Der Bodensee ist nicht nur eine schier unerschöpfliche Speisekammer. Der riesige Wärmespeicher wirkt sich auch günstig auf den Wein- und Obstbau in seinem Um- und Hinterland aus. Das verspricht Genuss pur wie unser Teller mit Felchenfilets an Apfel-Cidre-Sauce zeigt.
Der Felchen ist der «Brotfisch» des Bodensees. Oder war es zumindest. Er sicherte früher das tägliche Brot der Berufsfischer, und er dominiert heute meist noch das Fischangebot von Restaurants entlang des Sees. Oft allerdings verarbeitet zu den offensichtlich allseits beliebten Fischknusperli, den Chicken-Nuggets für Erwachsene gewissermassen.
Doch es muss nicht immer Felchen sein. Es gibt da auch noch den Saibling, die Seeforelle, den Zander, den Hecht…
Jedenfalls aber hat der Felchen auch schon den Pfahlbauern am Bodensee geschmeckt, wie Erich Schütz im Buch «Das kulinarische Erbe des Bodensees» ausführt. Er bezieht sich dabei auf Untersuchungen von Urs Leuzinger vom thurgauischen Amt für Archäologie. Demnach hätten damals - wie heute - fast zwei Drittel eines Fangs aus Felchen bestanden. Weit abgeschlagen auf Platz zwei folg(t)en die Egli.
Auch er heute oft Opfer der Fritteuse. Diese ist aus kulinarischen Gründen jedoch nur tolerierbar, wenn der Egli als Ganzes als Chretzer auf den Tisch kommt.
Der Bodensee war zu allen Zeiten eine schier unerschöpfliche Speisekammer, auch wenn in der jüngsten Vergangenheit die Fangerträge zurückgegangen sind. Es ist nicht beides zu haben: ein sauberer See und grosse Fischfänge.
Mit den Klöstern nahm ab dem Mittelalter auch unsere Kochkunst ihren Anfang. Der St.Galler Mönch Ekkehard IV. hat, wie Schütz schreibt, um das Jahr 1000 die Fische aufgezählt, die im Kloster verspiesen wurden: Trüsche, Aal, Barsch (Egli), Wels, Neunaugen. Sicher kamen auch Hechte, Seeforellen und Karpfen auf den Tisch.
Etwas später hat uns ein Zeitgenosse auch eine damals populäre Zubereitungsweise der Fische überliefert. Im Buch «Von der Natur und Eigenschaft der Fische» des Bodensees von 1557 schreibt der Konstanzer Humanist und Buchhändler Gregor Mangolt: «So man nun die (Fische) sieden will, so sol mans in gantzem weyn sieden, wie dann diser landschafft dess Bodensees art und brauch ist». Und für die Zubereitung des bei uns heute meist gering geschätzten Wels empfiehlt er: «… so lege mans vorhin gestucket in kalten weyn und machs in ein gälwe wolgewürtzte brüye.»
Mangolt macht mit seinen Rezepten nicht nur deutlich, dass das Kochen mit Wein schon im Mittelalter verbreitet war, sondern auch, dass der Rebensaft offenkundig auch in der Bodenseeregion leicht verfügbar war.
Tatsächlich war und ist der See nicht nur eine grossartige Speisekammer. Der grosse Wärmespeicher wirkt sich auch günstig auf das Klima in seinem Um- und Hinterland aus. Profitieren können davon der Wein- und der Obstbau und in neuerer Zeit auch die Pflege von Beerenkulturen. «Bodenseeland ist Weinland», schreibt Schütz.
Das galt schon im Mittelalter, nachdem die Römer Rebstöcke auch an den Bodensee gebracht hatten. Vom Rheintal bis auf die Reichenau, auf den Nordhängen am Untersee und auf den Südlagen am Nordufer des Sees – überall wurden Reben gepflanzt. Der Handel mit Wein war ein gutes Geschäft, ebenso mit Rebstöcken, Rebstickeln und sogar mit Mist zur Düngung der Weingärten.
