/wie ein Gespräch über das halbe Jahrhundert hinweg gerät. Zwischen Opa und Enkel ist leicht reden, meist. Wie aber läuft es zwischen Jung und Alt, wenn wir uns nicht schon nah sind? Also im Normalfall?
Zurück zu den Ferien, Samantha. Warum die Ratte? Nicht Vogel, Hirsch, Katze? Zufall? Glaubst du an Zufälle? Ich nicht. Etwas ist immer dran. Die Ratte gehört zur Unterwelt. So smart sie sein mag, traditionell schneidet sie im Tier-Ranking mies ab: feige, verschlagen, Katastrophenschnüffler. Siehe George Orwells «1984». Siehe Ratte = Schimpfwort.
Du lockst sie aus dem Untergrund, direkt in den «Frohsinn», da jasst sie gar, kurz, sie ist reif zur Einbürgerung. Streift alles ab, was sie uns fremd und unheimlich, dummerweise auch, was sie interessant machte.
Ich glaub, wir ticken anders. Ich brauche die Spannung. Zwischen Himmel und Hölle. Finsternis und Klarheit. Sünde und Gnade. Aufschwung und Absturz. Ihr Jungen seid mehr auf Entspannung aus, oder? Am liebsten harmonisch mit dem ganzen Zoo im «Frohsinn»?
Ludwig