Kolumne
Früher war fast alles schlechter

Publizist Gottlieb F. Höpli fordert mehr Mut zu positiven Nachrichten
und einen zuversichtlicheren Blick auf die Gegenwart.

Gottlieb F. Höpli
Drucken
Gottlieb F. Höpli

Gottlieb F. Höpli

Es grenzt an ein Wunder, dass wir das Jahr 2018 überlebt haben! Krieg in Syrien, im Jemen, Terror, Hunger, Natur- und Flüchtlingskatastrophen – Zeitungen, Fernsehen und Internet fluteten uns von Januar bis Dezember mit schlechten Nachrichten. Und da gibt es Leute wie den «New York Times»-Kolumnisten und Pulitzer-Preisträger Nicholas Kristof, der soeben bilanzierte: «Warum 2018 das beste Jahr in der Menschheitsgeschichte war!» Oder den Schweizer «Spiegel»-Autor Guido Mingels, der eben das zweite Bändchen mit dem Titel «Früher war alles schlechter» herausgebracht hat. Wenn das keine Provokation ist!

Es ist tatsächlich eine Provokation. Aber eine notwendige. Eine zunehmende Zahl ernst zu nehmender Zeitgenossen wie der Harvard-Professor Steven Pinker, der Oxford-Ökonom Max Roser oder der 2017 verstorbene schwedische Mediziner und Epidemiologe Hans Rosling machten sich ebenfalls Sorgen über den Zustand der Welt. Und zwar über die vorherrschende Schwarzmalerei und die Weltuntergangsstimmung in den Medien. Sie widersprechen dieser Stimmungs­mache aber nicht mit ebensolcher Demagogie, sondern mit Argumenten, Fakten und Zahlen. Wie im Vermächtnis Roslings, dem posthum erschienenen Buch «Factfulness. Wie wir lernen, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist».

Denn 2018 hätten auch andere Nachrichten Schlagzeilen machen können. Hier eine Auswahl guter Nachrichten, die «Spiegel»-Autor Mingels in kurzen Kapiteln seiner leicht lesbaren, reich visualisierten Bändchen behandelt: Die Gesundheit der Weltbevölkerung verbessert sich, die Lebenserwartung steigt, die Kindersterblichkeit sinkt, fast überall. Zudem: Der Wohlstand nimmt zu, auch fast überall, die Mord­raten sinken, der Wald wächst, der Hunger schwindet. Es gibt weniger Kinderarbeit, dafür haben immer mehr Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser, zu Elektrizität und Internet.

Die beeindruckende, mit Statistiken belegte Liste guter Nachrichten kann mühelos verlängert werden. Man braucht nur einen Blick in die hier genannten Bücher zu werfen. Warum werden diese guten Nachrichten bisher kaum zur Kenntnis genommen (auch wenn es sich allmählich herumspricht, dass es sie gibt)? Drei Gründe seien genannt, die eigentlich eine gesonderte Betrachtung verdienen.

Erstens: Neben guten Nachrichten gibt es täglich auch schlechte. Tatsächlich gibt es Kriege, Terror, Naturkatastrophen und Kinder, die unter unsäglichen Zuständen leiden. Und jeder Mensch, der darunter leidet, ist einer zu viel. Derlei schlechte Nachrichten brechen zudem oft schlagartig über Menschen herein und ziehen die Aufmerksamkeit der Reporter und Kameras auf sich. Und es liegt anscheinend in der Natur des Menschen, sich lieber über Bad News zu unterhalten als über Good News.

Sodann neigt der Mensch dazu, sich die Vergangenheit lieber schön- als schlechtzureden. Das kann jeder verifizieren, wenn er über die letzten Ferien, die Rekrutenschule oder die gute alte Zeit auf dem Bauernhof seiner Grosseltern zu reden beginnt.

Drittens spielen die Medien allzu gerne das schwarze, aber Aufmerksamkeit garantierende Spiel mit. Ihrem dunklen Bild der Welt fehlt es aber fast immer an zeitlicher Tiefenschärfe. Langfristige Entwicklungen zu recherchieren und mit der Aktualität in Beziehung zu setzen, ist journalistisch gesehen zu unspektakulär. Man müsste ja die entsprechenden Daten zur Hand haben, die vielleicht ein anderes Licht auf die Aktualität werfen würden.

Wenn wir lesen, dass heute noch immer über fünf Millionen Kinder pro Jahr sterben, sind wir erschüttert. Aber wir vergessen, dass 1990 noch mehr als zwölf Millionen Kleinkinder starben. Und dass auch in Europa Mitte des 19. Jahrhunderts jedes zweite Kind vor seinem fünften Geburtstag starb. Man könnte also mit ebenso gutem Grund feiern, dass es auf der Welt noch nie so viele fünfte Kindergeburtstage gab wie heute.