Autobiografie
In den Fängen einer Sekte: Michelle Hunziker erzählt von ihren fünf Jahren bei den «Kriegern des Lichts»

Fünf Jahre lang war Michelle Hunziker Mitglied einer Sekte. Jetzt rechnet die Bernerin in einer Autobiografie mit der Guru-Frau ab, der sie hörig war.

Melissa Müller
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Michelle Hunziker präsentiert ihr Werk "Ein scheinbar perfektes Leben" an der Frankfurter Buchmesse.
27 Bilder
In der Autobiografie beschreibt sie ihre Sekten-Vergangenheit.
Michelle Hunziker: Dunkle Seite
Da war das «Sünneli» noch tief in der Sekte – Michelle Hunziker an einem Pferderennen in Deutschland 2005.
Setzt sich für Frauenrechte, gegen häusliche Gewalt und gegen Stalking ein: Moderatorin und Mama Michelle Hunziker.
Hunziker bei einer Werbeaktion für Käse im Oktober 2017.
Im August 2017 lässt sie sich an der Eröffnungsgala der Industriemesse IFA in Berlin ablichten.
Michelle und Tochter Aurora 2016 in Hamburg.
Weitere Bilder von Michelle Hunziker.

Michelle Hunziker präsentiert ihr Werk "Ein scheinbar perfektes Leben" an der Frankfurter Buchmesse.

Keystone

Das Lachen frisch und strahlend, den berühmten Po in enge Höschen gepackt, irgendwo an einem Strand in Italien. So kennt man Michelle Hunziker aus der Regenbogenpresse. «Zierde der Nation» wurde sie genannt, «Wassernixe», «Alpen-Venus», «unser heissester Export». So richtig ernst hat man Michelle Hunziker selten genommen in der Schweiz. «Unser Sünneli hat ein Sünneli geboren», titelte der «Blick am Abend», als die Bernerin ihre Tochter Sole auf die Welt brachte.

Dabei war nicht immer alles eitel Sonnenschein. Jetzt lässt das Showgirl die Maske fallen. Michelle Hunziker lebte fünf Jahre in einer Sekte. In ihrer nun auf Deutsch erschienenen Autobiografie «Ein scheinbar perfektes Leben» schildert sie ihre Zeit bei der Sekte «Krieger des Lichts» überraschend selbstreflektiert. Sie sei damals unsicher gewesen, naiv und immer auf der Suche nach Applaus, blickt die 41-Jährige selbstkritisch zurück. Fröhlich ist sie noch heute – aber nicht mehr naiv.

Keine einfache Kindheit

Aufgewachsen ist Michelle Hunziker in der Berner Vorortsgemeinde Ostermundigen – wie schon Bond-Girl Ursula Andress, mit der sie oft verglichen wird – sowie in Zuchwil bei Solothurn. Die Mutter ist Holländerin, der Vater war ein Schweizer Kunstmaler – und Alkoholiker. «Er war mein Held», sagte Hunziker kürzlich dem «Tages-Anzeiger». Obschon süchtig und hoch verschuldet, «ging er durchs Leben wie Charlie Chaplin, war lustig, hatte für jeden ein gutes Wort übrig».

Nach der Trennung der Eltern muss Michelle mit 16 in ein italienisches Provinzkaff ziehen, weil ihre Mutter sich in einen Italiener verliebt hat. Die Jugendliche lernt in nur drei Monaten Italienisch. Sie posiert im Tanga für eine Werbekampagne und wird zum «schönsten Po Italiens» gewählt. Ein Titel, den sie nicht so schnell wieder loswird. Mit 17 bricht sie die Schule ab, um in Mailand Model zu werden. «Mein Alltag bestand darin, mir sagen zu lassen, wie scheisse ich aussah. Meist von Männern in irgendwelchen Agenturen, die mich nicht wollten.» Als «Typ muskulöses Schweizer Naturmädchen», kleiner als 1,80 Meter, wird sie Anfang der Neunzigerjahre nur für Dessouswerbung gebucht.

Mit 18 lernt sie in einer Disco in Rimini den 15 Jahre älteren Schnulzensänger Eros Ramazzotti kennen, den sie heiratet. Ein Jahr später kommt Tochter Aurora auf die Welt. Viele lästern, dass die Blondine mit dem grosszügigen Décolleté nur seinetwegen Karriere gemacht habe. «Das Gerede hat mich motiviert, mir selbst eine Karriere aufzubauen», sagt sie, die im italienischen Fernsehen als Kabarettistin, Moderatorin und Schauspielerin seit Jahren für Quoten sorgt. Und sich als gewiefte Selfmade-Woman im Unterhaltungsgeschäft erweist.