Treiber dieser Entwicklung waren auch wieder die Klöster, die die Reben veredelten. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts war sogar der Thurgau als Weinland bekannt. Um 1800 waren über 2300 Hektaren mit verschiedenen Traubensorten bepflanzt, wie Barbara Fatzer im «Thurgauer Kochbuch» schreibt. Heute beträgt die Rebfläche noch ein Zehntel davon, rund 250 Hektaren. Die klassischen Traubensorten der Bodenseeregion sind heute Pinot Noir/Blauburgunder, Müller-Thurgau und Pinot Gris.
Dass im Thurgau aber auch der Obstbau und der Most früh schon eine wichtige Rolle spielte, belegt Barbara Fatzer mit einem Zitat aus der ersten Schweizer Chronik, der «Gemeiner loblicher Eydgnoschafft Stetten, Landen und Völckeren Chronick wirdiger Thaaten Beschreybung» des Johannes Stumpf von 1547/48: «Das Thurgow hat guote frische und gesunde weyn / merteils rot / oder schillerfarb / Darzuo wirt an vilen orten diss lands wunder vil trancks auss oepfflen und biren gemostet / glych wie in Nordmandy.» Das «gelend» wird als lieblich und fruchtbar an Wein, Korn, Obst und «allerly guoter früchten überflüssig» gepriesen. Kein Wunder, machte schon im 19. Jahrhundert der Begriff Mostindien die Runde, einst eher ein Spottname, heute ein trendiger Marketingbegriff.
Veränderte Herrschaftsverhältnisse, verschärfte Exportbedingungen, eine Klimaverschlechterung, die Reblaus und der Mehltau liessen ab 1850 die Rebfläche nach und nach schrumpfen, insbesondere im Oberthurgau. Die Bauern stellten auf Viehwirtschaft und Obstbau um.
In neuerer Zeit geriet aber auch der Anbau von Obst und die Verwertung zu Süssmost und Saft unter Druck. Mit unterschiedlichen betrieblichen Strategien und immer wieder neuen Produkten versuchen Obstbauern und Verwerter darauf zu reagieren.
Trendprodukt ist seit einiger Zeit – wenngleich mit thurgauischer Verspätung - der perlende und prickelnde Cider/Cidre: Ob in grösserem Stil hergestellt wie von der Mosterei Möhl in Arbon, ob in eher handwerklicher Kelterung produziert, wie das etwa der Bio-Obst-Hof von Helmut Müller und Monika Bühler in Stocken bei Neukirch in Zusammenarbeit mit der Cidrerie du Vulcain in Treyvaux FR und Christian Adank in Fläsch tut.
Bei diesem regionalen kulinarischen Reichtum bleibt nur, das Beste vom Bodensee in einem Gericht zu vereinen: Felchen, Apfel und – statt Wein – Cidre, der dann auch zum wunderbaren Essensbegleiter wird.
Erich Schütz: Das kulinarische Erbe des Bodensees, Gmeiner Verlag, Messkirch 2020. (Eine Kulturgeschichte, ergänzt mit Porträts und Rezepten.) Christiane Leesker, Vanessa Jansen: Das Beste vom Bodensee. Küche und Lebensart, Südverlag, Konstanz 2015. (Eine grenzüberschreitende Reise durch Küchen von Restaurants am See mit über 50 Rezepten und kurzen kulturgeschichtlichen Exkursen.) Barbara Fatzer, Thurgauer Kochbuch, Verlag Huber, Frauenfeld 2008, vergriffen. (Rezeptsammlung, basierend zum grössten Teil auf dem Buch «Thurgauer Choscht»,1987, und kulturgeschichtliche Beiträge.)
Kartoffelstampf mit einem Metallring auf den vorgewärmten Tellern in kreisrunde Form bringen, die Felchenfilets dazulegen, teils mit Sauce übergiessen und mit Petersilie garnieren.