«Was soll ich tun, um ernst genommen zu werden?», fragt Michelle Hunziker einmal einen «Weltwoche»-Journalisten. «Schwierig», gibt dieser zur Antwort. «Entweder Sie machen einen Universitätsabschluss oder färben sich die Haare.» – «Danke für den Tipp», gibt die Moderatorin zurück. «Mir ist es inzwischen piepegal, ob ich dem Klischee vom dummen Blondinchen entspreche oder nicht. Ich weiss, dass ich Fehler mache, aber ich schäme mich nicht dafür.»

Im Jahr 2000 schlittert sie in eine Lebenskrise. Sie bekommt auch noch Haarausfall. Ihr Mann Eros leidet an einer Halsentzündung. Zusammen lassen sie sich von einer italienischen Geistheilerin behandeln. Die Sektenfrau – im Buch heisst sie Clelia – hat leichtes Spiel mit der verunsicherten jungen Frau. Michelle Hunziker greift nach jedem Strohhalm, der sich ihr bietet. «Ich suchte nach Liebe, und Clelia gab mir diese», schreibt sie in ihrem Buch. Clelia wird ihre Vertraute. «Sie rief mich sechsmal am Tag an, um sich zu erkundigen, wie es mir geht.» Danach habe Clelia aber angefangen, sie zurückzuweisen. «Sie bestrafte mich, entzog sich mir.» Sie habe alles getan, um zur Guru-Frau zurückzukommen, erzählt Michelle Hunziker. «Dafür opferte ich mein Urteilsvermögen und meinen freien Willen.»

Ihre Ehe zerbricht. Die Moderatorin wird mit dem Sohn der Sektenführerin verkuppelt, er ist ihr Aufpasser und Manager. Sie spendet rund zwei Millionen Euro. Wie alle «Krieger» muss sie vegan leben. Und auf vieles verzichten: auf Mehl, Zucker, Fleisch, Alkohol, Koffein, Sex und Masturbation. Lebensfreude hemme die Konzentration auf dem Weg zur Erleuchtung, predigt die Guru-Frau.

«Es könnte fast jeden erwischen»

«Dieses Askese ist typisch für diese Art von spiritueller Sekte», sagt Sektenexperte Hugo Stamm. «Man will ‹niedere Triebe› unterdrücken und durch Verzicht glücklich werden.» Wenn es einer Sekte gelinge, dass die Mitglieder ihren Sexualtrieb unterdrücken, sei dies ein Zeichen für ihre Macht. «Dann sind die Anhänger definitiv abhängig.»

Erst nach fünf Jahren kommen ihr tiefe Zweifel. Ihre Tochter Aurora rebelliert. Sie hätte gern wieder ihre lachende Mutter zurück, sagt sie. Hunziker befreit sich aus dem Sektenwahn. 2014 heiratete sie den Trussardi-Erben Tomaso Trussardi, mit dem sie zwei weitere Kinder bekommt.

Die Moderatorin ist mit ihrer Sehnsucht nach Übernatürlichem und Esoterischem nicht allein. «Prominente sind besonders empfänglich für Sekten. Denn die Künstler stehen unter Erfolgsdruck», sagt Sektenexperte Stamm. Die Sekte verspricht ihnen, dass sie ihren kreativen Ausdruck noch steigern können, wenn sie ihren Anweisungen Folge leisten. John Travolta und Tom Cruise sind seit Jahren bei Scientology. «Ich war unsicher und ziellos», sagte Travolta einmal. «Doch mit Scientology bekam ich plötzlich alles in den Griff.»

Hugo Stamm ist froh über Michelle Hunzikers «Sekten-Outing» und ihre Aufklärung im Sekten-Bereich. Viele würden denken: Wie kann man nur so dumm sein und in eine Sekte geraten? Dabei könne es in einer Krise fast jeden erwischen, sagt Stamm. «Michelle Hunziker beschreibt mutig, wie leicht man da hineinrutscht.» Sie zeigt sich ungeschminkt und verletzlich, auf die Gefahr hin, dass ihr Image als Strahlefrau ein paar Kratzer abbekommt. «Sie zeigt einen offenen Umgang mit Krisen.» Und zeigt, dass selbst Promis nicht immer glücklich sind, auch wenn sie überall breit lachen.